Olaf Zimmermann - 30. Juni 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Corona vs. Kultur

In der Not erkennt man die Freunde


Europäischen Kulturschutzschild einrichten

Die Corona-Pandemie hält die Welt weiterhin in Atem. Nicht nur in Deutschland, nein, weltweit wütet die Pandemie. Sie hat bereits sehr viele Menschenleben gekostet. Die Spätfolgen sind kaum abzuschätzen und ein Ende der Pandemie ist noch nicht in Sicht. Immer wieder betonen Politikerinnen und Politiker, dass wir uns noch mitten in der Pandemie befinden. Doch was heißt das?

 

Nach dem ersten Schock Mitte März, der abrupten Schließung von Kultureinrichtungen, der Absage von Messen, Ausstellungen, Festivals und zahlreichen Veranstaltungen befinden wir uns seit Ende Mai in einer zweiten Phase. Der Phase der langsamen Öffnungen, des Herantastens an eine neue Wirklichkeit und Ausprobierens beginnt. Das stellt alle im Kultur- und Medienbereich Tätige vor neue Herausforderungen.

 

Und diese Herausforderungen betreffen nicht nur die organisatorischen Aspekte wie Hygienevorschriften und Abstandsregeln, sie sind auch künstlerischer Natur. Welche Geschichten können in Fernsehfilmen, -serien oder Spielfilmen erzählt werden, wenn sich die handelnden Personen nicht wirklich nahekommen können? Keine stürmischen Liebesszenen mehr im Film – oder erst nach zweiwöchiger Quarantäne der Protagonisten für allenfalls vier bis fünf Minuten? Wie soll das bewerkstelligt werden? Und wer soll das bezahlen? Aber auch schon die normale Interaktion, sich in den Arm zu nehmen, ist schwer zu realisieren. Was für Film und Fernsehen gilt, trifft auf Theater und Tanz allemal zu. Tanztheater mit jeweils anderthalb Metern zwischen Tänzerinnen und Tänzern mag als Experiment vielleicht interessant sein, aber auf Dauer? Und was ist mit den Musikerinnen und Musikern sowie speziell hier mit den Bläserinnen und Bläsern? Verschiedene Untersuchungen zur Wirkung und Ausbreitung von Aerosolen bei Musikerinnen und Musikern werden derzeit durchgeführt.

 

Barrie Kosky, der Intendant der Komischen Oper Berlin, schreibt in der Ankündigung seines neuen Spielplans für die Monate September bis Dezember mit Blick auf ein mögliches „Business as usual“: „Denn eigentlich gibt es kein usual in einem Theater. Auf Unvorhergesehenes, auf Überraschungen zu reagieren und für plötzlich auftretende Ereignisse und Herausforderungen kreative Lösungen zu finden – das ist in einem Opernhaus letztlich the usual business.“ und weiter „Denn ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es uns allen in dieser Zeit besonders guttun wird, gemeinsam Musiktheater zu erleben, sich gemeinsam von Emotionen überwältigen zu lassen, gemeinsam zu weinen und zu lachen“.

 

Einige mögen sagen, ja, Barrie Kosky hat gut lachen und kann mit der öffentlich finanzierten Komischen Oper solche Wege gehen, was ist mit den vielen privatwirtschaftlichen Theatern und Kinos, mit Clubs und Festivals, mit privaten Musikschulen und den vielen anderen mehr? Unbestritten, die Zeiten sind schwer und viele stehen mit dem Rücken zur Wand. Doch es gibt Unterstützungsmaßnahmen von Bund und Ländern. Vieles ist noch nicht optimal, manches wird gerade erst entwickelt und mit Sicherheit wird es einen Nachsteuerungsbedarf geben. Die Corona-Pandemie ist eine neue, in Deutschland, in Europa, in der Welt bislang nicht gekannte Herausforderung.

 

Aber sind nicht gerade jetzt die Künste, die Künstlerinnen und Künstler gefordert? Spüren wir nicht alle diesen bleiernen Schleier der Corona-Pandemie, der sich auf uns legt, der uns müde werden lässt, der alles so grau erscheinen lässt. Die Karten für die Aufführung des Rheingolds der Deutschen Oper Berlin auf dem Parkdeck, einer wirklichen Bausünde des letzten Jahrhunderts, die abstoßend und feindlich wirkt, waren trotzdem im Nu ausverkauft. Das Deutsche Theater Berlin verlegt zuvor in der Box gespielte Aufführung von „Die Pest“ auf den Theatervorplatz und findet Zuspruch des Publikums.

 

Viele andere Beispiele aus anderen Städten ließen sich aufzählen. Ich bin fest davon überzeugt, jetzt sind die Künste gefordert. Die vielen digitalen Angebote, die in den ersten Monaten entstanden sind und die wichtig waren, um überhaupt Kunst zu zeigen und zu erfahren, sie haben doch gezeigt, dass damit ein authentisches, gemeinsames Erleben nicht ersetzt werden kann. Speziell Theater, aber auch Kino, Musik, Lesungen und anderes mehr, sie ermöglichen das gemeinsame Lachen, Weinen, Leiden, Freuen.

 

Ich denke, dass die Stunde der Künste nun schlägt. Sie muss genutzt werden, besonders jetzt bei gutem Wetter, wenn die Freiluftsaison beginnt. Es ist gut und richtig, dass der vom Deutschen Kulturrat geforderte „NEUSTART KULTUR“ nun mit einer Milliarde Euro an den Start geht und ich hoffe sehr, dass die aus diesem Topf geförderten Experimentierräume nicht nur für digitale Angebote, sondern ebenso für analoge, für das authentische Erleben gelten.

 

Dabei sollten wir nicht vergessen, einen Blick in unsere Nachbarländer zu werfen. Am 1. Juli übernimmt die Bundesrepublik für sechs Monate die europäische Ratspräsidentschaft. Viele Themen werden anstehen, das EU-Budget für die nächste Zeit, der europäische Umgang mit der Corona-Pandemie, ein europäisches Zusammenwirken in der Migrationspolitik, aber auch Kultur sollte eine wichtige Rolle spielen. Deutschland sollte sich an die Spitze der Länder setzen, die für eine Erhöhung des Kulturbudgets eintreten, und es sollte Kunst und Kultur eine wichtige, eine deutlich vernehmbare Stimme geben.

 

In der Not erkennt man die Freunde. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir als wirtschaftlich starkes Land in der Mitte von Europa gemeinsam mit unseren europäischen Partnern Verantwortung für die Kultur in und außerhalb von Europa übernehmen müssen. Der französische Kulturminister, Franck Riester, ruft im Leitartikel in dieser Ausgabe von Politik & Kultur dazu auf, für „den Schutz der Kreativen und des Pluralismus“ gemeinsam einzutreten und über die Einrichtung eines europäischen Kulturschutzschildes nachzudenken. Deutschland kann in seiner EU-Ratspräsidentschaft, gemeinsam mit Frankreich, diesen Kulturschutzschild auf den Weg bringen. Angela Merkel, bitte übernehmen Sie!

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2020.


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