Erinnerungskultur

Wir brauchen einen weiten Blick auf unsere Freiheits- und Demokratiegeschichte

Deutschland hat eine wechselvolle Geschichte. Wenn wir an unsere Geschichte denken und erinnern, denken und erinnern wir an die schlimmen Ereignisse: an die verheerenden Folgen der von Gewalt und Terror geprägten Zeit des Nationalsozialismus und an die SED-Diktatur, die die Menschen unterdrückte, überwachte, verfolgte, ihnen Gewalt antat. Und das hat seine Gründe, denn das letzte Jahrhundert war das Jahrhundert der Diktaturen, und von Deutschland ist unendlich viel Leid über die Welt gebracht worden.

 

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schrieb dazu 2019 in einem Artikel in „Die Zeit“, dass das, was sich nicht wiederholen solle, nicht vergessen werden dürfe. Aber auch an das, war Vorbild gewesen sei und Zukunft haben solle, müsse erinnert werden.

 

Und genau deshalb müssen wir unseren Blick weiten, ohne zu vergessen. Wir müssen auch die positiven und mitmachenden Ereignisse unserer Demokratiegeschichte erkennbar und erlebbar machen. Denn es braucht eine gefestigte Demokratie, um Angriffen von Demagogen, Rassisten und ewig Gestrigen entgegenzutreten.

 

Deshalb ist es richtig, dass die Koalitionsfraktionen den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ in den Deutschen Bundestag eingebracht, wir dazu als federführender Ausschuss für Kultur und Medien eine Anhörung durchgeführt und das Gesetz im Parlament inzwischen verabschiedet haben.

 

Der Zweck der Stiftung ist klar definiert: Die Auseinandersetzung in Gesellschaft, Bildungseinrichtungen und Wissenschaft mit der wechselvollen deutschen Demokratiegeschichte sowie die Bedeutung einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung sollen gefördert werden. Ja, gerade in der Zeit wie der unsrigen ist es wichtig, dass unsere Demokratie tagtäglich verteidigt und geschützt wird. Demokratie war und ist nicht selbstverständlich und sie ist auch zerbrechlich.

 

Mit dieser Stiftung wollen wir bestehende und entstehende Erinnerungsorte und Netzwerke unterstützen, Kooperationen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene fördern.

 

In dem zur Stiftung gehörenden Rahmenkonzept werden zwar nur große Erinnerungsorte wie die Frankfurter Paulskirche, das Hambacher Schloss oder das Haus der Weimarer Republik genannt, doch dabei soll es nicht bleiben. Es gibt zahllose Erinnerungs- und Ereignisorte in unserem Land, die zu Lernorten werden sollen. Das Konzept ist ein lernendes Konzept, weitere Orte, vor allem auch kleine in den ländlichen Regionen werden im Laufe der Arbeit der Stiftung aufgenommen werden. Demokratiegeschichte muss anfassbar und erlebbar sein, überall in der Nachbarschaft, denn sie hat überall stattgefunden und muss überall verteidigt werden.

 

Die Anhörung im Kulturausschuss hat gezeigt, dass es eine breite Mehrheit im Deutschen Bundestag für diese Stiftung gibt. Auch die Sachverständigen haben immer wieder die Notwendigkeit betont, vor allem auch kleinere Orte erkennbar, erlebbar zu machen und sie zu fördern.

 

Es gibt auch Orte, die für Diktatur und Demokratie gleichermaßen stehen. Ich meine z. B. die ehemaligen Stasi-Verwaltungen. Sie stehen auf der einen Seite für Diktatur, Repression und Überwachung, auf der anderen Seite sind sie aber auch ein Symbol der Friedlichen Revolution, denn mutige Bürgerinnen und Bürger haben die Stasi-Akten vor der Vernichtung gerettet, und es findet Aufarbeitung statt. Auch wenn es unterschiedliche Auffassungen im Detail gibt, wir sind uns als Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker über die Fraktionsgrenzen hinweg einig, dass es gut ist, noch in dieser Wahlperiode die Stiftung auf den Weg gebracht zu haben. Natürlich hätte ich mir als Ostdeutsche den Sitz der Stiftung in einem ostdeutschen Bundesland gewünscht. Aber noch wichtiger ist es, die Stiftung jetzt mit Leben zu füllen. Es müssen Bildungskonzepte entwickelt werden, die auch mit digitalen Methoden vor allem die junge Generation erreichen. Wir müssen auch die Einrichtungen einbeziehen, die sich z. B. mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und den Gewerkschaften oder auch mit dem Frauenwahlrecht und der Gleichstellung beschäftigen. Und wir müssen zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützen, die sich der deutschen Geschichte und der Stärkung der Demokratie verschrieben haben; nicht zu vergessen die Hochschulen und die außeruniversitären Forschungseinrichtungen.

 

Hier haben wir eine neue, eine große Aufgabe. Denn in Deutschland gibt es eine ganze Generation, die unser Land nur so kennt, wie es jetzt ist: demokratisch, wiedervereint und frei. Ihnen müssen wir anschaulich und erlebbar zeigen, dass es auch andere, dunklere Zeiten in unserer Geschichte gab, die wir nie wieder erleben wollen. Und ihnen müssen wir auch zeigen, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist, dass es jeden und jede braucht, sie mit Leben zu erfüllen, zu bewahren, zu verteidigen, weiterzuentwickeln.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2021.

Katrin Budde
Katrin Budde ist Mitglied des Deutschen Bundestages und Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages.
Vorheriger ArtikelMediendiät
Nächster Artikel„Die Sehnsucht nach Kultur ist riesengroß“