1. September 2015 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturgutschutzgesetz

Kulturgut verpflichtet!


Die Gesetzesnovelle zum Kulturgutschutz läutet einen längst überfälligen Paradigmenwechsel ein

Der ägyptische Literaturnobelpreisträger Nagib Mahfuz begann seine literarische Karriere Ende der 1930er Jahre mit Romanen über die Pharaonenzeit: Er schilderte den Alltag in den Palästen, Tempeln und Hütten so anschaulich, als wäre er selbst als Priester oder Pyramidenarbeiter mit dabei gewesen. Damit hat er, wie wohl kaum ein anderer Schriftsteller, das Alte Ägypten und seine Kultur wieder auferstehen lassen und weckt bis heute bei vielen Leserinnen und Lesern die Neugier, die historischen Orte zu besuchen.

 

Die materiellen Zeugnisse aus der Pharaonenzeit gehören zum Kulturerbe der Menschheit, das heute in Folge von Kriegen und Krisen in vielen Ländern der Welt bedroht ist. In Ägypten ist vor allem das historische Erbe am Nil betroffen: Noch nie zuvor wurden so viele Objekte aus der Pharaonenzeit gestohlen und illegal gehandelt wie seit Beginn der Revolution im Frühjahr 2011, auch wenn die ägyptische Regierung um Schadensbegrenzung sehr bemüht ist. Doch nicht nur in Ägypten, sondern auch in vielen anderen Ländern der Welt ist das Kulturerbe der Menschheit infolge bewaffneter Konflikte und Krisen bedroht. Manchmal ist es der Kampf ums nackte Überleben, der Menschen, die einst vom Tourismus lebten, zu Plünderern macht. In vielen Fällen jedoch handelt es sich um organisierte Kriminalität und zum Teil international agierende Banden, die hinter Raubgrabungen und dem illegalen Handel mit Kulturgut stecken – von den unzähligen Fällen ganz zu schweigen, in denen islamistische Terroristen kulturelle Stätten aus ideologischen Gründen zerstören wie derzeit vor allem in Syrien, aber auch im Irak.

„Wo Staaten nicht oder nicht mehr in der Lage sind, ihre Kunstschätze zu schützen, steht die Staatengemeinschaft in der Verantwortung“

Wo Staaten nicht oder nicht mehr in der Lage sind, ihre Kunstschätze zu schützen, steht die Staatengemeinschaft in der Verantwortung. Dass auch Deutschland zum Schutz des kulturellen Erbes der Menschheit beitragen kann und muss, steht außer Frage. Deshalb gehören die Umsetzung des neuen EU-Rechts – genauer – der Kulturgüterrückgabe-Richtlinie von Mai 2014 sowie die verbesserte Umsetzung der UNESCO-Konvention von 1970 zu den Schwerpunkten der Novellierung des Kulturgutschutzes – unabhängig von der hitzig geführten Debatte um den Schutz von national wertvollem Kulturgut in Deutschland. Die UNESCO-Konvention zum Kulturgutschutz aus dem Jahr 1970 wurde hierzulande erst relativ spät, nämlich 2007, ratifiziert und im Kulturgüterrückgabegesetz umgesetzt – mit relativ laxen Regelungen, was beispielsweise die Einfuhr von Kulturgut, aber auch die Rückgabe wichtiger Kulturwerke angeht. Obwohl es Beschlagnahmungen und zahlreiche Rückgabeansprüche ausländischer Staaten gegeben hat, ist bisher kein einziges Objekt auf Grundlage dieses Gesetzes zurückgegeben worden. Zwar gab es in den vergangenen Jahren freiwillige Rückgaben und Restitutionen aufgrund strafrechtlicher Vorschriften, zum Beispiel an Ägypten oder den Irak. Doch das Gesetz, das eigentlich dafür geschaffen wurde, kam nicht zum Zug. Der Grund: Bisher mussten Antiken in Verzeichnisse der Herkunftsländer eingetragen sein, damit der Rückgabeanspruch in Deutschland greifen konnte. Auch die nachträgliche Eintragung für bis dato unbekannte archäologische Objekte läuft in der Praxis leer. Ebenso wenig bewährt hat sich die bisherige Einfuhrregelung, wonach ausländische Staaten ihr Kulturgut in ein zusätzliches deutsches Verzeichnis eintragen lassen sollten, damit der deutsche Zoll diese Kulturgüter im Falle einer Einfuhr nach Deutschland beschlagnahmt. Staaten, die in Kriege und Krisen involviert sind – und das sind nun einmal leider viele Staaten mit einem besonders reichen kulturellen Erbe –, führen in der Regel keine umfassenden Verzeichnisse über ihr Kulturgut, sondern schützen kraft Gesetzes das gesamte archäologische Erbe, das strikten Handels- und Ausfuhrbestimmungen unterliegt. Hinzu kommt, dass all das, was illegal ausgegraben wurde, aus eben diesem Grund auf keiner staatlichen Liste auftauchen kann, selbst wenn es sie gäbe.

 

Deshalb will ich mit der Gesetzesnovelle zum Kulturgutschutz einen längst überfälligen Paradigmenwechsel einläuten: Wer in Zukunft Antiken nach Deutschland einführt, braucht eine gültige Ausfuhrerlaubnis des jeweiligen Herkunftslandes, die bei Einfuhr vorzulegen ist. Das gilt auch für Touristen. Das sogenannte „Souvenir“ aus dem Ägypten- oder Türkeiurlaub ist unter Umständen eben kein „Souvenir“, sondern eine illegale Ausfuhr geschützten Kulturgutes, wenn es denn ein echtes Stück ist und keine billige Replik. Im Sinne einer transparenten Regelung werden die Ausfuhr- und Schutzbestimmungen für Kulturgut ausländischer Staaten auf dem von meinem Hause getragenen Internetportal www.kulturgutschutz-deutschland.de aufgeführt. Das bestehende Informationsangebot des Portals zum Kulturgutschutz soll deutlich erweitert werden, auch um deutsche Touristen darüber aufzuklären, wann sie sich bei der Mitnahme von Kulturgut im Ausland strafbar machen.

„Kulturgut verpflichtet – das gilt für alle, die mit Kulturgut zu tun haben“

Auch beim Verkauf von Kulturgut im Inland soll in Zukunft anhand klarer gesetzlicher Sorgfaltspflichten geprüft werden, ob das Objekt über einen hinreichenden Herkunftsnachweis verfügt. Damit soll sichergestellt werden, dass der Antikenhandel sich künftig auf Objekte eindeutiger und legaler Herkunft beschränkt. Außerdem wird es gesetzliche Regelungen geben, die die Rückgabe von unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern an die berechtigten Herkunftsstaaten erleichtern. Mit einem solchen klar abgesteckten, gesetzlichen Rahmen für die Ein- und Ausfuhr, den An- und Verkauf antiker Objekte tragen wir sowohl den völkerrechtlichen Anforderungen der UNESCO-Konvention von 1970, den Evaluierungsergebnissen des Berichts der Bundesregierung zum Kulturgutschutz vom April 2013, als auch geltenden EU-Vorgaben Rechnung – genauer: der neuen EU-Richtlinie zur Rückgabe von Kulturgut vom Mai 2014, zu deren Umsetzung wir ohnehin EU-rechtlich verpflichtet sind.

 

Allein der Verdacht, dass Deutschland sich als internationale Drehscheibe für Hehlerware eignet, ist mit unserem Selbstverständnis als Kulturnation nicht zu vereinbaren. Kulturgut verpflichtet – das gilt für alle, die mit Kulturgut zu tun haben: für Händler und Sammler, aber auch für Museen und andere Kultureinrichtungen. Sie sind gefordert, ihre Bestände sorgfältig auf Provenienz hin zu überprüfen, so wie auch im Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut. Die politischen Entwicklungen der letzten Zeit und die Berichte über den »Islamischen Staat« und den Antikenschmuggel haben zum Glück – wenn man in diesem Zusammenhang überhaupt von „Glück“ reden kann – die Handlungsbereitschaft erhöht. Die Novellierung des Kulturgutschutzes in Deutschland war aufgrund der notwendigen EU-rechtlichen Anpassung schon lange vorher geplant, doch jetzt entsteht zunehmend auch ein breites öffentliches Bewusstsein für das Ausmaß der Bedrohung des kulturellen Erbes der Menschheit und damit für die Notwendigkeit, ihr mit klaren gesetzlichen Vorgaben entgegenzutreten.


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