Franziska Sperr - 1. November 2016 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Auswärtige Kultur- & Bildungspolitik (AKBP)

Freiheit, die wir meinen


Das Writers-in-Exile Programm des Deutschen PEN Zentrums

Das Writers-in-Exile Programm des Deutschen PEN ist ein Stipendienprogramm für verfolgte Schriftsteller, das von der Bundesregierung finanziert wird. Es ist ein Programm der besonderen Art, denn wir Mitglieder sind mit unseren Stipendiaten, egal woher sie kommen, verbunden durch unseren Beruf. Wir versuchen Kollegen, die in ihren Herkunftsländern verfolgt, malträtiert, eingekerkert, gar gefoltert wurden, in Deutschland Zuflucht zu bieten. Wir wollen sie ein Stück des Weges beim Start in ein neues Leben fern der Heimat begleiten. Die Stipendiaten erhalten für ein, zwei oder höchstens drei Jahre eine komplett möblierte Wohnung, ein monatliches Geld, Krankenversicherung, die geflüchteten Kollegen werden beschützt und beraten und – das ist das Besondere – sie werden, sobald sie sich von den erlittenen Strapazen in ihrer Heimat halbwegs erholt haben, ermutigt, ihre Arbeit als Schriftsteller fortzusetzen. Und weil Schriftsteller nicht für die Schublade schreiben, sondern für ein Publikum, veranstalten wir Lesungen, organisieren Übersetzungen, publizieren ihre Texte in Anthologien, bringen sie in Kontakt mit Redakteuren und Verlegern. Wir zetteln Gespräche zum Erfahrungsaustausch mit deutschen Kollegen an, laden die Stipendiaten zu Literaturfestivals ein oder wir lassen ihre Texte auf Deutsch vortragen, damit sie sich auch hier ein Publikum schaffen können. Je nachdem, woher sie kommen, sprechen sie ein wenig Englisch oder Französisch, viele aber weder noch. Also üben wir sanften Zwang aus, dass sie die vom Goethe-Institut gesponserten Deutschkurse regelmäßig besuchen – und damit sie sich, sobald die drei Jahre um sind, einigermaßen zurechtfinden in dem für sie noch immer fremden Land. Für manche ist die Frage, ob sie sich um Asyl hier bemühen sollten oder nicht, eine einschneidende. Es könnte für immer den Bruch mit zu Hause bedeuten, es könnte sein, dass sie von denen, die zu Hause geblieben sind, von Familie und Freunden als Verräter beschimpft werden – oder dass sie sich selbst als Verräter fühlen.

 

Allen Diktatoren auf der Welt ist eines gemein: Sie haben panische Angst vor dem geschriebenen Wort, besonders wenn es kritisch ist – und was kritisch ist, bestimmen sie ganz alleine. Das war zu allen Zeiten so, auch vor 80 Jahren hier bei uns, als tausende Schriftsteller, Wissenschaftler, Künstler und Intellektuelle ins Exil gezwungen wurden.

 

Acht Stipendiaten – in dieser von Flucht und Vertreibung Hunderttausender geprägten Zeit! Das klingt nach dem Tropfen auf den heißen Stein. Es kann nur eine Geste des Dankes sein an die Aufnahmestaaten von damals. Doch sind es acht Leben! Alle haben Schreckliches erfahren, alles verlassen, was sie liebten, woran sie gewöhnt waren. Sie befinden sich oft in einem desolaten psychischen Zustand und brauchen immer wieder auch professionelle Hilfe. Für uns, die wir uns für sie verantwortlich fühlen, ist es oft eine Gratwanderung, das Richtige zu tun oder zu sagen. Manche kommen schneller auf die Beine, andere brauchen länger. Diejenigen, die nicht allein hierher kommen, haben es leichter, sie sind nicht so einsam und verzweifelt wie die, die allein kommen mit den quälenden Bildern im Kopf.

 

Dank des großen Netzwerkes von ehrenamtlichen Helfern, von Psychologen und Traumatherapeuten, spezialisierten Rechtsanwälten und den Betreuern, die bei den ersten Einkäufen im Supermarkt helfen und das Funktionieren des Staubsaugers erklären, kommen wir unserem Ziel, nämlich die äußeren und inneren Schmerzen zu lindern, schrittweise ein wenig näher. Nichts macht uns glücklicher, als zu sehen, dass jemand, der abweisend und verbittert, graugesichtig und verschlossen hier ankam, irgendwann seine darunter verborgene Persönlichkeit zeigt, wenn die Augen zu funkeln beginnen und sich ein Hauch von Lebensfreude auf das Gesicht legt. Wenn wir das erreichen – und das ist gar nicht mal so selten – sind wir glücklich. Oft haben wir neue Freunde gewonnen, mit denen wir gemeinsam essen, die uns mit ihren Witzen amüsieren, die uns kritisieren, hin und wieder ärgern, weil sie stur sind und manches nicht so machen, wie wir es gerne hätten. Sie bringen uns die Welt ins Haus, lassen uns teilhaben an dem, was uns anfänglich fremd, manchmal unerklärlich ist, sie diskutieren mit uns und erzählen uns, wie sie das Leben hier in Deutschland finden. Dafür sind wir ihnen dankbar, denn es erweitert unseren Horizont.

 

Das ist das Besondere am Writers-in-Exile Programm des PEN, menschliche Nähe auf der Grundlage unseres Berufs. Wir sind Autoren. Wir arbeiten mit dem Wort, wir alle brauchen die Freiheit des Wortes für unsere Arbeit. Und dass wir hier, auf der Insel der Seligen in Mitteleuropa diese Freiheit genießen, gerät uns allzu oft aus dem Blick. Wir vom PEN, die wir täglich konfrontiert werden mit Ländern, in denen man wegen eines „falschen“ Wortes ins Gefängnis gesperrt oder gar ermordet wird, – zumindest wir – dürfen das nicht vergessen.


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