Agnieszka Lulińska - 23. Juni 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

250 Jahre Beethoven

"… Beethoven gibt’s nur einen"


Multiple Perspektiven bei der Annäherung an einen Mythos

Es bedarf außergewöhnlicher Umstände, die Gegenwart in dem klaren Bewusstsein zu reflektieren, diese sei längst Vergangenheit. Die Mitte März beschlossenen allgemeinen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus trafen mit voller Wucht auch das fulminante, mit jahrelangem Vorlauf geplante Jubiläumsprogramm „Beethoven 2020“ – und damit dessen zentrale Ausstellung „Beethoven. Welt.Bürger.Musik.“.

 

Die ursprünglich bis zum 26. April terminierte, von der Bundeskunsthalle gemeinsam mit dem Beethoven-Haus Bonn erarbeitete Schau verharrte während ihrer letzten Wochen in einer Art kontrolliertem Dornröschenschlaf, aus dem sie nur noch zum Abbau wach gerüttelt werden konnte. Ihre biografisch angelegte, in ein historisches Zeitpanorama eingebettete Erzählstruktur zeichnete die prägendsten Ereignisse im Leben Ludwig van Beethovens chronologisch nach und verknüpfte diese mit seinem musikalischen Werk, das anhand ausgewählter Schlüsselwerke vorgestellt wurde.

 

Die gut 250 ausgestellten Objekte – Handschriften und Erstdrucke, Dokumente und Porträts, Musikinstrumente, Bilderzyklen von Goya, Klimt und Auchenthaller sowie Zeugnisse der Alltagskultur – ermöglichten einen sinnlichen Einstieg in das Beethoven-Universum. Die begeisterte Resonanz seitens des Publikums, der Musikwelt und der Medien bestätigte die Tragfähigkeit dieser Vermittlungsstrategie. „Fürst, was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt, was ich bin, bin ich durch mich; Fürsten hat es und wird es noch Tausende geben; Beethoven gibt’s nur einen“, soll der zornige Ludwig van Beethoven 1806 seinem fürstlichen Gönner Karl von Lichnowsky ins Gesicht geschleudert haben. Dem Dramaturgen Georg Friedrich Treitschke gegenüber, dessen Bühnenerfahrung Beethovens Befreiungsoper „Fidelio“ schließlich zum Erfolg verhalf, zeigt sich der Komponist 1814 selbstbewusst: »besser mit Künstlern als Mit den sogenannten Großen (KleinWinzigen) zu thun zu haben.« Um 1822 gesteht er allerdings: „Unter unß gesagt, so republikanisch wir denken, so hat’s auch sein Gutes um die oligarchische Aristokratie.“ Wie sollen diese scheinbaren Widersprüche bewertet werden – als konjunkturell bedingter Opportunismus eines Berufsmusikers, Ausdruck eines unberechenbaren Charakters oder als Reflex eines Künstlerlebens um 1800?

 

Das suggestive Bild Beethovens als eines unbeugsamen wie einsamen Revolutionärs gehört bis heute zu den griffigsten Topoi der Beethoven-
Rezeption. Dabei ließ sich dieser stolze „Freiberufler“ von Mitgliedern der
Hocharistokratie aushalten und bemühte sich in regelmäßigen Abständen um eine Festanstellung in adligen Diensten. In dieser Hinsicht können seine jugendlichen Kurfürstensonaten von 1783 als eine Art musikalisches „Bewerbungsschreiben“ gelten, ebenso wie sein 40 Jahre später vollendetes Opus magnum, die „Missa solemnis“, die Beethoven Erzherzog Rudolph von Österreich, seinem Klavierschüler, einem seiner großzügigsten Mäzene und dem damals frisch gekürten Erzbischof von Olmütz widmete. Überhaupt, die Widmungen. Sie waren keine Sympathiebezeugungen oder Freundschaftsdienste, sondern ein lukratives Geschäft: Der Widmungsträger erkaufte damit auf Zeit die Verwertungsrechte, der Komponist hingegen konnte mit den oft üppigen Honoraren von Fall zu Fall seinen Lebensunterhalt für ein ganzes Jahr bestreiten. Gleichzeitig wurde Beethoven zur unangefochtenen Leitfigur des nach 1800 erstarkenden Bürgertums erhoben, das ihn in seinem Kampf gegen die Widrigkeiten des Lebens im Sinne des bürgerlichen Leistungsprinzips „per aspera ad astra“ als einen der seinen ansah und seiner Musik eine beinah schon religiöse Verehrung entgegenbrachte.

 

Ludwig van Beethoven war seiner Zeit in vielem voraus, und doch ist er ein Kind dieser Zeit gewesen. Er war Zeuge und prägender Akteur jenes epochalen Übergangs vom feudalen zum bürgerlichen Zeitalter gewesen, den der Historiker Reinhart Kosseleck so plastisch als Sattelzeit bezeichnete, und der als Eintritt in die Moderne gilt. Die Prägung, die der junge Beethoven durch das aufklärerische Klima und die kulturellen Ambitionen der Residenzstadt Bonn erhielt, diente ihm auch in den „moderneren“ Zeiten als musikalischer und intellektueller Kompass. Als er 1792 zu einem Studienaufenthalt bei Joseph Haydn nach Wien aufbrach, katapultierten ihn die prophetischen Worte Ferdinand Graf Waldsteins in die wirkungsmächtigste Triade der Musikgeschichte: „Durch ununterbrochenen Fleiß erhalten Sie: Mozart’s Geist aus Haydens Händen.“ Beethoven nimmt die Herausforderung selbstbewusst an und strebt zeitlebens danach, seine Musik immer weiter voranzutreiben, dabei Grenzen zu überschreiten und das Unmögliche zu wagen, aber auch sich selbst zu erziehen und zu vervollkommnen.

 

Als ihn im Alter von 27 Jahren die niederschmetternde und für einen gefeierten Klaviervirtuosen und Komponisten existenziell bedrohliche Diagnose einer irreversiblen Ertaubung in eine tiefe Krise stürzt, begehrt er auf, bereit, „dem Schicksal in den Rachen greifen“, wie er seinem Freund Franz Gerhard Wegeler 1801 schreibt. Die Meilensteine seines musikalischen Œuvres – die Sinfonien, die meisten Klavierwerke und Streichquartette – sollten erst in den Folgejahren entstehen, als er mit der äußeren Welt längst mittels Hörrohren und Konversationsheften kommuniziert. Dass dieser Teufelskreis aus desaströsem Gesundheitszustand – seine Krankenakte war mehr als umfangreich –, persönlichen Rückschlägen – sein unerfüllt gebliebener Wunsch nach Familie – und dem Anspruch, dem wachsenden Ruhm als größter lebender Komponist zu genügen, auch zu depressiven Zuständen und Übersprungshandlungen führte, ist nicht verwunderlich. Ohne ein tragfähiges, weitgespanntes Netzwerk von Förderern, Geschäftspartnern, Freunden und Bewunderern, hätte seine Musik ihre gewaltige (Nach-)Wirkung kaum entfalten können. Beethoven wusste nur zu gut, dass er sich auf diese praktische und emotionale Unterstützung verlassen konnte, und forderte diese als einen ihm selbstverständlich gebührenden Tribut ein.

 

Beethoven – der Unberechenbare, der „Ungebändigte“? Sein Werk ist es allemal. Es wurde zum Inbegriff der absoluten Musik, die das Publikum zu Beethovens Lebzeiten ebenso wie heute erschüttert und polarisiert, wie es keinem anderen Komponisten gelungen ist.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 5/20 erschienen.


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