Gitte Zschoch - 30. Juni 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Corona vs. Kultur

Für eine stärkere europäische kulturelle Zusammenarbeit


Das europäische Netzwerk der Kulturinstitute EUNIC in der Corona-Krise

Wenn Galerien geschlossen und Konzerte abgesagt sind, Bibliotheken keine Bücher verleihen und keine Scheinwerfer die Bühnen beleuchten, dann steht das kulturelle Leben still. Und wenn dann noch kein Flugzeug abhebt und grenzüberschreitender Verkehr generell nicht stattfindet, kommt zwangsläufig auch der internationale Kulturaustausch zum Erliegen.

 

Konkrete Auswirkungen auf unser Netzwerk

 

Als Plattform für den europäischen Kulturaustausch beruht der Kern der Arbeit von EUNIC, dem Netzwerk der 36 europäischen Kulturinstitute, darauf, dass Menschen zusammenkommen und sich treffen – meist über Landesgrenzen hinweg. In 120 Außenstellen in 92 Ländern sind im letzten Jahr gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen Projekte entwickelt und umgesetzt worden.

 

Wie hat sich nun diese Krise auf die Arbeit des Netzwerks ausgewirkt? Fast alle Mitglieder mussten vorübergehend mindestens die Hälfte ihrer Niederlassungen weltweit schließen: Die ersten Institute stellten im Januar in China den Betrieb ein oder um; und noch vor Ende März hatten auch die Niederlassungen in den Amerikas ihre Arbeit weitgehend an die Distanzierungsgebote angepasst und den Publikumsverkehr unterbunden. So ging die Krise ins Mark.

 

Neu entstandene Projekte

 

Auch im internationalen Kulturaustausch war die erste Reaktion, Kultur ins Internet zu verlagern. So entstanden Projekte, die den Künstlerinnen und Künstlern zugutekamen, deren Live-Auftritte und Ausstellungen abgesagt wurden. In den sozialen Medien haben wir diese unter dem Hashtag #EuropeForCulture gesammelt. Auch einige Mitglieder machten so auf sich aufmerksam: Mit #CzechCultureToTheWorld verlinkte das Tschechische Zentrum Berlin eigens bei Schriftstellerinnen in Auftrag gegebene „Deutsch-Tschechische Corona-Geschichten“ und seine hauseigenen Podcasts.

 

Die finnischen Kolleginnen haben bereits im März den Fonds „Together Alone“ aufgelegt, der Projekte fördert, die sich mit Ausnahmezuständen oder künstlerischer Praxis der Zukunft auseinandersetzen. Die ersten Ideen werden jetzt umgesetzt, darunter eine von einem Algorithmus generierte grafische Arbeit von Mikki Nordmann. Sie interpretiert globale Statistiken der Ausbreitung des Virus und kreiert eine aus Emojis bestehende Kopie des Gemäldes „Agnus Mundi“ aus dem 17. Jahrhundert.

 

Das Goethe-Institut hat mit der offenen, globalen Plattform kulturama.digital ein Angebot für Kulturschaffende lanciert, die Live-Events streamen oder für einen bestimmten Zeitraum anbieten. Die Plattform lädt gleichzeitig Kulturinteressierte ein, sich in eine Veranstaltung aus Slowenien, Singapur oder Südafrika einzuwählen. Das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) bereitet gerade ein Projekt mit dem Arbeitstitel „Are you for real?“ vor, ein Format, das das Konzept der klassischen Tourneeausstellungen digital denkt und als partizipative Praxis des Ausstellungsmachens neu definiert.

 

Während in der EU viele Länder Notmaßnahmen zur Unterstützung der Kulturschaffenden eingerichtet haben, stehen in vielen Ländern der Welt kaum staatliche Mittel für die Kultur bereit. In der Ukraine hat das Projekt „House of Europe“ nun neue Programme aufgelegt, um auf die Krise zu reagieren: Darunter eine Online-Universität, die Weiterbildungsmöglichkeiten und kleine Stipendien anbietet, welche zum Lebensunterhalt der Teilnehmenden beitragen. Über 400 Menschen haben dieses schon erhalten. Bei einem Hackathon waren als Beraterinnen und Mentorinnen Menschen aus vielen Ländern involviert, was über rein technische Mittel eine neue Art der Gemeinschaft entstehen ließ. Solange die Ausstattung vorhanden und eine Internetanbindung verfügbar ist, macht es keinen Unterschied, ob man vor seinem Bildschirm in Kiew oder in Brüssel sitzt und gemeinsam an Projekten arbeitet.

 

Auch im Senegal gibt es wenig öffentliche Hilfsangebote für den Kultursektor. Hier hat EUNIC ebenfalls ein neues Programm auf die Beine gestellt, das diesen unterstützt. „Lëlu Di Wajal’Art“ heißt das Projekt, was auf Wolof „kreativer Rückzug, um wieder die Kunst zu feiern“ bedeutet. Entsprechend lädt es ein, Ideen zu entwickeln, die kulturellen Angebote neu zu denken, dabei digitale Technologien zu nutzen und veränderte Verhaltensweisen des Publikums in Zeiten von Corona zu berücksichtigen.

 

Neben diesen Projekten, die die Kulturproduktion und -rezeption digital ausloten, hat die Corona-Krise auch dem Sektor einen Digitalisierungsschub verpasst. Interne Online-Lernangebote für Mitarbeiterinnen wurden initiiert. Bereits jetzt, im Juni, sind die Teilnehmendenzahlen der von EUNIC angebotenen Webinare im Vergleich zum Vorjahr um das Achtfache gestiegen. Viele Mitglieder haben darüber hinaus interne Prozesse digitalisiert, das Rechnungswesen umgestellt sowie Online-Bezahlmöglichkeiten eingeführt. Gleichzeitig fehlt es an dieser Stelle auch am meisten. Nicht nur an technischer Ausrüstung, sondern auch an Wissen und Personal. Ein Schlaglicht darauf werfen die Antworten auf die Frage, was unsere Mitglieder derzeit am meisten brauchen: „digitale Expertise“, „umfassende digitale Transformation“ und gar „Ausrüstung, um Video-Konferenzen durchführen zu können“.

 

Wie geht es weiter?

 

Eine Beobachtung, die wir in der Corona-Krise machen, ist die Tendenz zu einer isolierten Kulturpolitik der EU-Mitgliedsstaaten. Die aufgesetzten Rettungsprogramme helfen, verständlicherweise, erst einmal dem eigenen Sektor. Bislang gibt es keine nennenswerten Rettungsschirme für internationale Kooperationen, obwohl der Kultursektor durch und durch international ist. Wir als Europäerinnen können hier Verantwortung übernehmen. Denn nur wenn die Kulturbereiche gesund sind, können wir uns auch in einen Austausch mit den hier beschäftigten Menschen weltweit begeben.

 

Deswegen hat EUNIC seinem internen Projektfonds in diesem Jahr den Fokus gegeben, lokale Kulturszenen zu stärken. Das treibt die europäische Zusammenarbeit voran und gleichzeitig unterstützt es lokale Partner. Die 120 Außenstellen weltweit können sich darauf bewerben. Der Fonds wird Anfang September veröffentlicht und Maßnahmen können ab spätestens Januar umgesetzt werden. Wir erwarten, dass unsere Mitglieder 300.000 Euro dafür bereitstellen. Ein Tropfen auf den heißen Stein.

 

Auch Deutschland hat bereits einen solchen Fonds aufgesetzt, initiiert vom Goethe-Institut und dem Auswärtigen Amt gemeinsam mit vielen Partnern. Drei Millionen Euro stehen zur Verfügung und Kultureinrichtungen weltweit können sich um schnelle und substanzielle Unterstützung bewerben.

 

Weil diese Mittel nicht ausreichen, argumentieren wir gegenüber der Europäischen Kommission, dem Auswärtigen Dienst, dem Parlament und dem Europäischen Rat dafür, dass internationale Kulturbeziehungen weiterhin unterstützt und sie zu einem festen Bestandteil der EU-Außenbeziehungen ausgebaut werden müssen. 2016 wurden dazu mit der Veröffentlichung eines Strategie-Ansatzes von Federica Mogherini, der ehemaligen EU-Außenvertreterin, die Weichen gestellt. Auch in der neuen EU-Kulturagenda von 2018 wurden die internationalen Kulturbeziehungen verankert. Aber es könnte mehr getan werden. Im Zuge der geopolitischen Herausforderungen und der Corona-Krise droht das Thema weniger beachtet zu werden.

 

Dazu haben wir eine Deklaration verfasst. Diese unterstreicht, was die internationalen Kulturbeziehungen dazu beitragen können, damit die globale Gesellschaft aus der Krise vereint und gestärkt hervorgeht. Kulturaustausch ermöglicht es, dass Menschen verschiedener Kulturen sich begegnen. Nur wenn wir uns kennen und voneinander lernen, können wir Vertrauen entwickeln und Ängste und Vorurteile abbauen. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um globale Gemeinschaft zu stiften und die Krise zu überwinden.

 

Was wir jetzt tun müssen

 

Jetzt, wo viele Veranstaltungen digital angeboten werden, stellt sich die Frage nach dem Raum der internationalen Kulturarbeit neu. Während das traditionelle Konzept vorsieht, dass beispielsweise deutsche und brasilianische Künstlerinnen sich begegnen und in einen Dialog eintreten, ist das Anliegen von EUNIC seit jeher, diese bilaterale Sicht um die europäische zu erweitern. Indem wir uns nun bei Zoom, Jitsi oder Teams treffen, können wir gleichzeitig in Brasilien, Schweden, Deutschland und vielen anderen Ländern sein – einzig eingeschränkt durch die verschiedenen Zeitzonen. Wie wirkt sich das auf unsere Arbeit aus? Wie binden wir auch Menschen ein, die keinen Zugang zum Internet haben und daher vom digitalen Raum ausgeschlossen sind? Um zu analysieren, wie unsere Mitglieder mit diesen neuen Chancen umgehen und wie die Digitalisierung der internationalen Kulturbeziehungen erfolgt, werden wir dieses Jahr noch eine Studie durchführen.

 

Die große Frage bleibt: Kehren wir nach der Krise zur selben Praxis wie vorher zurück? Die Hälfte unserer Mitglieder findet, dass die Herangehensweisen an den internationalen Kulturaustausch generell zu überdenken sind. Manche wünschen sich eine noch stärkere europäische kulturelle Zusammenarbeit. Auch wenn es mühsam scheint, wann, wenn nicht in einer Krise, sollten wir vereint auftreten? Auf eine globale Krise kann es nur gemeinsame Antworten geben. Dem deutschen Hilfsfonds könnten sich europäische Partner anschließen. Mit mehr Mitteln würde die so dringend benötigte Unterstützung bei mehr Organisationen auf der ganzen Welt ankommen. Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft könnte Deutschland so eine Führungsrolle für die Kulturzusammenarbeit übernehmen.

 

Von unseren Partnern weltweit, gerade denen aus dem globalen Süden, wird zu Recht die Anforderung an die europäischen Kulturinstitute herangetragen, Partnerschaft auf Augenhöhe zu leben. Mit der derzeit verstärkt erfolgenden Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit und rassistischen Strukturen sowie der daraus resultierenden globalen Verantwortung der Europäerinnen stellt sich die Frage neu, wie wir gleichberechtigte Partnerschaften praktizieren können. Gerade weil die finanzielle Unterstützung für so viele Kulturprojekte weiterhin meist aus dem globalen Norden kommt.

 

Wir haben uns schon vor der Krise auf den Weg gemacht, Antworten auf diese Fragestellungen zu finden. Das Projekt „European Spaces of Culture“ testet innovative Modelle für die europäischen internationalen Kulturbeziehungen. Die hier gefundenen Formate können eine neue Art unseres Handelns einleiten – fair, gleichberechtigt, basierend auf gegenseitigem Zuhören und Lernen und gemeinsamer Teilhabe.

 

Die EU-Strategie der internationalen Kulturbeziehungen spricht davon, „einen neuen Geist … der weltweiten Solidarität“ zu wecken. Das kann jetzt in die Realität umgesetzt werden. Nutzen wir diese außergewöhnliche Zeit dazu.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2020.


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