Christopher Rodrigues - 1. Juli 2017 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Brexit & Kultur

Europäische Kulturarbeit nach dem Brexit


Wie können Großbritannien und das europäische Festland nach dem Brexit kulturell verbunden bleiben?

Der British Council wurde 1934 mit dem Ziel gegründet, die Völker der Welt über das Vereinigte Königreich zu informieren, zu inspirieren und in gegenseitigen Kontakt zu bringen. Er arbeitet in über 110 Ländern und engagiert sich in jüngster Zeit wieder vermehrt für die Stärkung der Bindungen zwischen den europäischen Institutionen in den Bereichen Kunst, Bildung und Wissenschaft sowie dem internationalen Austausch zwischen Jugendlichen in Großbritannien und der Welt.

 

Es scheint gewiss, dass das Vereinigte Königreich bald die Europäische Union verlassen wird. Die genauen Bedingungen und selbst die Rahmenbedingungen einer Einigung Großbritanniens mit der EU bleiben jedoch ungewiss. Das Statement „Brexit means Brexit“ wurde von Spekulationen über einen „harten“ oder einen „weichen“ Brexit abgelöst, was diese Kurzfassung aber genau beinhaltet, bleibt weiterhin unklar.

 

Die Rede ist von Handelsabkommen und Einschränkungen in der Mobilität der Menschen, gepaart mit dem Schreckgespenst milliardenschwerer Kosten, die bei einem Austritt und im Hinblick auf zukünftige wirtschaftliche Zusammenarbeit anfallen könnten. Die Debatte riskiert jedoch aus dem Blick zu verlieren, wie das Vereinigte Königreich und das europäische Festland auch in Zukunft – wie seit hunderten von Jahren – kulturell verbunden bleiben können, während nur 46 Jahre einer vertraglichen Rahmenverbindung abgewickelt werden.

 

Der Wunsch fortdauernder kultureller Verbundenheit wird von führenden Institutionen in Kunst, Bildung und Wissenschaft auf beiden Seiten des Ärmelkanals aktiv unterstützt und ist daher kein elitäres Wunschdenken. Er spiegelt aber auch die real existierende Sorge wider, dass diese Verbundenheit, hervorgebracht durch Aufklärung und Industrielle Revolution und als Nährboden für das Entstehen der modernen Demokratie wirkend, erschüttert werden könnte – wenn nicht beabsichtigt, so doch durch Unaufmerksamkeit.

 

Die Entscheidung des Vereinigten Königreichs, die EU zu verlassen, ist Symptom einer größeren globalen Krankheitserscheinung. Trotz der echten Verbesserung, Milliarden von Menschen von Armut zu befreien, gibt es offenkundigen Widerstand gegen diejenigen Elemente der Globalisierung, die als entzweiend angesehen werden. Verschiebungen in der Plattentektonik der gegenwärtigen Gesellschaft haben politische Parteien unvorbereitet angetroffen und Nationen haben begonnen, sich auf sich selbst zurückzuziehen. Wir haben ein Wiederaufkeimen von Nationalismus beobachten können, wo Menschen den Verlust ihres Arbeitsplatzes befürchten, von vermeintlicher Bedrohung durch unkontrollierte Einwanderung und von Angst, dass nationale Identitäten bedroht sein könnten.

 

Wenn wir das Risiko, dass der Brexit eine kulturelle Spaltung zwischen dem Vereinigten Königreich und dem europäischen Festland bedeutet, verringern wollen, müssen wir diesseits wie jenseits des Ärmelkanals aktiv werden. Um einen Vergleich aus der Biologie zu bemühen: Wir können die Einfügung einer Membran zwischen diesen beiden Zellen überleben, aber die Membran muss in beide Richtungen durchlässig sein! Die Verbindung des Vereinigten Königreichs zur europäischen Kultur beginnt nicht mit dem Austritt aus der EU – und darf nicht ihr Ende sein. In dieser neuen Ära müssen Europäer lernen – oder neu entdecken, dass kultureller Austausch nicht an Grenzen Halt macht – und dies auch noch nie getan hat.

 

Kultur war seit jeher international: In vergangenen Jahrhunderten in Form der „Grand Tour“ – einem Privileg der Oberschicht, die sich im 19. Jahrhundert zu den äußerst beliebten „Cook’s Tours“ entwickelte, die Reisen und Kultur einer größeren Bevölkerungsschicht zugänglich gemacht haben. Diese waren so beliebt, dass Thomas Cooks Sohn, John Mason Cook, 1898 mit der Organisation der Reise Kaiser Wilhelms II. ins Heilige Land betraut wurde!

 

Reisen und Verstehen gehen Hand in Hand, weil sie uns die Wunder und Reize der von anderen Völkern bewohnten Welten näherbringen. Wir müssen daher verhindern, dass es als unbeabsichtigte Folge einer rechtlichen Trennung zu einem Aufbau von Hindernissen im menschlichen Miteinander und in der menschlichen Entwicklung, zu Einschränkungen der Reisefreiheit von Studierenden, Akademikern und Künstlern zwischen dem Vereinigten Königreich und dem europäischen Festland kommt.

 

Daran zu arbeiten, diese Verbindungen zu erhalten, wird zunehmend bedeuten, bilateral arbeiten zu müssen, wenn nämlich die Konsequenz des Brexit ist, dass das Vereinigte Königreich von der Teilnahme an paneuropäischen Gremien ausgeschlossen wird, sobald es kein EU-Land mehr ist.

 

Und es gibt wohl keine bedeutendere bilaterale europäische Beziehung als die zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland. Es ist die besondere Beziehung des Vereinigten Königreichs in Europa. Wahrlich hatte diese Beziehung ihre Phasen des Wahnsinns und der Verzweiflung, aber sie hat stets den Respekt zweier Völker in sich getragen, die enge kulturelle Verwandte sind. Dies war nicht zuletzt im Erfolg der großen Blockbuster-Ausstellung „Germany: Memories of a Nation“ des British Museum ersichtlich.

 

Gleichermaßen spricht der Austausch von Führungspersönlichkeiten aus dem Kulturbetrieb beider Länder in letzter Zeit eine deutliche Sprache. Nicht ohne Grund ist Martin Roth nach London gekommen, um die Leitung des Victoria & Albert Museum zu übernehmen oder ist Neil MacGregor in Berlin als einer der Gründungsintendanten des Humboldtforums berufen worden, um wiederum am British Museum durch Hartwig Fischer abgelöst zu werden.

 

Der British Council hat eine tragende Rolle im Erhalt der deutsch-britischen Beziehung. Erst kürzlich haben wir in Berlin die erste einer Reihe von EU-UK Culture & Education-Debatten abgehalten. Wir haben Berlin als idealen Ort gewählt, um Teilung und Zusammenwachsen zu diskutieren; und Deutschland als das geeignetste Land, um einen Dialog darüber zu entfachen, wie wir den großen Schwierigkeiten, mit denen Europa und die Welt konfrontiert ist, eine vereinte Front entgegensetzen können. Unsere Debatte bekräftigte die Teilnehmer darin, dass der Kultursektor dann am besten funktioniert, wenn freier Zugang herrscht – alles wurzelt im Austausch zwischen Mensch und Ort, selbst in unserer digitalen Welt.

 

Wir riskieren einen Zusammenbruch von Verstehen und Vertrauen in die Gesellschaft, wenn wir unbeabsichtigt Hindernisse errichten, die die Mobilität von Talenten, Menschen, Objekten und Ideen einschränken und gleichzeitig den Zugang zu multilateralen Förderprogrammen beschneiden.

 

Die Augen junger Menschen für die unendliche Vielfalt der Kulturen der Welt zu öffnen ist ein wesentliches Erbe unserer Generation an die nachfolgende. Mit den und trotz der Karten, die uns zugespielt wurden, müssen wir ein Spiel gestalten, das auf Gewinn abzielt – nicht nur für die Bürger meines eigenen Landes, sondern für jeden, der in 10, 20 oder 50 Jahren in Europa – dem geografischen Europa, zu dem das Vereinigte Königreich gehört – leben wird.

 

Wir stehen zusammen mit unseren kontinentaleuropäischen Partnern leidenschaftlich für die Schaffung eines positiven Kontexts für Kultur im Rahmen der Brexit-Verhandlungen ein.

 

Dies möchten wir erreichen, indem wir offen und ehrlich mit unseren Freunden über gemeinsame Ziele sprechen und dabei eine gehörige Portion britischen Pragmatismus walten lassen. Ich glaube, dass unter den politischen Entscheidungsträgern im Vereinigten Königreich und anderswo die Erkenntnis vorherrscht, dass Kultur – in ihrem weitesten Sinne und unter Einbeziehung von Bildung und Wissenschaft – Brücken schlägt.
Und in der Welt von heute brauchen wir diese Brücken mehr denn je.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2017.


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