Markus Ingenlath - 28. Februar 2018 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Erster Weltkrieg

100 Projekte für den Frieden in Europa


Internationale Jugendbegegnungen zum gemeinsamen Erinnern und Gedenken

Als sich das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW) kurz nach seinem 50. Jubiläum 2013 erstmals überlegte, Jugendbegegnungen aus Anlass des bevorstehenden Gedenkens an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren auszurichten, überwog Skepsis: Nicht nur, dass das Thema Krieg an sich in den westeuropäischen Friedensgesellschaften sowie bei ihrer Jugend und den Jugendfunktionären außerhalb der Vorstellungskraft lag; auch die Beschäftigung mit einem Krieg, der in der deutschen historiografischen wie politischen Bezeichnung gemeinhin der „erste“ von zwei verursachten Weltkriegen ist, in Frankreich weiterhin oft der „Große Krieg“ genannt wird, galt als wenig erfolgsversprechend. Stattdessen konstatierte man eine Asymmetrie des Gedenkens an die Zeit von 1914 bis 1918, die in Deutschland zwar als „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts gilt, aber im Wesentlichen durch den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg mit seinen Folgen in den Hintergrund gerückt wurde, in Frankreich dagegen als der Gründungsmythos des modernen Staates gilt.

 

Inzwischen hat sich die Einschätzung zu Jugendbegegnungen über die Thematik Erster Weltkrieg grundlegend gewandelt. Zwei Großveranstaltungen – 2014 auf dem Hartmannswillerkopf in den Vogesen und 2016 in Verdun mit 100 bzw. 4.000 jungen Menschen – und die über fünf Jahre von 2014 bis 2018 konzipierte Projektausschreibung „100 Jahre Erster Weltkrieg – 100 Projekte für den Frieden in Europa“ haben gezeigt: Es ist möglich, zu diesem Thema erfolgreich und nachhaltig Jugendbegegnungen mit Teilnehmenden aus Deutschland, Frankreich und darüber hinaus aus Drittländern in Osteuropa, auf dem Westbalkan und in Nordafrika durchzuführen.

 

Ausschlaggebend waren einerseits geänderte politische Rahmenbedingungen und andererseits die Anpassung bekannter friedenspädagogischer Konzepte. Politisch war mit dem Ukraine-Konflikt seit 2014 die Kriegsthematik in Europa eindeutig stärker ins Bewusstsein der jungen Menschen gerückt.

 

Zudem öffnete sich die französische Gedenkpolitik nach dem endgültigen Abschied von der Erlebnisgeneration einem Erinnerungsdiskurs, der Multiperspektivität einschließlich der Sichtweise in ehemaligen Kolonien und einen Fokus auf das individuelle Leiden der Menschen stärker zuließ.
Die Ausschreibung „100 Jahre Erster Weltkrieg – 100 Projekte für den Frieden in Europa“ bot dazu einen guten Anlass und ein reichhaltiges Experimentierfeld. Das DFJW förderte dabei von 2014 bis 2018 jedes Jahr rund 20 Projekte, die sich aus Anlass des Gedenkens an den Ersten Weltkrieg daran versuchten, eine gemeinsame Zukunft in Europa zu skizzieren. Das DFJW wollte junge Menschen, Multiplikatoren, (Heimat-)Forschende und Pädagogen ermutigen, gemeinsam bi- und trilaterale Jugendbegegnungsprojekte durchzuführen, europäische Werte vermitteln und die Frage nach einer gemeinsamen kollektiven Erinnerung wachhalten. Ziel dieser noch bis Ende 2018 laufenden Projekte war und ist es, aus einem deutsch-französischen Gedenken heraus, den Nukleus einer transnationalen Erinnerungskultur zu entwickeln, die unter Kenntnis und im Verständnis der jeweiligen nationalen Erinnerungstraditionen das europäische Bewusstsein stärkt und weiterentwickelt.

 

Das DFJW hatte dazu als Handreichung in Zusammenarbeit mit zwei Partnern, den Vereinen Rue de la Mémoire und Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V., das pädagogische Vademecum „Geschichte und Erinnerung in internationalen Jugendbegegnungen“ entwickelt. Der gewählte methodische Ansatz soll die Teilnehmenden dazu befähigen, sich selbst aktiv innerhalb von Geschichte zu verorten. In mehreren Schritten wird der Bogen geschlagen von der individuellen und Familiengeschichte über die Lokalgeschichte des Begegnungsortes und einer Gegenüberstellung der „großen“ Geschichte mit der Geschichte „des kleinen Mannes“ hin zu möglichen Verbindungslinien zwischen dem gegenwärtigen Leben und der Zukunft der Teilnehmenden. Die Fragen nach der Einordnung in einen Zeitstrahl 1914 bis 2014 bzw. nach kritischer Würdigung der Informationsquellen und Formen ihrer Übermittlung werden begleitend thematisiert. Für jeden der Abschnitte werden darüber hinaus ein „Werkzeugkoffer“ mit verschiedenen pädagogischen Instrumenten angeboten.

 

Dieser Ansatz für ein gemeinsames deutsch-französisches Gedenken hat sich in der Praxis als sehr fruchtbar erwiesen. Ohne Zweifel stellt zwar die Zeitspanne von 100 Jahren in einer stark gegenwartsbetonten Kultur eine gewisse Herausforderung dar. Andererseits zeigt sie jedem jungen Menschen sehr plastisch, welchen weiten Weg – von Konflikt und Gewalt über Versöhnung bis zur Partnerschaft für Europa – Deutsche und Franzosen seither zurückgelegt haben und eröffnet das Angebot, sich selbst als Teil dieser Geschichte und damit verantwortlich für die Gestaltung der Zukunft zu fühlen. Der junge Mensch soll nicht nur Zuschauer einer fremden Symbolik sein oder nur angelerntes historisches Wissen sammeln, sondern selbst Akteur einer Geschichte werden.

 

Die Resonanz auf die Ausschreibung „100 Jahre Erster Weltkrieg – 100 Projekte für den Frieden in Europa“ war enorm und überstieg die vorgesehenen Haushaltsmittel, sodass selbst für die ausgewählten Projekte lediglich Zuschüsse gezahlt werden konnten. Eine abschließende Evaluierung steht noch aus, aber schon jetzt kann gesagt werden, dass junge Menschen aus Deutschland, Frankreich und darüber hinaus aus den drei erwähnten Schwerpunktregionen der trilateralen Arbeit des DFJW, aus dem schulischen und außerschulischen Bereich und mit diversen soziokulturellen Profilen in den Begegnungen zu friedenspädagogisch unterschiedlichsten Fragestellungen zusammenkamen. Die Erfahrung hat das DFJW ermutigt, zum Ende des Gedenkzyklus an den Ersten Weltkrieg im November 2018 mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes und der französischen Mission du Centenaire sowie erfahrenen Partnern wie dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge e.V. und der ONAC eine große Jugendbegegnung in Berlin mit rund 500 Teilnehmenden aus Deutschland, Frankreich, der EU, Osteuropa, dem Westbalkan und dem benachbarten Mittelmeerraum auszurichten, um zwischen dem französischen Armistice am 11. und dem deutschen Volkstrauertag am 18. November einen Bogen zu schlagen und gemeinsam über unsere Werte und Zukunft in Europa nachzudenken.


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