Das Theater der Zukunft

Inklusive Orte gesellschaftlicher Transformation schaffen

„Europe beyond Access“

 

Auf diese Entwicklung reagierend wurde 2018 das Netzwerk „Europe Beyond Access“ gegründet. Als europäisches Kooperationsprojekt soll „Europe Beyond Access“ Kunstschaffende mit Behinderung massiv dabei unterstützen, die Glasdecke des zeitgenössischen Theater- und Tanzsektors zu durchbrechen: Es geht darum, die Karrieren derjenigen, die als behinderte Kunstschaffende immer noch massiv marginalisiert werden, zu fördern, ihren Projekten professionellere Rahmen- und Produktionsbedingungen zu bieten und sie durch aktives Touring international bekannter zu machen.

 

Mit den sieben Partnerinstitutionen soll ein Netzwerk führender Organisationen geschaffen werden, die sich verpflichten, Arbeiten von Kunstschaffenden mit Behinderung zu beauftragen, zu produzieren und in ihren Hauptprogrammen zu präsentieren. Darüber und über entsprechende Vermittlungsarbeit sollen die Werke von Kunstschaffenden mit Behinderung von dem ihnen zu Unrecht anhaftenden Image des „Laienhaften“ und ihrer Degradierung als „Sozialprojekte“ befreit werden; europäische Zuschauendenschaften und Professionals sollen stärker für die hochqualitativen und innovativen Arbeiten jener Kunstschaffenden interessiert werden.

 

Die Bühne allein ist nicht genug

 

Den Fokus auf Arbeiten von und mit Kunstschaffenden mit Behinderungen zu legen, bedeutet in der Praxis vor allem dreierlei: Die Normalisierung von Darstellenden mit und ohne Behinderung auf der Bühne soll durch die Präsentation einer größeren Anzahl von Stücken mit inklusivem Cast erreicht werden, vor allem und gerade auch für ein nicht behindertes Publikum. Außerdem müssen die Barrieren für ein Publikum mit Behinderung herabgesetzt werden.

 

Was einfach klingt, ist in der Umsetzung allerdings äußerst komplex, denn die Barrierefreiheit muss sich auf alle Aspekte des Betriebs von der Webseite bis zu den räumlichen Zugängen beziehen und die Vielfältigkeit der Communities mit Behinderung widerspiegeln. Zudem werden Veranstaltungen mithilfe von konkreten Werkzeugen, wie Early Bording, relaxed performances, Audiodeskriptionen, Angebote in Leichter Sprache oder Schriftübersetzung und Gebärdensprachen-Übersetzung auch inhaltlich zugänglich gemacht. Um all dies und vieles mehr zu realisieren, müssen die Strukturen im gesamten Betrieb verändert werden.

 

Es benötigt Fortbildungen, Awareness Teams, Expertinnen und Experten des Alltags mit Behinderung. Mit anderen Worten: Barrierefreiheit endet keinesfalls auf der Bühne, sondern verändert unsere Häuser maßgeblich, beispielsweise in Produktionsabläufen oder Zeitkalkulationen. Diese Arbeit, die durch EBA in einem Netzwerk sehr unterschiedlicher Institutionen vorangetrieben wird, ist ein Pilotprojekt. Es ist der Beginn eines umfassenden und dringend notwendigen Umbaus der Theaterlandschaft, der gerade in Deutschland erst am Anfang steht.

 

Um Inklusion für alle zu erreichen, also eine Gesellschaft, in der alle Menschen so sein können und akzeptiert werden, wie sie sind, in der ihre unterschiedlichen Bedürfnisse selbstverständlich berücksichtigt und eine Vielzahl von Perspektiven und Erfahrungen als Bereicherung verstanden werden, in der öffentliche Orte nicht mehr nur für einen kleinen homogenen Teil gemacht sind, brauchen
wir eine gesamtgesellschaftliche Transformation. Theater können und sollten dabei eine Vorreiterrolle übernehmen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2021.

Amelie Deuflhard
Amelie Deuflhard ist Künstlerische Leiterin und Intendantin von Kampnagel.
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