Jürgen Zimmerer - 27. August 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kolonialismus-Debatte

Eine symbiotische Beziehung


Mission und Kolonialismus sind seit Beginn der Europäischen Expansion aufs Engste strukturell verbunden

Die Bundesregierung muss mit Namibia über eine Anerkennung des Völkermordes an den Herero und Nama verhandeln. Das noch gar nicht eröffnete Humboldt Forum hat große Mühe, die wachsenden Vorwürfe, es herrsche dort koloniale Amnesie, zu entkräften. Und Befürworter eines menschlichen Umgangs mit der Geflüchtetenkatastrophe im Mittelmeer verweisen auf die Verantwortung aus dem Kolonialismus, als einer der Ursachen für tausendfache Flucht aus dem Globalen Süden. Die postkoloniale Debatte ist zu einer der zentralen Identitätsdebatten der Gegenwart geworden – und zwar in ganz Europa. Nur die Kirchen sind dabei seltsam abwesend.

 

Zwar gibt es Schuldbekenntnisse, wie etwa von Papst Franziskus, der 2015 um Verzeihung für die Verbrechen und Sünden der katholischen Kirche während der kolonialen Eroberung Lateinamerikas bat, oder der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die sich 2017 dafür entschuldigte, nicht vehementen Widerstand gegen den Völkermord an den Herero und Nama geleistet zu haben, eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle im Jahrtausendprojekt der kolonialen Globalisierung ist das jedoch noch nicht.

 

Dabei sind Mission und Kolonialismus seit Beginn der Europäischen Expansion vor mehr als 500 Jahren aufs Engste strukturell verbunden. Schon Portugiesen und Spanier wollten Mission und Gewürzhandel vorantreiben, Gold und Seelen gewinnen, wobei in diesem Zusammenhang unerheblich ist, was Vorrang hatte, und was der Legitimation diente. Kolonialismus und Mission, das war eine symbiotische Beziehung: Kolonialismus brauchte die Legitimation, die die kirchliche Lehre bot, zumindest bis sie im 19. Jahrhundert von Rassenlehren abgelöst wurde. Und die Mission profitierte von den Rahmenbedingungen der europäischen Herrschaft. Den zu Bekehrenden ließ das oft kaum eine Wahl als sich zwischen Schwert und Bibel zu entscheiden.

 

Das eine bedeutete den physischen Tod, das andere die Aufgabe vieler, wenn nicht aller Traditionen, und letztendlich der eigenen Identität. Dass diese Entwicklung grausam und entrechtend war, war und ist den heute Verantwortlichen klar: So rechtfertigte Papst Johannes Paul II. 1992 die gewaltsamen Züge der „bewundernswerten Evangelisierung“ Amerikas durch die dadurch erfolgte „Ausweitung der Heilsgeschichte“ und nannte sie deshalb eine „glückliche Schuld“. Die Bevölkerung der Amerikas habe sich „im Stillen nach der Christianisierung“ gesehnt, meinte sein Nachfolger Benedikt XVI. noch 2007. Franziskus, als erstes Oberhaupt der katholischen Kirche aus Lateinamerika, scheint da kritischer.

 

Auch wenn sich mit zunehmender Säkularisierung und simultanem Aufstieg der Rassenideologien die Wirkmächtigkeit der Missionen abschwächte, die Saat der binären Opposition „Christen-Heiden“ war gelegt, Dichotomien wie „zivilisiert-barbarisch“, „entwickelt-unterentwickelt“ leben bis heute fort und entfalten Wirkung. Ohne sie gäbe es keine koloniale Herrschaft. Jede grundsätzliche Auseinandersetzung über die Rolle der Kirchen und Missionen im Kolonialismus, gar eine wirkliche Dekolonisierung, muss sich der Frage stellen, wie man mit dieser Binarität umgeht. Das ist schwierig und schmerzhaft, ist die Missionsarbeit für das Selbstverständnis der Kirchen doch konstitutiv, und entsprechend positiv besetzt.

 

Trotz Bedeutungsverlust der legitimatorischen Unterfütterung des kolonialen Ausgreifens im Laufe des 19. Jahrhunderts waren die Missionare wichtiger für das koloniale Projekt, als individuelle Schuldzuweisungen wie die EKD-Erklärung glauben machen will. Hier bietet der deutsche Kolonialismus in Namibia ein gutes Beispiel. Die Verantwortung der Missionen und Kirchen liegt nicht nur darin, dass sie im genozidalen Unterfangen Lothar von Trothas Mitläufer waren, und ihm nicht entschieden genug entgegentraten – Missionare gehörten zu den wenigen Kritikern seiner Vernichtungspolitik, die es vor Ort überhaupt gab –, sondern dass ihre Rolle beim Aufbau der Kolonie und als deren Nutznießer nicht reflektiert wird. Immerhin gehörten evangelische wie katholische Mission zu den größten Grundbesitzern in Deutsch-Südwestafrika.

 

Die an Bedeutung nicht zu überschätzende Rheinische Mission war zudem schon 42 Jahre vor den Vertretern des Deutschen Reiches in der Region tätig und befeuerte das Interesse daran. Es war zudem mit Missionsinspektor Friedrich Fabri einer der Ihren, der mit seiner Schrift „Bedarf Deutschland der Kolonien?“ wichtiger Ideengeber der deutschen Kolonialbewegung wurde, ohne die es weder Kolonialismus noch Völkermord in Südwestafrika gegeben hätte. Missionare bereiteten vor Ort die Errichtung der Kolonialherrschaft ganz praktisch mit vor, als Übersetzer und Mittelsmänner, auf die die deutsche Kolonialverwaltung gerne zurückgriff, ja anfänglich angewiesen war.

Davon findet sich aber kein Wort im Schuldbekenntnis der EKD.

 

Die EKD spricht dagegen vom Fehlverhalten Einzelner und nicht vom Unrechtssystem Kolonialismus an sich. Das wiederum ist in vielerlei Hinsicht symptomatisch für den derzeitigen Umgang mit dem kolonialen Erbe in Deutschland: Die Auseinandersetzung folgt sehr spät und konzentriert sich auf individuelles Fehlverhalten statt systemische Ursachen. Das ist die gläserne Decke des Umgangs mit dem kolonialen Erbe, die derzeit, so scheint es, in Deutschland noch nicht durchstoßen werden kann. Hier sind die Kirchen dann doch Abbilder der Gesellschaft.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2019.


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