Pia Entenmann, Meik Clemens Laufer und Theresa Brüheim - 30. Januar 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Auswärtige Kultur- & Bildungspolitik (AKBP)

Brückenbauer am Bosporus


Deutsch-türkischer Kulturaustausch im Jahr 2020

Als Gemeinschaftsprojekt des Auswärtigen Amts, mittels der Deutschen Botschaft Ankara, und des Goethe-Instituts Istanbul ist die Kulturakademie Tarabya ein Residenzprogramm für Künstlerinnen und Künstler verschiedener Sparten in Istanbul. Ziel ist es, den kulturellen Austausch zwischen der Türkei und Deutschland voranzutreiben– auch in Zeiten wachsender politischer Differenzen. Theresa Brüheim spricht mit den beiden Verantwortlichen Meik Clemens Laufer und Pia Entenmann unter anderem darüber, wie heute kultureller Brückenbau zwischen beiden Ländern funktionieren kann.

 

Theresa Brüheim: Herr Laufer, Sie leiten als Referent des Kulturreferates der Deutschen Botschaft Ankara die Kulturakademie. Worin bestehen Ihre Aufgaben?

Meik Clemens Laufer: Wir unterscheiden gegenüber den Stipendiatinnen und Stipendiaten der Kulturakademie Tarabya immer gern in Hard- und Software. Wir arbeiten mit dem Goethe-Institut Hand in Hand, um diesen – durch den Deutschen Bundestag ermöglichten – fantastischen Kultur-Raum Tarabya zu nutzen. Das Auswärtige Amt ist zuständig für die Sicherung der Rahmenbedingungen, auch des politischen Rückhaltes, und die „Hardware“ der Kulturakademie. Das Goethe-Institut kümmert sich um die „Software“. Als Auswärtiges Amt kümmern wir uns in diesem Gemeinschaftsprojekt um die Zahlung der Stipendien an die bei uns residierenden Künstlerinnen und Künstler. Wir sorgen für die Instandhaltung und Verbesserung der Apartments und Ateliers. Wir helfen den Stipendiatinnen und Stipendiaten bei sämtlichen notwendigen Behördengängen in Istanbul – z. B. wenn es um Aufenthaltstitel in der Türkei geht. Als Leiter der Kulturakademie bin ich beisitzend in Beirat und Jury vertreten. Im Alltag impliziert die Rolle, dass ich die Stipendiatinnen und Stipendiaten regelmäßig treffe und – teils als Gastgeber – an Veranstaltungen der Kulturakademie teilnehme.

 

Frau Entenmann, Sie übernehmen vonseiten des Goethe-Instituts die kuratorische Verantwortung. Wie sieht diese aus?
Pia Entenmann: Die kuratorische Verantwortung umfasst insbesondere die künstlerische Betreuung der Stipendiatinnen und Stipendiaten, die Pflege und den Ausbau der Kontakte zur Kunst- und Kulturszene Istanbuls und der Türkei sowie die Planung und Durchführung eines eigenständigen Programms. Das Goethe-Institut kooperiert dabei mit türkischen Kulturstiftungen wie der Istanbuler Kunst- und Kulturstiftung IKSV, Universitäten wie der Mimar Sinan Universität, Museen wie dem Pera Museum oder ARTER, Galerien, Theatern sowie weiteren wichtigen Akteuren der Kulturszene und Zivilgesellschaft in der Türkei wie Anadolu Kültür oder SALT. Die kuratorische Verantwortung umfasst auch die Steuerung des Auswahlverfahrens für Stipendiatinnen und Stipendiaten – von der Ausschreibung bis zur Sitzung der unabhängigen Jury. Wie Herr Laufer nehme auch ich als Gast an den Sitzungen des Akademiebeirats teil.

 

Ziel der Kulturakademie Tarabya ist es, einen Beitrag zum deutsch-türkischen Kulturaustausch zu leisten. Wie ist es in Zeiten angespannter bilateraler Beziehungen um den Kulturaustausch bestellt?
Laufer: Als Kulturakademie Tarabya haben wir bislang 90 Kunst- und Kulturschaffenden je mindestens drei Monate lang die Gelegenheit geboten, in Tarabya bzw. in Istanbul zu leben, zu arbeiten und sich zu vernetzen. Die Kulturakademie Tarabya hat sich zum Ziel gesetzt, auf diese Weise kulturelle Brückenbauerinnen und Brückenbauer zu fördern, die gerade in politisch spannenden und nicht immer spannungsfreien Zeiten einen wichtigen Beitrag für die deutsch-türkischen Beziehungen leisten. Tarabya schafft einen geschützten Raum für kulturelle Arbeit und Dialog. Denn klar ist auch: Die Kunst- und Kulturszene wie auch die Zivilgesellschaft in der Türkei fühlen sich unter Druck. Viele Akteure haben in den letzten Jahren das Land verlassen. Internationale Künstlerinnen und Künstler haben es teilweise sogar gemieden. Mit der Kulturakademie Tarabya konnten wir einen Beitrag leisten, den Austausch und die Kommunikationskanäle zwischen Deutschland und der Türkei, auch über den Bereich Kunst und Kultur hinaus, zu fördern – und das war ja auch die Idee des Deutschen Bundestages, als dieses Projekt initiiert wurde.
Entenmann: Gerade aufgrund der Situation vor Ort sind die Erwartungen seitens der türkischen Zivilgesellschaft und insbesondere der Kulturszene an uns hoch. Auch deshalb ist in diesen Zeiten ein Residenzprogramm besonders wertvoll, weil die Stipendiatinnen und Stipendiaten über einen längeren Zeitraum ein Vertrauensverhältnis zu türkischen Kunstschaffenden aufbauen können. So entstehen weit über die Stipendiendauer hinaus nachhaltige Beziehungen. Von institutioneller Seite unterstützen wir die Verbindung zur türkischen Zivilgesellschaft mit zahlreichen Projekten jährlich 40 Veranstaltungen mit Partnern vor Ort und Networking-Formaten: Mit den wöchentlich stattfinden „Tarabya Tuesdays“ haben wir eine Plattform geschaffen, zu der wir Vertreterinnen und Vertreter der lokalen Szene nach Tarabya einladen. Außerdem haben wir im November 2019 erstmals ein Netzwerktreffen der anderen Art – ein kulturelles Speed-Dating auf einem Bosporus-Schiff – organisiert. So konnten die Stipendiatinnen und Stipendiaten sich mit wichtigen Akteuren aus der hiesigen Kunst- und Kulturwelt vernetzen. An der großen Anzahl und Diversität der Teilnehmenden sieht man, dass auch von türkischer Seite das Interesse an einem Austausch ungebrochen hoch ist.

 

Zahllose deutsche und türkische Medien- und Kulturschaffende sind in der Türkei nicht nur unter Druck, sondern auch willkürlich inhaftiert worden. Wie beeinflusst diese Situation die Arbeit der Kulturakademie?
Laufer: Die Situation für Zivilgesellschaft, Medien- und Kulturschaffende in der Türkei ist schwierig. Natürlich hat das Image der Türkei in Deutschland in den letzten Jahren darunter gelitten. Neuanreisende Stipendiatinnen und Stipendiaten hatten uns besonders in den Jahren 2016 und 2017 noch vor Antritt des Stipendiums oft telefonisch konsultiert und um eine Lageeinschätzung gebeten. Dennoch haben bislang nur ganz Wenige ihr Stipendium aus Sorge vor der politischen Lage nicht angetreten. Diese Fälle ereigneten sich allesamt in den Jahren 2016 und 2017 – einer besonders turbulenten Phase. Unsere Aufgabe ist es, uns auf die Lage im Land einzustellen und damit umzugehen. Weder wir noch die bei uns residierenden Künstlerinnen und Künstler leben im luftleeren Raum, sondern wir befassen uns persönlich und in unserer Arbeit oft mit politischen Themen. Das lässt sich nicht ausblenden.

Entenmann: Als kuratorisch verantwortliche Instanz beschäftigen uns natürlich oft Fragen der künstlerischen Freiheit, für die wir als Goethe-Institut stehen, und andererseits die Fürsorgepflicht für unsere Stipendiatinnen und Stipendiaten sowie deren lokale Partner. Einmal jährlich organisieren wir ein großes Festival auf dem Gelände der Sommerresidenz des Deutschen Botschafters, dort zeigen wir auch die entstandenen Werke: So zeigte eine Stipendiatin ihren Dokumentarfilm, der eine Umweltgruppe begleitet, die sich gegen den Neubau des Istanbuler Flughafens eingesetzt hatte. Auch andere künstlerische Positionen – z. B. eine Video-Arbeit zum Atatürk-Kulturzentrum – zeigen, wie stark die Stipendiatinnen und Stipendiaten mit der türkischen Zivilgesellschaft interagieren. Die Kulturakademie Tarabya steht für künstlerische Freiheit, das zeigt sich in unterschiedlichen Werken immer wieder.

 

Verzeichnen Sie dennoch in den Jahren seit dem Putsch 2016 zurückgehende Bewerberzahlen? Oder sind diese gleichgeblieben?
Entenmann: Wir haben das Verfahren für die Vergabe von Stipendien im Jahr 2017 umgestellt – von Nominierung auf Bewerbung. Die Umstellung war von Akademiegründung an geplant – fiel dann aber auf ein Jahr, in dem die politische Situation in der Türkei wie auch die bilateralen Beziehungen besonders angespannt waren. Wir hatten uns in diesem Moment ernsthafte Gedanken gemacht, ob wir ausreichend qualifizierte Bewerbungen bekommen würden. Dennoch hat ein mögliches Stipendium an der Kulturakademie Tarabya seinerzeit insgesamt rund 300 Künstlerinnen und Künstler motiviert, ihre Bewerbung einzureichen – und das bei nur etwa 20 Plätzen, die wir jährlich vergeben. Auch 2018 und 2019 hatten wir ähnlich viele Bewerbungen, die sich übrigens mit denen von etablierten Residenzprogrammen wie der Villa Kamogawa in Japan vergleichen lassen.

 

Jährlich ermöglichen Sie rund 20 Stipendiatinnen und Stipendiaten einen Aufenthalt in der Kulturakademie Tarabya. Wie sieht dieser aus?
Laufer: Seitdem wir 2017 auf ein Bewerbungsverfahren umgestellt haben, bleiben die Stipendiatinnen und Stipendiaten in der Regel vier oder acht Monate in Tarabya. Eine Verlängerung – zu einem späteren Zeitpunkt – ist laut Statut der Kulturakademie auf bis zu zehn Monaten insgesamt möglich. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten wohnen in der Zeit auf dem Gelände der historischen Sommerresidenz des Deutschen Botschafters in Tarabya. Ein malerisches, 20 Hektar großes Anwesen mit mehreren weißen Holzvillen – eine davon die Kulturakademie – und einem großen Park. Ein Ort der Ruhe und Abgeschiedenheit in der Millionenmetropole Istanbul. Sie erhalten ein monatliches Stipendium in Höhe von 2.500 Euro und werden von unserem Team der Kulturakademie im Alltag vor Ort in Tarabya unterstützt. Abhängig von Art der Arbeit und Arbeitsstil verbringen die unterschiedlichen Künstlerinnen und Künstler mehr oder weniger Zeit auf dem Gelände – und entsprechend mehr oder weniger Zeit in der Stadt oder im Land selbst. Es besteht keine Produktionspflicht. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten müssen lediglich sicherstellen, dass sie etwa 90 Prozent der Stipendiendauer vor Ort sind, also nicht außerhalb der Türkei, denn sie sollen dieses außergewöhnliche Land ja auf eine besondere Art kennenlernen.

 

Wie werden die Stipendiatinnen und Stipendiaten ausgewählt? Was sind die Kriterien?
Entenmann: Die Auswahl erfolgt in einem fünfstufigen Verfahren: Zuerst sichtet das Goethe-Institut Istanbul die Bewerbungen nach formalen Kriterien. So dürfen sich z. B. ausschließlich in Deutschland lebende Künstlerinnen und Künstler auf das Stipendium bewerben. Anschließend bewerten deutsche und türkische Fachberaterinnen und -berater in allen Sparten die Bewerbungen in ihrer jeweiligen Disziplin und vergeben Punkte. Kriterien sind die künstlerische Qualität und Ästhetik des vorliegenden Portfolios, die Relevanz und der Innovationscharakter in der zeitgenössischen Kulturszene Deutschlands, aber auch das interkulturelle Potenzial des Werks bezogen auf die Türkei und die Motivation der Künstlerin oder des Künstlers, nach Istanbul zu kommen. Das Urteil der Expertinnen und Experten ist für die fünfköpfige Jury – neben dem Beirat der Kulturakademie unser wichtigstes Entscheidungsgremium – nicht bindend, dient dieser aber als Orientierung und Hilfestellung bei der Sichtung der vielen Bewerbungen. Die Jury empfiehlt ihre Auswahl an Stipendiatinnen und Stipendiaten schließlich dem Stipendienausschuss, bestehend aus der Juryvorsitzenden Feo Aladag, der Beiratsvorsitzenden Staatsministerin Michelle Müntefering und uns als Leitung der Kulturakademie Tarabya.

 

Was planen Sie in Zukunft für die Kulturakademie Tarabya?
Entenmann: Für die Zukunft liegt ein Fokus auf Alumni-Arbeit. Neben in den letzten Jahren eingeführten Formaten wie einem Alumni-Newsletter, Alumni-Treffen und der Einbeziehung von Alumni in Veranstaltungen haben wir gerade erstmals ein Fonds für ehemalige Stipendiatinnen und Stipendiaten der Kulturakademie Tarabya eingerichtet. Ziel des Fonds ist die Förderung nachhaltiger Beziehungen zur Türkei sowie neuer kollaborativer Arbeitsprozesse und innovativer Produktionen im deutsch-türkischen Kulturaustausch. Der Fonds bietet den inzwischen über 90 Alumni die Möglichkeit, sich zweimal jährlich auf maßgenaue Förderlinien zu bewerben: auf Recherchereisen, Übersetzungsförderung und (Ko-)Produktionsförderung. Vor einem Jahr haben wir zudem eine Auswahl von in Tarabya entstandenen künstlerischen Positionen erstmals auch in Berlin bei einer großen Werkschau im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – präsentiert und planen auch künftig immer wieder Formate in Deutschland.
Laufer: Wichtig ist uns, dass wir die Kulturakademie Tarabya immer mehr als eigene Institution und Marke aufbauen. Wir haben das in den letzten Jahren – vor allem in der Öffentlichkeitsarbeit – angestoßen und müssen das stetig weiter vorantreiben. Ziel ist und bleibt es – so wie es der Deutsche Bundestag seinerzeit vorgesehen hatte –, kulturelle Brücken zu bauen, die die deutsch-türkischen Beziehungen im Bereich Zivilgesellschaft, Kunst und Kultur weiter mit Leben füllen und somit stärker und robuster machen. Wenn es uns gelingt, die Güte und Menge der jährlichen Bewerbungen auf aktuellem Niveau zu verstetigen, sehe ich uns auf einem guten Weg.

 

Vielen Dank.

 

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.


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