Gerald Mertens - 26. Februar 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Corona vs. Kultur

Erfolge nicht verspielen


Orchester zwischen Lockdown und Lockerung

Mitte März 2021 blicken auch die professionellen Orchester und Rundfunkklangkörper in Deutschland auf ein Jahr Coronakrise zurück. Ein Jahr zwischen Lockdown und Lockerung. Im Rückblick ein extrem heterogenes Jahr: ein Sowohl-als-auch, ein Einerseits-andererseits.

 

Einerseits: Die Orchester, Chöre und Bigbands der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten konnten in dieser Zeit ihre Stärken ausspielen. Zwar mussten sie wie alle anderen auch ihren Konzertbetrieb vor Publikum im Saal zeitweise einstellen. Gleichzeitig konnten sie die Produktionskapazitäten und Ausspielwege ihrer Häuser über Fernsehen, Hörfunk und digitale Kanäle voll ausnutzen. Noch nie konnten die Klangkörper derart viele Menschen über all diese Wege erreichen. Die vier WDR-Ensembles z. B. absolvierten von Beginn der Pandemie bis Dezember 2020 in Konzertsälen 27 Auftritte vor Publikum und weitere 23 ohne Publikum – mit Livestream –, zwölf Auftritte in Autokinos sowie zahlreiche weitere Auftritte in Kirchen, Schulen und Kindergärten. Mit über 250 Hauskonzerten bei Abonnentinnen wurde sogar noch die Kundenbindung gestärkt. Die aufgezeichneten Livestreams wurden über 350.000 Mal abgerufen; in dieser kurzen Zeit eine extrem hohe Reichweite.

 

Andererseits: Bei den institutionell geförderten Theater- und Konzertorchestern stand im ersten Lockdown der Betrieb von Mitte März bis Mitte Mai weitgehend still. Mit den ersten Lockerungen waren bis zum Ende der Spielzeit viel Flexibilität und Improvisationskunst gefragt: Orchesterbesetzungen wurden ausgedünnt, um die Abstandsregeln auf der Bühne einzuhalten, neue Konzertspielpläne mit kleiner besetzten Werken aufgestellt, Bühneninszenierungen coronakonform umgestaltet. Um die Frage, wie viel Publikum unter Coronabedingungen mit oder ohne Maske in die Säle gelassen werden dürfe, tobten heftige Diskussionen. Die Bandbreite lag in etwa zwischen bis zu 50 Prozent Platzauslastung im Schachbrettmuster – Konzerthaus Dortmund – und bei nur maximal 200 Plätzen, versuchsweise 500, in bayerischen Veranstaltungsstätten – unabhängig von ihrer Gesamtgröße.

 

Seit April 2020 wurde vor allem den kommunalen Theatern und Orchestern analog zum öffentlichen Dienst erstmals ermöglicht, Kurzarbeit einzuführen. Im ersten Lockdown waren rund 60 Orchester in Kurzarbeit, im zweiten Lockdown ab November 2020 über 100. Unter den gegebenen Umständen hat sich die Kurzarbeit bewährt: Kein Orchester ist in seinem Bestand gefährdet, alle Arbeitsplätze sind bislang erhalten geblieben. Am stärksten betroffen waren und sind die freien Orchester und die freischaffenden Musikerinnen und Musiker, die durch viele Förderraster fielen.

 

Anfang 2020 befand sich der Orchester- und Musikbetrieb in Deutschland auf Erfolgskurs. Es wäre fatal, die Pandemie als Musikerin oder Orchester irgendwie zu überleben, um dann anschließend unter gravierenden Kürzungen öffentlicher Kulturausgaben leiden zu müssen. Damit die Kultur- und Orchesterszene an alte Erfolge anknüpfen kann, ist eine Weiterentwicklung der Kulturförderung dringend notwendig. Die DOV fordert daher ein auf mehrere Jahre angelegtes Bundesprogramm zur direkten Stützung kommunaler Kulturhaushalte nach dem Abklingen der Pandemie mit einer Zweckbindung für kommunale Theater, Orchester, Museen und Bibliotheken. Diese Bundesmittel sollten nur dann gewährt werden, wenn sich Kommunen ihrerseits verpflichten, den Kulturhaushalt stabil zu halten.

 

Zudem müssen von der Pandemie besonders betroffene freischaffende Berufsmusikerinnen und -musiker kurzfristig Hilfe erhalten. Dazu gehört, in der Künstlersozialversicherung befristet höhere Nebenverdienste jenseits von Minijobs zuzulassen, ohne den Künstlerstatus und die Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse infrage zu stellen. Außerdem muss der Zugang zur Arbeitslosenversicherung für Selbständige verbessert werden. Dazu gehört auch die Erweiterung in Form eines Kurzarbeitergelds für Zeiten mit geringer oder keiner Beschäftigung.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2021.


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