Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz - 25. April 2016 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturgutschutzgesetz

Interessenausgleich


Im europäischen Vergleich ist das neue deutsche Kulturgutschutzgesetz eher milde

Ganz zum Schluss kam bei der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestags am 13. April 2016 zum Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts“ eine der Fragen, die eine gewisse Erleichterung im Auditorium auslösten. Die Stellvertretende Ausschussvorsitzende Herlind Gundelach fragte, wie die vorgesehenen deutschen Regelungen denn im Konzert der geplanten oder bereits umgesetzten Regelungen zum Kulturgüterschutz in Europa aussähen. Die Sachverständige Kerstin Odendahl, Geschäftsführende Direktorin des Walther-Schücking-Instituts an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, antwortete knapp und präzise, dass die deutschen Vorschriften im Vergleich zu denen anderer EU-Mitgliedstaaten eher milde einzuschätzen sind und keinesfalls zu den besonders strengen gehören. Mit dieser unprätentiösen Antwort wurden verschiedene Horrorszenarien, die zuvor an die Wand gemalt wurden, relativiert. Und die Argumentation, dass insbesondere der deutsche Kunsthandel gegenüber den europäischen Wettbewerbern benachteiligt würde, fiel wie ein Kartenhaus zusammen.

 

Doch der Reihe nach: Ausgangspunkt der gesamten Debatte um das Kulturgutschutzgesetz ist die EU-Richtlinie zum Kulturgutschutz, die im Mai 2014 verabschiedet wurde und von den EU-Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden muss. Die Bundesregierung nahm diese Pflicht zum Anlass, den bisher in drei verschiedenen Gesetzen geregelten Kulturgutschutz gründlich zu überarbeiten. Herausgekommen ist ein Gesetz, in dem Ein- und Ausfuhr und Rückgabe von Kulturgütern zusammen geregelt werden. Bis zum Regierungsentwurf des Kulturgutschutzgesetzes, der in der Anhörung im Mittelpunkt stand, war ein langer Weg. Am Anfang stand ein Fragenkatalog der Bundesregierung zum Kulturgutschutz. In der ersten Anhörung der Bundesregierung zu diesem Fragenkatalog wurden bereits die unterschiedlichen Interessen von Museen, Wissenschaft, Handel und Sammlern deutlich. Der dann von Kulturstaatsministerin Monika Grütters MdB vorgelegte Referentenentwurf stieß auf harsche Kritik im Kunsthandel und bei Sammlern. Auch der Deutsche Kulturrat hat in seiner Stellungnahme zu diesem ersten Entwurf Verbesserungen vorgeschlagen. Der im November 2015 vorgelegte Regierungsentwurf hat verschiedene Monita aufgenommen. Nach der anschließenden Beratung im Bundesrat und der Gegenäußerung der Bundesregierung fand am 18. Februar 2016 die erste Lesung im Deutschen Bundestag statt. Der federführende Ausschuss für Kultur und Medien führte die bereits erwähnte Anhörung am 13. April 2016 durch. Der Deutsche Kulturrat hatte sich zuvor zum Regierungsentwurf auf der Basis seiner bestehenden Stellungnahmen, die nach wie vor Gültigkeit haben, mit einer weiteren Stellungnahme positioniert.

„Es werden die Spielräume, die die EU-Richtlinie vorgibt, genutzt, um beiden Seiten gerecht zu werden.“

Die 14 Sachverständigen, die der Kulturausschuss geladen hatte, hatten zuvor Gelegenheit einen 34 Fragen umfassenden Fragenkatalog zu beantworten. Eingeladen waren: Christoph Andreas (Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler), Johanna Eder (Vorsitzende der Deutschen Naturwissenschaftlichen Forschungssammlungen, DNFS), Markus Eisenbeis (Geschäftsführender Gesellschafter des Auktionshauses Van Ham in Köln und Vizepräsident des Bundesverbandes deutscher Kunstversteigerer), Harald Falckenberg (Sammler und Professor für Kunsttheorie an der Hochschule für bildende Künste Hamburg), Dorothee Hansen (Stellvertretende Direktorin der Kunsthalle Bremen), Markus Hilgert (Direktor des Vorderasiatischen Museums – Staatliche Museen zu Berlin), Silvelie Karfeld (Hauptkommissarin beim Bundeskriminalamt), Robert A. Kugler (Rechtsanwalt, Höly, Rauch & Partner Berlin), Sophie Lenski (Lehrstuhlinhaberin für Staats- und Verwaltungsrecht, Medienrecht, Kunst- und Kulturrecht an der Universität Konstanz), Arnold Nesselrath (Stellvertretender Direktor der Vatikanischen Museen und Professor für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin), Kerstin Odendahl (Geschäftsführende Direktorin des Walther-Schücking-Instituts an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel), Isabel Pfeiffer-Poensgen (Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder), Kristian Nicol Worbs (Präsident der Deutschen Numismatischen Gesellschaft) und Olaf Zimmermann (Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates).

 

Definition national wertvollen Kulturguts
Bereits in der Frage der Definition national wertvollen Kulturguts gehen die Meinungen auseinander. Der Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler hält generell den Begriff national wertvollen Kulturguts für antiquiert und rückwärtsgewandt. Angesichts der Globalisierung sollte sich eher auf internationale als auf nationale Entwicklungen bezogen werden. Daraus wird geschlussfolgert, dass allenfalls exponierte, singuläre Werke unter Kulturgutschutz gestellt werden sollten. Auch der Bundesverband der Kunstversteigerer vertritt die Auffassung, dass nur wenige einmalige und einzigartige Werke unter Kulturgutschutz gestellt werden sollten. Auch der Deutsche Kulturrat hat in seinen Positionierungen zum Kulturgutschutzgesetz stets betont, dass der Begriff national wertvolles Kulturgut nicht inflationär gebraucht werden sollte. Er sieht allerdings auch keine Gefahr, dass dies künftig geschehen könnte, da zum einen die Praxis belegt, dass nur wenige Werke in die bestehenden Listen national wertvollen Kulturguts aufgenommen werden und zum anderen die Hürden im neuen Gesetz bewusst hoch angesetzt sind. Auf den bisherigen von den Ländern geführten Listen national wertvollen Kulturguts sind derzeit etwa 2.700 Werke geführt. Das aktuelle Kulturgutschutzgesetz wurde vor über 60 Jahren eingeführt, was alleine schon ein Hinweis ist, dass es sich um besondere Werke handeln muss, die unter Kulturgutschutz gestellt werden. Auch die Kulturstiftung der Länder, in der Anhörung vertreten durch die Generalsekretärin Isabel Pfeiffer-Poensgen, unterstreicht, dass die vorgesehenen Definitionen einen guten Rahmen bieten und an bestehende anknüpfen. Isabel Pfeiffer-Poensgen appellierte mit Verve den Sachverständigenausschüssen einen Vertrauensvorschuss zu geben. Schon jetzt werden vor der Eintragung von Kulturgütern in die Listen national wertvollen Kulturguts Sachverständige einbezogen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass diese Experten aus der Wissenschaft, den Museen aber auch dem Handel über sehr gute Kenntnisse im Kulturgutschutz verfügen und jede Eintragungsentscheidung genau abwägen. Diese Einschätzung wurde von anderen Sachverständigen bei der Anhörung geteilt.

 


National wertvolles Kulturgut in Privatbesitz
Entzündet hat sich die gesamte Diskussion um das Kulturgutschutzgesetz vor allem an der Frage, was mit national wertvollem Kulturgut geschieht, das sich in Privatbesitz befindet. Hier stellt sich die Frage, ob die vorgesehenen Beschränkungen zur Ausfuhr von Kulturgut nicht die Eigentumsrechte berühren. Von Seiten des Kunsthandels wurde diese Frage mit der Zugänglichmachung von Kulturgut verknüpft und es wurde die Argumentation aufgebaut, dass national wertvolles Kulturgut eigentlich öffentlich zugänglich gemacht werden muss. Eine solche Zugänglichmachung wäre aber ein Eingriff in die Eigentumsrechte, also ergibt sich hieraus, dass wenn der Staat Kulturgut als national wertvoll einstufen will, er dieses auch erwerben muss. Diese Argumentation wurde von anderen nicht geteilt. Vom Deutschen Kulturrat wurde eine Analogie zum Denkmalschutz in die Diskussion eingebracht. Unter Denkmalschutz stehende Gebäude müssen nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sein, sind aber dennoch denkmalgeschützt. Der Staat schafft allerdings mittels des Steuerrechts Anreize Denkmäler für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ähnliche Anreize gibt es bereits für national wertvolles Kulturgut, hier kann aber durchaus über weitere Verbesserungen im Rahmen von steuerpolitischen Diskussionen nachgedacht werden.

 

Zeitliche Komponente
Von Seiten der Kunstversteigerer wurde in die Anhörung der Vorschlag eingebracht, dass nur Kunstwerke, die sich bereits 50 Jahre in Deutschland befinden, als national wertvolles Kulturgut eingetragen werden können. Auch die Galeristen und Kunsthändler plädieren für eine solche Frist. Andere Verbände wie z. B. der Deutsche Museumsbund lehnen zeitliche Fristen ab. Auch die Kulturstiftung der Länder hält die geforderte Frist für nicht überzeugend. Der Deutsche Kulturrat gibt in seiner Stellungnahme die Besonderheiten der deutschen Geschichte zu bedenken. So befindet sich nach wie vor kriegsbedingt verbrachtes deutsches Kulturgut im Ausland, das die Anforderungen einer Eintragung als national wertvolles Kulturgut erfüllen würde. Die Einführung einer 50-Jahre-Frist würde die Eintragung dieses Kulturguts, sollte es wieder nach Deutschland kommen, unmöglich machen. Gleichzeitig plädierten sowohl Kulturstiftung der Länder als auch der Deutsche Kulturrat dafür, bei der genehmigungspflichtigen Ausfuhr eine zeitliche Komponente vorzusehen, so dass der Handel mit hochpreisigem Kulturgut nicht erschwert wird.

 

Ein- und Ausfuhr in den Binnenmarkt
Neu ist im geplanten Kulturgutschutzgesetz die Einführung von Wert- und Altersgrenzen bei der Ein- und Ausfuhr im Binnenmarkt. In fast allen anderen EU-Mitgliedstaaten existieren solche Regelungen schon lange und widersprechen den Regeln des freien Binnenmarkts nicht. Deutschland zieht mit seinen Regeln nach. Dennoch sind die Galeristen und Kunsthändler der Meinung, dass die vorgesehenen Vorschriften dem freien Binnenmarkt zuwiderlaufen und nicht umgesetzt werden sollen. Sollte dennoch eine Ein- und Ausfuhrregelung für den Binnenmarkt vorgesehen werden, sollten die Wert- und Altersgrenzen nach oben gesetzt werden. Der Deutsche Museumsbund plädiert dagegen dafür, die deutlich moderateren deutschen Regeln den strengeren EU-Vorschriften anzupassen, also nach unten zu korrigieren und damit mit anderen EU-Mitgliedstaaten gleichzuziehen. Für archäologisches Kulturgut sollte die Wertgrenze 0 Euro eingeführt werden. Auch Markus Hilgert, Direktor des Vorderasiatischen Museums – Staatliche Museen zu Berlin, appellierte, den Gestaltungsspielraum der EU-Richtlinie nicht zu nutzen und die deutlich strengeren EU-Vorschriften zu übernehmen.

 

Sorgfaltspflichten
Hier stehen zwei Fragen im Raum: die Sorgfaltspflichten mit Blick auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut und die Herkunftsnachweise für archäologisches Kulturgut. Mit Blick auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut wird vom Kunsthandel und den Kunstversteigerer erklärt, dass selbstverständlich die einschlägigen Datenbanken, in denen Verluste von Kulturgut verzeichnet sind, konsultiert werden. Zugleich muss aber auch bedacht werden, dass nicht alles Kulturgut, das zwischen 1933 und 1945 verkauft wurde, belastet ist. Als Beispiel wurden die bisherigen Rechercheergebnisse zum Gurlitt-Fund angeführt. Ebenso wurden die Sorgfaltspflichten mit Blick auf archäologisches Kulturgut als viel zu streng erachtet. Erst ab einem Wert von 5.000 Euro sollten strengere Herkunftsnachweise gelten. Demgegenüber sprechen sich der Deutsche Museumsbund und auch Markus Hilgert für engere Wertgrenzen aus. Markus Hilgert vertritt die Auffassung, dass der seriöse Handel von strengen Grenzen profitieren wird. Auch wird bereits jetzt im Gesetzesentwurf hinter den ethischen Grundsätzen des Internationalen Museumsbunds zurückgefallen.

 

Illegaler Handel
Weit auseinander lagen die Einschätzungen zum illegalen Handel. Silvelie Karfeld, Bundeskriminalamt, ließ keinen Zweifel daran, dass es illegalen Handel mit Kulturgut in Deutschland gibt. In ihrer öffentlich nicht zugänglichen Stellungnahme nannte sie dem Vernehmen nach prägnante Beispiele. Demgegenüber ist der Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler der Überzeugung, dass es keinen illegalen Handel in Deutschland gibt und führt Aussagen des Zolls als Beleg an.

 

Abwägen gefordert
Die Mitglieder des Kulturausschusses müssen nun die Argumente gegenein­ander abwägen. Kerstin Odendahl unterstrich in ihrem Statement, dass Kulturgüter besondere Güter sind, die sowohl einen materiellen als auch einen ideellen Wert haben. Beim Kulturgutschutz geht es um eine Abwägung beider Interessen, der materiellen Interessen des Handels sowie gegebenenfalls auch von Sammlern und den nationalen Interessen zum Schutz und Verbleib von Kulturgut in Deutschland, weil es eine herausragende und identitätsstiftende Bedeutung hat. Der vorliegende Gesetzesentwurf wägt diese beiden Interessen ab und kommt zu ausgewogenen Ergebnissen, so Odendahl. Und, wie eingangs schon ausgeführt, es werden die Spielräume, die die EU-Richtlinie vorgibt, genutzt, um beiden Seiten gerecht zu werden. Über das Ziel hinausgeschossen wird nicht.
Nun liegt der Ball im Spielfeld des Kulturausschusses. Ausschussvorsitzender Siegmund Ehrmann, MdB versicherte, dass die vorgetragenen Argumente wie auch die schriftlich eingegangenen Stellungnahmen sorgfältig geprüft und in die Entscheidung einbezogen werden. Er zeigte sich zuversichtlich, dass noch vor der Sommerpause das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen werden kann.


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