Von Shakespeare bis Bowie
Kultur verbindet
Das Thema Brexit dominiert in diesen Monaten die deutsch-britischen Beziehungen. Unser Austritt aus der EU ist eine Herausforderung. Eines sollten wir aber nicht vergessen: Großbritannien verlässt die EU, nicht Europa. Jenseits der Tagespolitik gehen unsere Verbindungen viel tiefer und weiter als die EU. Wir teilen eine mehr als 1.000 Jahre alte gemeinsame Geschichte. Unsere Sprachen, Denkweisen und Werte sind ähnlich und haben den gleichen kulturellen Ursprung.
Der rege und stetige Austausch unserer Künstler, Musiker und Schriftsteller hat unsere Gesellschaften beeinflusst und zusammengebracht. Das verdeutlichen bereits unsere beiden wichtigsten kulturellen Botschafter, Goethe und Shakespeare. In seiner Rede 1771 „Zum Schäkespears Tag“ beschrieb Goethe die Begegnung mit dem Werk von Shakespeare als Erweckungserlebnis; in „Wilhelm Meister“ nennt er ihn den „außerordentlichsten, wunderbarsten aller Schriftsteller“. Damit entfachte er eine außerordentliche deutsche Shakespeare-Begeisterung. Die erste Shakespeare-Vereinigung wurde 1864 in Deutschland gegründet – vor der Gründung ihres englischen Pendants. Heute wird Shakespeare auf deutschen Bühnen mehr gespielt als jeder andere Dramatiker der Weltliteratur. Ich persönlich finde, dass Shakespeare auf Deutsch wunderbar klingt.
Auch einige unserer größten Musiker sind ohne kulturellen Austausch nicht denkbar, allen voran der deutsch-britische Ausnahmekomponist Georg Friedrich Händel. Er kam 1711 nach England und hatte schnell großen öffentlichen Erfolg. Er blieb in der Stadt, wurde englischer Staatsbürger und machte London zu einem der bedeutendsten Zentren des europäischen Musiklebens.
Der Größte der Barockkomponisten, Johann Sebastian Bach, ist vor allem durch die Vermittlung des deutschen Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy in Großbritannien wiederentdeckt worden. Mendelssohn war Lieblingsmusiker von Queen Victoria und hat regelmäßig im Buckingham Palace musiziert. Die von ihm initiierten Chorvereine sind auch in Großbritannien zahlreich entstanden und zu einem wichtigen Teil unseres Kulturlebens geworden.
Unser Kulturaustausch hat nicht nur die jeweiligen Künste vorangebracht, sondern gesellschaftlichen Kontakt aktiv gefördert. Das zeigt der Maler Caspar David Friedrich, dessen romantische deutsche Landschaften im 19. Jahrhundert viele Briten dazu bewogen haben, Deutschland – besonders die Rheingegend – auf einer Kulturreise zu besuchen. Ich kann diesen ersten modernen Touristenstrom gut verstehen: Im Mai habe ich die beeindruckende Henry Moore-Ausstellung im Arp Museum Bahnhof Rolandseck besucht, die an einer besonders schönen Stelle am Rhein die Werke dieses auch in Deutschland einflussreichen Bildhauers zeigt.
Der kulturelle Austausch zwischen unseren Ländern ist selbst in den schwierigsten Zeiten nie abgebrochen. Während des Nationalsozialismus fanden viele deutsche jüdische Intellektuelle in London eine neue Heimat. Einige haben Großbritannien nachhaltig geprägt, darunter der Soziologe Eric Hobsbawm, der Verleger George Weidenfeld und der Schriftsteller Arthur Koestler. Unter der Leitung von Oskar Kokoschka wurde der Freie Deutsche Kulturbund (FDKB) zu einer der größten Organisationen der deutschsprachigen Emigranten auf der britischen Insel.
In den letzten Jahrzehnten war es dann vor allem die britische Popkultur, die unsere Länder zusammengebracht hat. Einige ihrer wichtigsten Vertreter waren eng mit Deutschland verbunden. John Lennon hat einmal bemerkt, dass er in Liverpool geboren, aber in Hamburg erwachsen wurde. David Bowies Jahre in Berlin prägten seine Musik und spätere Karriere. Die Anteilnahme vieler Berliner am Tod „ihres“ Künstlers hat mich auch persönlich berührt, schließlich gehörte Bowies Musik zum Soundtrack meiner Jugend.
Auch heute ist Berlin zur Wahlheimat gleich vier wichtiger britischer Musiker geworden: Robin Ticciati ist seit Anfang des Jahres an der Spitze des Deutschen Symphonie-Orchesters, sein Landsmann Justin Doyle leitet nun den Rias Kammerchor. Die Deutsche Oper hat Generalmusikdirektor Sir Donald Runnicles und der großartige Sir Simon Rattle bleibt noch bis 2018 Leiter der Berliner Philharmoniker. Es ist außerdem gute Tradition geworden, unsere Museumsdirektoren auszutauschen: So ist Hartwig Fischer derzeit Direktor des British Museum und Neil MacGregor Gründungsintendant des Humboldtforums.
Zum kulturellen Austausch gehören natürlich auch die zahlreichen TV-Formate und Serien, die das Bild Großbritanniens in Deutschland prägen: die Verfilmungen der Werke Rosamunde Pilchers, James Bond, Harry Potter genauso wie „Sherlock“.
All diese Beispiele zeigen: Kultur verbindet – jenseits aller Tagespolitik. Wir müssen und werden es deshalb verhindern, dass unser Austritt aus der EU diese über die Jahrhunderte aufgebauten, engen Verbindungen beeinträchtigt. Wir müssen und werden sie erhalten und weiter ausbauen. Ein tiefer und besonderer Austausch zwischen unseren Künstlern wird ein wichtiger und lebendiger Teil der deutsch-britischen Freundschaft bleiben.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2017.
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