Olaf Zimmermann - 28. Februar 2018 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Erster Weltkrieg

Abbruch und Aufbruch


Der Erste Weltkrieg: Erinnerung als Auftrag für die Zukunft

Der Erste Weltkrieg markiert einen Wendepunkt in der europäischen, aber auch in der Weltgeschichte. Er steht zum einen für einen Abbruch. Mehrere Monarchien fanden in Folge des Ersten Weltkrieges ihr Ende. Beginnend mit der Russischen Revolution im Jahr 1917, die das Ende der Regentschaft der Romanows in Russland bedeutete, bis hin zur Auflösung der Habsburgischen Doppelmonarchie Österreich-Ungarn, der Abdankung des deutschen Kaisers Wilhelm II. und dem Ende des Osmanischen Reiches. Neue Staaten wie im Baltikum – Estland, Lettland und Litauen – oder auch die aus der KuK-Monarchie hervorgehenden Republiken Österreich und Ungarn, die Tschechoslowakische Republik sowie das Königreich Jugoslawien entstanden. Das Staatsgebiet von Rumänien verdoppelte sich. Das Land wurde zu einem Vielvölkerstaat. Im Nahen Osten teilten Frankreich und Großbritannien Teile des ehemaligen Osmanischen Reiches unter sich auf. Frankreich erhielt als Mandatsgebiet unter anderem den Libanon, Großbritannien Palästina. Das Staatsgebiet des Irak entstand. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges endete auch die Kolonialgeschichte des Deutschen Reiches. Großbritannien und Frankreich teilten unter sich die deutschen Kolonien auf.

 

Verschiedene noch heute bestehende Konflikte speziell im Nahen Osten sind auf das Ende des Ersten Weltkrieges und die seinerzeit erfolgten Grenzziehungen und doppelten Versprechen, insbesondere der Briten in Palästina, zurückzuführen. Und ein neuer internationaler Mitspieler betrat die Weltbühne. Mit dem Eintritt in den Ersten Weltkrieg beendeten die USA ihren Isolationismus und mischten sich in die Kämpfe des alten Europas ein.

 

Dass der Erste Weltkrieg wirklich ein Weltkrieg war, wurde mir persönlich beim Besuch des „Shrine of Remembrance“, zu Deutsch „Schrein der Erinnerung“, in Melbourne in Australien besonders deutlich. Der imposante „Shrine of Remembrance“ gehört zu den größten Kriegerdenkmälern in Australien. Er war ursprünglich als Erinnerungsort an die im Ersten Weltkrieg gefallenen Australier aus Victoria – Melbourne ist die Hauptstadt von Victoria – gedacht. Inzwischen ist es Denkmal für alle Australier, die an Kriegen teilnahmen. Im „Shrine of Remembrance“ wird deutlich, dass auch Soldaten vom – von Deutschland aus gesehen – anderen Ende der Welt in den Krieg involviert waren. Sie kämpften in der Armee des Britischen Empire und besetzten unter anderem die deutschen Kolonien in Südostasien.

 

Der Erste Weltkrieg markiert aber nicht nur einen Bruch in der Staatengeschichte. Auch militärisch zeigt er ein anderes Gesicht als vorherige Kriege. Er war ein „moderner“ Krieg mit modernen Kriegsgeräten wie Panzern, Maschinengewehren und Giftgas. Der lang andauernde Stellungskrieg in Europa, stellvertretend stehen hierfür Orte wie Verdun oder Hartmannswillerkopf, hat sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Soldatenfriedhöfe mit schier unendlich anmutenden Gräberreihen versinnbildlichen diesen Krieg. Eine ähnliche, fast schon ikonographische Bedeutung haben die Bilder von Kriegsversehrten.

 

Der Erste Weltkrieg markiert auch in der europäischen Kunst einen Bruch. Zwar gehen die Anfänge der zeitgenössischen Kunstströmung des Expressionismus auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück. Einige Künstler wie Franz Marc schufen bedeutende Werke vor dem Krieg. Doch durchsetzen konnten sich neue Kunstströmungen erst nach dem Ersten Weltkrieg. Nicht wenige Künstler stürzten sich anfangs voller Begeisterung in den Krieg. Sie erwarteten die Freisetzung neuer Kräfte für ihre Kunst aus dem „Erlebnis“ Krieg. Das Morden, das Sterben, die zermürbenden Schlachten führten jedoch keineswegs zu einem neuen künstlerischen Schaffen. Viele Künstler, stellvertretend seien hier genannt August Stramm, Franz Marc, Georg Trakl, fanden auf den Schlachtfeldern den Tod, andere verstummten und fanden erst Jahre später wieder zu künstlerischer Kraft.

 

Das Ende des Ersten Weltkrieges bedeutet auch einen Aufbruch. In Deutschland werden der Erste Weltkrieg und die Weimarer Republik zumeist unter dem Eindruck des Nationalsozialismus und des von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkrieges betrachtet. Dieser heutige Blickwinkel verschüttet aber die Freisetzung so vieler künstlerischer Kräfte in der Weimarer Republik. Eine Vielzahl an Zeitungen, wie sie heute kaum mehr denkbar ist. Neue künstlerische Strömungen wie der Expressionismus, der Dadaismus, der Kubismus, die Neue Sachlichkeit, die Zwölftonmusik, Architektur und Design des Bauhauses, der Jazz, Kabarett und Kleinkunst und anderes mehr zeigen geradezu eine Explosion künstlerischer Ausdrucksformen, die sich ihren Raum eroberten und ihr Publikum fanden.

 

Die Avantgarde setzte sich strikt vom überkommenen Kunstgeschmack des Kaiserreiches ab. Sie irritierte, sie agitierte, sie engagierte sich. Die Schrecken des Ersten Weltkrieges wurden in der Kunst bearbeitet. Beispielhaft hierfür stehen die Werke von Erich Maria Remarque, von George Grosz oder John Heartfield. Paradigmatisch für diesen neuen Aufbruch steht die junge Kunstform, der Film. Mit dem Film, einem Propagandamittel bereits im Ersten Weltkrieg, konnten nach dem Krieg breite neue Publikumsschichten erreicht werden. Er streifte sein „Schmuddelimage“ ab. Deutschland wurde zu einem wichtigen Produktionsstandort und Markt für Filme. Und auch der Rundfunk gewann an Bedeutung.

 

In diesem Jahr jährt sich das Ende des Ersten Weltkrieges zum 100. Mal. Dieses Datum sollte mehr sein als ein normaler Gedenktag. 100 Jahre Erster Weltkrieg sollten uns ermutigen, die Völkerfreundschaft zu stärken. Zu unseren unmittelbaren Nachbarn, aber auch darüber hinaus. Die verhältnismäßig kurze Kolonialgeschichte Deutschlands enthebt uns nicht der Verantwortung, uns mit unserer kolonialen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das Humboldtforum, das mit dem Anspruch antritt, die Welt in die Mitte Berlins zu holen, könnte ein solcher Ort der Selbstreflektion sein. 100 Jahre Erster Weltkrieg sollte aber auch ein Ansporn sein, die Freundschaft und Zusammenarbeit insbesondere mit unseren französischen Nachbarn zu vertiefen und energisch für ein einiges Europa einzutreten. Erinnerung ist nie nur ein Blick zurück. Erinnerung ist zugleich ein Auftrag zur Gestaltung der Zukunft.


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