Felix Klein und Ludwig Greven - 30. Mai 2022 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Jüdischer Alltag

„Alle Lager müssen miteinander reden“


Felix Klein im Gespräch

Seit Mai 2018 ist Felix Klein Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Mit Ludwig Greven spricht er über die Debatte um die diesjährige Documenta, BDS und vieles mehr.

 

Ludwig Greven: Was halten Sie als Antisemitismus-Beauftragter von „Anti-Antisemitismus“?

Felix Klein: Wir wollen Antisemitismus in jeder Form bekämpfen, auch den israelbezogenen. Deshalb finde ich diesen Begriff gut, der sich vor allem im Kulturbereich etabliert hat. Er muss aber noch deutlicher ausgefüllt werden.

 

Das indonesische Veranstalter-­Kollektiv ruangrupa wollte über ihn auf der diesjährigen Documenta „im postkolonialen Kontext“ diskutieren, nachdem dem Kollektiv selbst Judenfeindlichkeit vorgeworfen wurde. Allerdings ohne die Vertretung der Opfer, dem Zentralrat der Juden in Deutschland. Nun haben sie die Diskussion abgesagt. Aus Angst vor Kritik an ihnen selbst?

Die Diskussion ist dringend notwendig. Das zeigt ja auch wieder die Debatte, die sich an der Absage entsponnen hat. Alle Lager müssen miteinander reden. Es war ein großer Fehler, den Zentralrat der Juden nicht einzubinden, obwohl er dazu bereit war und es Kontakte gab. Dass plötzlich auch über „anti-palästinensischen Rassismus“ gesprochen werden sollte, war mindestens seltsam. Ich kannte den Begriff bis dahin gar nicht. Es sollte doch in erster Linie um Antisemitismus gehen. Deshalb ist die Absage nur konsequent. Ich bin wie Kulturstaatsministerin Claudia Roth der Ansicht, dass nun Vertrauen wiederhergestellt werden muss. Wichtig wäre aus meiner Sicht, auch jüdische Künstlerinnen oder Künstler aus Israel zur Documenta einzuladen. Das ist bislang nicht vorgesehen.

 

Fällt das nicht in die künstlerische Freiheit der Veranstalter?

Ja sicher, aber die Aussage der Kuratoren, dass sie nicht auf die nationale Herkunft schauen, halte ich für unbefriedigend. Dass Kunst auch politisch sein kann und es hier auch sein sollte, im Sinne von ruangrupas eigenem Anspruch, das zeigen ja gerade die aufgeheizten Vorgänge.

 

Bestätigt die Nicht-Einladung jüdischer und israelischer Künstler den Vorwurf an die Ausstellungsmacher, dass sie BDS ­nahestehen? Denn der Boykott gilt ja auch Künstlern.

Diese Annahme liegt zumindest nahe. Das Kuratorenteam sollte glaubwürdig darlegen, dass es niemanden boykottiert.

 

Eingeladen wurden stattdessen palästinensische Künstler, die sich klar antisemitisch äußern.

Auch da wären Erklärungen der Veranstalter notwendig. Man kann ja nun wirklich nicht sagen, dass in Deutschland postkoloniale Stimmen und solche des globalen Südens nicht genug gehört würden. Das hat ja schon die breite Debatte um die Ausführungen von Achille Mbembe gezeigt. Es gäbe immer noch die Chance, dass man postkolonialistische Positionen mit der Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit zusammenbringt. Diese Chance wurde im Vorfeld der Documenta leider verpasst.

 

Hätte Kulturstaatsministerin Roth früher eingreifen müssen?

Das hat sie. Sie ist nach Kassel gefahren und hat versucht, die verschiedenen Seiten in einen Dialog zu bringen. Dass ihre Gesprächsangebote ausgeschlagen wurden, ist schwer verständlich.

 

Öffentlich hat sie aber erst Stellung bezogen, als sich der Zentralrat der Juden beschwerte. Und sie hat 2019 auch nicht die Anti-BDS-Resolution des Bundestags mitgetragen.

Weil sie das nicht getan hat, wird ihr Handeln jetzt von vielen jüdischen Organisationen besonders kritisch begleitet. Aber bei der Documenta war sie schon im Vorfeld aktiv, weil sie die Problematik gesehen hat.

 

Ist BDS insgesamt antisemitisch? Oder nur in Teilen, wie Claudia Roth damals argumentiert hat und wie es auch Künstler und Wissenschaftler sagen?

BDS ist ein loser Verbund, keine feste Organisation. Darin gibt es sehr viele Radikale insbesondere in der arabischen Welt, die das Existenzrecht Israels negieren und auch sonst eindeutig antisemitische Narrative bedienen. Auch in Deutschland sagen etliche, das gehöre dazu, oder sie lassen es sich selbst zurechnen. Deswegen kann man sagen, dass BDS in Bezug auf Ziele und Methoden antisemitisch agiert. Die große Mehrheit der jüdischen Gemeinschaft – nicht nur in Deutschland – empfindet die Boykottbewegung als Bedrohung. Diese Rückmeldung bekomme ich immer wieder. Diesen Befund sollte die Politik ernst nehmen und entsprechend handeln. Ein Ausdruck war die Resolution des Deutschen Bundestags. Das Parlament hat ein Zeichen der Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft und mit Israel gesetzt.

 

Manche Künstler betrachten die BDS-Resolution jedoch als Eingriff in ihre künstlerische Freiheit.

Der Beschluss hat keine unmittelbare, gesetzliche Wirkung. Er drückt die Haltung einer breiten Mehrheit des Bundestags und der Gesellschaft aus. Den Boykottaufruf an die Staatsangehörigkeit zu knüpfen, nicht an ein konkretes, individuelles Handeln, und insbesondere Juden mit Israelis gleichzusetzen, halte ich für antisemitisch. Eine solche Kollektivhaftung tritt die Rechte von Minderheiten mit Füßen. Künstlerinnen und Künstler können – wie alle – selbstverständlich die israelische Politik kritisieren. Aber Antisemitismus, auch israelbezogener, darf bei uns, im Land der Täter, keinen Raum haben, auch nicht in der künstlerischen Auseinandersetzung. Sobald Steuergelder eingesetzt werden wie bei der Documenta, darf sich niemand wundern, wenn Vertreter des Staates und große Teile der Öffentlichkeit dann Einspruch einlegen. Auch das ist ein normaler Teil des Diskurses.

 

Weshalb äußern viele Künstler pauschale Kritik an Israel?

Das hängt auch damit zusammen, dass sich die Weltöffentlichkeit und die Medien sehr auf den Nahost-Konflikt konzentrieren, obwohl es andere Konflikte gibt, die oftmals viel härter geführt werden. Davon sind Künstler nicht frei. An Israel werden Maßstäbe angelegt wie an keine andere Demokratie. Wo sind die Künstler, die sich für die Frauenrechte in Afghanistan einsetzen oder für die Menschenrechte in Tibet? Manche gehen auch schlicht antisemitischen Erzählungen auf den Leim. Ein Merkmal des israelbezogenen Antisemitismus ist gerade, dass er den Betreffenden oft nicht bewusst ist. Künstler sollten sehen, dass in Israel jetzt Vertreter der arabischen Minderheit mitregieren – ein Akt der Emanzipation von der palästinensischen Führung in Ramallah. Auch die Annäherung einiger arabischer Staaten an Israel mit ihren positiven Auswirkungen zeigt, dass der Weg der totalen Blockade dieses Landes der falsche ist.

 

Sie sind von der neuen Bundesregierung in ihrem Amt bestätigt worden. Antisemitismus nimmt in Deutschland trotz aller Bemühungen auch von ihnen in allen Schichten von rechts bis links zu. Sind sie manchmal frustriert, wie wenig sie letztlich bewirken können?

Ich könnte dieses Amt nicht ausüben, wenn ich nicht optimistisch wäre. Und wir haben in den letzten Jahren ja einiges erreichen können: Bei meinem Amtsantritt etwa waren nur ca. 20 Prozent der Ansicht, dass Antisemitismus ein gravierendes Problem in der deutschen Gesellschaft ist, heute sind es fast zwei Drittel. Das Bewusstsein dafür ist sehr gewachsen. Die jüdische Gemeinschaft fühlt sich dadurch besser, solidarischer aufgehoben. Dass wir ein Allzeithoch antisemitischer Straftaten haben, ist auch darin begründet, dass das Dunkelfeld stärker ausgeleuchtet wird. Betroffene, die das vorher gescheut haben, gehen nun zur Polizei, weil die Rechtslage verbessert wurde und das Vertrauen in die Behörden gewachsen ist. Das Verbrennen ausländischer Fahnen wurde unter Strafe gestellt. Und wir haben einen neuen Straftatbestand der verhetzenden Beleidigung, der bis dahin bestehende Strafbarkeitslücken geschlossen hat. Das waren beides Anregungen von mir. Gut ist auch, dass die Justiz schärfer vorgeht, etwa gegen das Zeigen von sogenannten Judensternen mit der Aufschrift „Ungeimpft“ bei den Corona-Demonstrationen. Holocaust-Leugnung und -Relativierung sind schon lange verboten, aber jetzt wird dies endlich konsequent verfolgt. Auch in der Antisemitismusprävention haben wir einige Erfolge zu verzeichnen. Dennoch haben wir immer wieder schreckliche Rückschläge. Das Attentat von Halle war der schlimmste Tag in meiner Amtszeit. Solche Ereignisse dürfen aber nicht dazu führen, dass wir aufgeben.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/22.


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