Gerhard Bauer - 28. Februar 2018 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Erster Weltkrieg

Moderner Erinnerungsort


Der Erste Weltkrieg im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr Dresden

Die Dauerausstellung des Militärhistorischen Museums (MHM) gliedert sich in einen chronologischen Teil, der Militärgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart erzählt und einen thematischen Teil, der in dem von Daniel Libeskind entworfenen keilförmigen Annex untergebracht ist. Innerhalb der Chronologie wird der Erste Weltkrieg in dem Gebäudeflügel behandelt, der dem „Zeitalter der Weltkriege 1914 bis 1945“ gewidmet ist. Dort interessieren nicht nur die Dimensionen des Konflikts und die Eigentümlichkeiten der Kriegführung. In einem Vertiefungsraum erfahren die Besucher anhand vergleichender Darstellungen, worin sich der Erste und der Zweite Weltkrieg unterschieden. Sie können ermessen, dass ab 1914 vieles vorgeprägt oder erstmals angewendet wurde, was ab 1939 noch ungleich größere Bedeutung bekommen oder zu schrecklicher Entfaltung kommen würde. Das betrifft insbesondere Technik und Taktik ebenso wie den Stellenwert politischer Ideologien, Kriegsverbrechen oder auch die Totalisierung der Kriegführung.

 

Im Themenparcours begegnen Besucher unterschiedlichen Aspekten des Ersten Weltkrieges wie dem Heldenkult, den Formen des Leidens, aber auch dem Kriegseinsatz von Tieren oder der militärischen Nutzung von wissenschaftlichen und technischen Neuerungen. Während die räumlichen Beschränkungen der Dauerausstellung eine schlaglichtartige Darstellung der Ereignisse erzwingen, erlaubten 2014 bis 2015 drei Sonderausstellungen und eine Kunstinstallation intensivere und materialreichere Auseinandersetzungen mit dem Ersten Weltkrieg.

 

Den Reigen eröffnete am 6. Juni 2014 „Krieg und Wahnsinn. Kunst aus der zivilen Psychiatrie zu Militär und I. Weltkrieg“. Die im Rahmen eines Forschungsprojekts der Heidelberger Sammlung Prinzhorn erarbeitete Ausstellung zeigte rund 120 Kunstwerke zu Militär und Erstem Weltkrieg, die zwischen 1880 und 1925 in zivilen psychiatrischen Anstalten entstanden waren.

 

Zu Diskussionen regte Stela (Stele) an, ein Kunstprojekt des Neuseeländers Kingsley Baird. Vom 12. bis 27. Juli 2014 war es nicht nur zu sehen, sondern auch zu (be-)greifen und zu schmecken. Stela, inspiriert von mit Gefallenenlisten versehenen Monolithen auf dem deutschen Soldatenfriedhof im belgischen Langemark, entstand aus Lagen von Keksen, welche den Silhouetten von Soldaten der Mittelmächte und ihrer Gegner entsprachen. Wie in einem Massengrab übereinander geschichtet, ergab sich aus dieser Vereinigung der vormaligen Gegner eine Geste der Versöhnung. Der Künstler begleitete sein Projekt in jeder Phase. Indem er Besuchern Soldaten-Kekse zum Verzehr anbot, kam er mit ihnen ins Gespräch über Formen des Kriegsgedenkens. Er regte damit auch an, über den „Konsum“ von Menschenleben in Konflikten nachzudenken und die Verantwortung von jedem, der militärische Einsätze anordnet oder befürwortet.

 

100 Jahre nach der Ausrufung des „Zustandes drohender Kriegsgefahr“ wurde am 31. Juli mit „14–Menschen–Krieg“ die größte Schau des MHM zum Ersten Weltkrieg eröffnet. Sie zeigte den Krieg als ein von der Menschheit herbeigeführtes globales Unheil, erinnerte aber auch an die von der Kriegführung ausgelösten zahllosen individuellen Katastrophen. Die Basis für diesen Ansatz lieferte die Kooperation mit Autoren und Produzenten der Dokumentarfilm-Serie „14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs“. Gestaltet von dem namhaften Bühnenbildner, Regisseur und ehemaligen Ausstattungsleiter der staatlichen Schauspielbühnen Berlin, Fred Berndt, nahm die Ausstellung mit ihren rund 600 Exponaten 1.300 Quadratmeter ein. Zuerst vollzog der Besucher gleichsam den Weg von der Vorkriegszeit in die Phase der ersten Kämpfe und von den Fronten mit Verwundetentransporten zurück in die Heimat nach.

 

Der zweite Ausstellungsbereich führte hinein in das Inferno der Materialschlachten. Zwei Großobjekte prägten die beiden Ausstellungsbereiche, ein 1909 in Dienst gestellter Güterwagen des Typs G 10 und die mit Originalteilen realisierte, 24 Meter lange und drei Meter hohe Rekonstruktion des Kilianstollens, eines beim elsässischen Carspach durch Archäologen des Pôle d’Archéologie Interdépartemental Rhénan aufgefundenen deutschen Grabenabschnitts, der im März 1918 von französischer Artillerie zerstört worden war. Der Waggon symbolisierte die Wege zahlloser Soldaten in und durch den Krieg, aber auch den Eintritt Europas in eine gewaltgeprägte Periode, die bis 1945 andauerte. 1914/18 transportierten G10 Soldaten an die Fronten. Während des Zweiten Weltkrieges dienten sie auch zur Deportation jüdischer Veteranen in deutsche Vernichtungslager.

 

Der Kilianstollen war begehbar und vermittelte eine Ahnung von der Klaustrophobie und Beklemmung, welcher Soldaten in Gräben und Unterständen an der Front ausgesetzt waren. Grabungsfunde, darunter Waffen und Munition sowie Uniformreste, Erkennungsmarken und persönliche Gegenstände der namentlich bekannten Gefallenen wurden in der Anlage dort platziert, wo sie gefunden oder verwendet worden waren.

 

Den Ausstellungszyklus des MHM zum Ersten Weltkrieg beschloss ab 26. Juni 2015 „Die Flotte schläft im Hafen ein“, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Marinemuseum Wilhelmshaven. Durch eine, einem Großkampfschiff der Kaiserlichen Marine nachempfundene, Installation folgten die Besucher den Kriegserinnerungen von zwei Matrosen der SMS „Helgoland“: Richard Stumpf und Carl Richard Linke. Jedes der Ausstellungsmodule war einem Thema zugeeignet, von der Verpflegung über die Hierarchien an Bord bis hin zur Skagerrak-Schlacht und den Meutereien im November 1918.

 

2014 zuerst im Marinemuseum Wilhelmshaven gezeigt, wurde die Ausstellung in Dresden mit einem umfangreichen Prolog versehen, welcher sich der Selbstdarstellung der Kaiserlichen Marine und ihrer über den Krieg hinaus wirkenden Idealisierung widmete. In der Kombination mit den beiden Matrosen-Tagebüchern ergab sich eine kontrastreiche Darstellung, welche die Unterschiede zwischen Anspruch und Wirklichkeit der kaiserlichen Flottenrüstung kenntlich machte.


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