Günther Wessel - 1. September 2015 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturgutschutzgesetz

Nachschub für einen gigantischen Markt


Raubgrabungen zerstören das kulturelle Erbe der Menschheit

Die Wüste wirkt wie der Ort eines Massakers aus längst vergangenen Zeiten: Schädelplatten, Oberschenkel, Rippenbögen – überall menschliche Knochen, achtlos übereinander geschaufelt. Mal ein kleines Stück bemaltes Holz, eine Tonscherbe, Reste von Bandagen, mit denen Mumien umwickelt waren. Und wieder Knochen. Alles zu Haufen aufgeschaufelt, dazwischen dunkle Löcher.

 

Abu Sir al Malaq, eine gute Autostunde südlich von Kairo. Hier gruben die deutschen Archäologen Otto Rubensohn und Georg Möller Anfang des 20. Jahrhunderts eine ausgedehnte Nekropole aus. Ihre Arbeiten endeten 1908. Danach versandeten die Gräber wieder. Heute sind hier Raubgräber zugange. Die Löcher sind tief, manche mit befestigten Rändern, manche einfach in Sand und Schotter gewühlt. Viele führen senkrecht hinab. Ein Stein rutscht hinein. Es dauert mehr als zwei Sekunden bis er aufschlägt. „Abu Sir war für seine bemalten Sarkophage berühmt“, sagt die ägyptische Archäologin Monica Hanna. Sie sagt bewusst „war“ statt „ist“, denn sie dokumentiert seit einiger Zeit die Raubgrabungen und weiß, dass das Gräberfeld zu mehr als 90 Prozent geplündert wurde.

„Seit etwa 25 Jahren boomt das Geschäft mit geraubten Kulturgütern.“

Seit etwa 25 Jahren boomt das Geschäft mit geraubten Kulturgütern. Auch davor wurde in vielen Ländern illegal gegraben und wurden Grabungsfunde geschmuggelt. Doch seit der Nahe Osten und Nordafrika von politischen Unruhen erschüttert werden, nehmen die Raubgrabungen immer stärker zu. Der Ägyptische Minister für Antiken, Mamdouh El-Damaty, schätzt, dass sich seit 2011 die Menge der raubgegrabenen und gestohlenen Artefakte aus seinem Land verdoppelt hat und Markus Hilgert, Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin, spricht davon, dass im Irak seit etwa 25 Jahren systematisch geplündert wird. Die Raubgräber liefern Nachschub für einen gierigen Markt, der seit den 1990er Jahren explodiert. „Damals stürzten sich viele Leute mit Geld auf Antiken“, sagt der Archäologe Michael Müller-Karpe vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz. „Aktien sind in ihrem Wert verfallen, auch Devisenspekulationen waren nicht mehr so lohnend.“

 

Statt Aktien kaufte man Antiken. „Manche Antiken sind tatsächlich wie Gold“, sagte der auf Altertümer spezialisierte Kunsthändler Gordian Weber schon im Mai 2010 im Gespräch mit der Welt am Sonntag. Sehr hohe Preise werden dabei für ägyptische Kunstwerke gezahlt – den Höchstpreis für 2014 erzielte die 75 Zentimeter große Statue des Schreibers Sekhmeka, die in London für 14 Millionen Pfund zugeschlagen wurde. Den absoluten Rekord für Altertümer setzte aber im Dezember 2007 eine nur acht Zentimeter großes Sandsteinfigur, eine Löwin mit menschlichen Gliedmaßen, 5000 Jahre alt und aus dem heutigen Irak stammend, bei einer Auktion von Sotheby‹s in New York: Sie brachte 57 Millionen Dollar.

 

Sieht man diese Preise, muss man sich nicht wundern, dass nicht nur Kriminelle, sondern auch Terrorgruppen sich mit dem Verkauf illegal ausgegrabener Antiken finanzieren. So ist recht sicher, dass der „Islamische Staat“ (IS) in Syrien und dem Irak nicht nur antike Stätten zerstört, sondern Kunstwerke auch plündert und gewinnbringend verkauft oder an ihrem Schmuggel und Verkauf mitverdient. Harte, wirklich belastbare Beweise sind naturgemäß nur schwer zu finden, aber genügend Indizien. Françoise Bartolotti aus der Abteilung Drogen, organisierte Kriminalität und Kunstraub in der Interpol-Zentrale in Lyon sagt daher im Dezember 2014 im Interview zwar nicht, dass der IS selbst grabe, dass er aber „die Bevölkerung ermutige, auszugraben. Er kassiert dann eine Steuer auf die Gewinne, die damit gemacht werden.“

 

Dass in Ägypten überall archäologische Stätten geplündert werden, weiß Monica Hanna. „Von Assuan bis Alexandria. Wir haben schon nahe den Pyramiden von Gizeh Grabungslöcher gefunden.“ Dabei habe sich das Geschäft der Raubgräber professionalisiert: Waren es erst nur die Leute aus den Dörfern, die wegen der Wirtschaftskrise ihre Ernten nicht mehr verkaufen konnten, sind es heute gut organisierte Banden mit Experten, die genau wüssten, wo sie graben müssten. „Sie nutzen Ultraschallgeräte, um die Grabschächte zu finden, sie setzen schwere Maschinen ein, um Gräber leerzuräumen.“ Und sie schrecken nicht vor Gewalt zurück: Hanna erzählt, dass Raubgräber bereits auf sie schossen, auch sei es schon zu Schießereien zwischen Wächtern von Grabungsstätten und Grabräubern gekommen.

 

Davon ahnt der Sammler kaum etwas, der bei einem Auktionshaus oder einer Galerie eine Statuette, einen Kanopenkrug oder einen Uschebti kauft. Dort werden die Artefakte mit alten Provenienzen angeboten. Wie noch im Frühsommer dieses Jahres durch eine Oberhausener Galerie. Im Angebot: eine Elfenbein-Statuette aus der Spätzeit des pharaonischen Ägypten (664 bis 332 v. Chr.). Die fünf Zentimeter große Figur eines Mannes mit einer Gazelle auf den Schultern wurde angeblich um 1900 in Ägypten ausgegraben, kam dann in eine New Yorker Sammlung und ab den 1960er Jahren in eine deutsche Privatsammlung. In Wirklichkeit ist sie aber 2013 aus einem Grabungsmagazin in Elephantine gestohlen worden.

Der Oberhausener Galerist gab das Stück an Ägypten zurück. Folgen hat der geplatzte Deal für ihn keine. Denn er kann sich auf die Position zurückziehen, das Artefakt in gutem Glauben erworben zu haben, jemand, der es ihm abgekauft hätte, erst recht. Ägypten hätte dann sein Eigentum bei jetziger Gesetzeslage zwar zurückverlangen, aber den Eigentumsanspruch vor Gericht kaum durchsetzen können. Konfrontiert man Händlervertreter mit solchen Beispielen, sprechen diese von Einzelfällen. Für sie stammen die meisten Antiken, die in Deutschland gehandelt werden aus alten Sammlungen, wie es auch Ursula Kampmann, die Sprecherin der International Association of Dealers in Ancient Art (IADAA) sagt. Sie spricht von riesigen alten Adelssammlungen mit Tausenden von Objekten, was Friederike Fless, Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts, nur lächeln lässt: „So viele alte Sammlungen gibt es überhaupt nicht wie es Objekte gibt, die auf den Markt kommen.“ Und sie sagt, dass man an das Bewusstsein der Sammler appellieren sollte: Diese müssten lernen, dass die Artefakte überwiegend illegal hierhergekommen seien und aus Raubgrabungen stammten, und dass der Schmuggel von gestohlenen oder illegal ausgegrabenen Antiken kein Kavaliersdelikt sei.

 

Viel mehr eine Boombranche der Kriminalität. Sylvelie Karfeld, die sich beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden mit dem Thema befasst, zitiert Schätzungen des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (United Nations Office on Drugs and Crime, UNODC), nach denen die Umsätze des illegalen Antikenhandels jährlich bei sechs bis acht Milliarden US-Dollar liegen. Damit konkurriert der Antikenhandel um einen der vorderen Plätze auf der Liste der umsatzstärksten illegalen Erwerbsquellen.
Natürlich sind alle Zahlen Schätzungen – es gibt keine genauen Erkenntnisse. Das liege in der Natur der Sache, sagt Markus Hilgert, der Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin. Er ist auch Koordinator des seit Frühjahr 2015 angelaufenen und zunächst auf drei Jahre befristeten Forschungsprojektes ILLICID, das den illegalen Handel mit Kulturgut in Deutschland untersuchen soll. „In der Kriminologie spricht man von einem Dunkelfeld: Man kennt die Akteure nicht unbedingt, man weiß nicht, wie diese agieren und welche Netzwerke sie nutzen. Man weiß auch relativ wenig über den genauen Umsatz in diesem Dunkelfeld, man weiß wenig über die Objekte und deren Stückelung.“ All das gelte es erst zu erforschen.

„Die deutsche Rolle in dem Geschäft ist unrühmlich.“

Doch insgesamt reden Archäologen nicht so gern über den monetären Wert von Antiken. Sie betonen vielmehr, dass mit den illegalen Ausgrabungen die Vergangenheit von Völkern vernichtet wird. Denn für die Wissenschaft und das kulturelle Gedächtnis der Menschheit sind die isolierten Kunstgegenstände verloren. Sie erzählen keine Geschichte mehr. Sind sie erst einmal im Ausland, in der Hand von Händlern oder Sammlern, weiß oft keiner mehr, wo sie ausgegraben wurden. Was lag sonst in dem Grab? Gab es ein Skelett, Mann oder Frau? Gab es Waffen, gab es Schmuck? Welche Gebrauchsgegenstände waren dem Verstorbenen mitgegeben?

 

Und die Archäologen betonen eines: „An vielen Stücken klebt Blut“, sagt Michael Müller-Karpe. Es sind nicht nur Opfer des Terrors in Bürgerkriegsstaaten, oft genug sind es Kinder, die in ungesicherte Schächte kriechen, um die Kostbarkeiten aus dem Boden zu holen. Die ägyptische Archäologin Monica Hanna bestätigt seine Aussage: „Es ist ein Verbrechen, bei dem Kinder sterben. Da hängen Menschenleben dran.“

 

Die deutsche Rolle in dem Geschäft ist unrühmlich. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Monika Grütters, gibt zu, dass „es relativ laxe Einfuhrregeln nach Deutschland gibt, was antike Kunstwerke angeht und dass deshalb hier der Handelsplatz möglicherweise auch für Illegales interessant sein könnte.“ Den Konjunktiv braucht es hier nicht: Deutschland ist – solange das Kulturgüterschutzgesetz nicht geändert wird – für den illegalen Antikenhandel sehr interessant.


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