Christian Moos - 30. Juni 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Corona vs. Kultur

Eine Kultur der europäischen Werte


Die Europa-Union als natürlicher Verbündeter der Kulturschaffenden

Katastrophen und Krisen waren immer schon enorme Treiber für kulturelle Entwicklungen und künstlerische Höchstleistungen. Leid und Schaffenskraft scheinen eine starke Verbindung aufzuweisen. Allerdings haben die Lockdown-Maßnahmen die europäischen Kulturschaffenden besonders hart getroffen, entziehen vielen kulturellen Institutionen die Lebensgrundlagen und stürzen auch freischaffende Künstlerinnen und Künstler in großer Zahl in höchste Not.

 

Ikonisch für die Pandemie ist sicherlich das Street-Art-Werk des Künstlers Banksy, das die Krankenschwestern als Corona-Heldinnen ehrt. Inzwischen geht es aber nicht mehr nur um die Erkrankten, die zu beklagenden Verstorbenen und das bewundernswerte medizinische Personal. Längst ist klar, dass diese Krise viele Opfer fordert, auch unter den Überlebenden.
Das Bewusstsein für den massiven Wirtschaftseinbruch und die Wohlstandsverluste ist mittlerweile allerorten sehr groß. Lockerungen erscheinen als das Gebot der Stunde. Aber eine Rückkehr zu vollständiger Normalität liegt noch in einiger Ferne. Denn das Virus ist noch da, und eine zweite Welle droht.

 

Während überall in Europa Rettungspakete geschnürt werden, auch das Europäische Parlament sich mit seinem Kulturausschuss um europäische Unterstützung müht, kommen zielgerichtete Hilfen für Künstlerinnen und Künstler oft recht spät und ihre Wirksamkeit variiert stark zwischen den einzelnen EU-Staaten.

 

Der Lockdown hat die Kultur ins Mark getroffen. Denn Kulturschaffende sind auf offene Räume angewiesen, in denen sie aufspielen, vortragen, ausstellen können. Versammlungsverbote, Ausgangssperren gar, aber auch geschlossene europäische Binnengrenzen bedeuten für die meisten von ihnen ein faktisches Berufsverbot.

 

Kaum ein Sektor des wirtschaftlichen und sozialen Lebens ist so groß wie der kulturelle mit allen seinen Facetten. Aber ist er auch „systemrelevant“? Viele Millionen Europäerinnen und Europäer tragen mit ihrer künstlerischen Arbeit immerhin dazu bei, dass wir unser zuweilen doch sehr enges Alltagsleben, die schnöde Welt und ihre graue Wirklichkeit, in glücklichen Stunden transzendieren und, so wir uns trauen, unsere Höhlen verlassen können.

 

Offene Horizonte, weite Ferne, aber auch unfassbare Tiefe, die im Spiel von Worten und Klängen, in Farben und Formen, Sinnfreiem und Tiefgründigem erlebbar werden, sind unverzichtbarer Teil unserer menschlichen Existenz.

 

Wenn die kulturelle Landschaft Europas ärmer wird, weil Bühnen nicht mehr bespielt werden, Museen und Ausstellungsräume nicht mehr öffnen, Leinwände nicht mehr als Projektionsfläche für Visionen, Träume und Albträume dienen, Musik nur noch digital zerhackt erfahrbar und Dialog nur noch per freigeschaltetem Mikrofon auf Digitalplattformen möglich wird, dann droht die Huxley’sche Dystopie, verdichtet in einer Vielzahl von Regulierungen, Geboten und Verboten, zur Wirklichkeit zu werden.
Kunst und Kultur sind zentrale Faktoren der Resilienz unserer Gesellschaften gegen Unfreiheit und autoritäre Versuchung. Sie sind unberechenbar und deshalb nicht im Sinne derjenigen, die alle und alles kontrollieren wollen. Eben das macht Kultur so hochpolitisch.

 

Es ist sicherlich eine große Herausforderung, den Kulturschaffenden jetzt schnell und unbürokratisch zu helfen und ihnen dabei nicht die Luft zu nehmen, die sie brauchen, um kreativ sein zu können. Auch wird es darauf ankommen, nicht nur den großen staatlichen Bühnen und Kulturzentren das Überleben zu sichern. So wie in der Wirtschaft vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen für Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit sorgen, sind es die vielen freischaffenden Künstlerinnen und Künstler, die immer wieder die Ketten sprengen, die unsere Gesellschaften zu bedrücken drohen.

 

Kultur ist systemrelevant, und Kultur ist in höchstem Maße politisch, selbst dort, wo Politikferne ihr legitimer Anspruch ist. Für einen überparteilichen Verband wie die Europa-Union Deutschland, der sich seit 1946 als bürgerschaftliche Kraft in unseren Städten und Gemeinden für die europäische Idee einsetzt, ist die europäische Kultur ideeller Ausgangspunkt und zugleich programmatisches Ziel.

 

Die Europa-Union Deutschland setzt sich für die europäischen Werte ein, zuvorderst also für Frieden, Menschenrechte und Demokratie. Diese Werte sind Ausfluss kultureller – oder, weniger deutsch gefasst – zivilisatorischer Glanzleistungen, auf die jedoch ein schwerer Schatten fällt, solange nicht alle Menschen dieser Erde gleichermaßen daran teilhaben können. Die europäische Idee ist die Antithese von Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus. Sie geht über die Grenzen Europas hinaus, ohne dabei, das wäre ein fatales Missverständnis, eine imperiale Dimension zu haben.
Die Europa-Union Deutschland fördert eine Kultur, in der sich die europäischen Werte spiegeln, und sie steht in der ideellen Tradition der Weltföderalisten, die eine Weltfriedensordnung einer in Freiheit und Vielfalt geeinten Menschheit anstreben.

 

Kultur spricht eine universelle Sprache, auch wenn sich lokale Brauchtümer in ihr spiegeln. Farben und Klänge, Gesten und Mimiken folgen universellen Gesetzen. Sie lassen sich nicht durch Grenzschließungen aufhalten, sondern verweisen auf gemeinsame Urgründe des Seins.

 

Die Pandemie stellt viele vermeintliche Gewissheiten auf die Probe. Sie verführt zu nationalen Reflexen, erfordert aber mehr denn je gemeinsame europäische Lösungen. Unsere Zivilisation steht gewiss an einem Scheideweg. Nationaler Egoismus und selektive Kulturförderung, die rasch zu folkloristischer Erstarrung führen kann, stehen dem Geist europäischer Zusammenarbeit und der Offenheit für gemeinsame kreative Freiheitsräume, die es großzügig auszugestalten gilt, gegenüber. Für welchen Weg sich die Politik entscheiden wird, bleibt einstweilen offen.

 

Die europäischen Föderalisten, die in Deutschland in der Europa-Union und ihrem Jugendverband JEF organisiert sind, haben immer schon das Träumen geliebt, kühne Visionen gelebt. Sie wünschen sich offene Räume, freies Denken und Humanität. Sie sind daher natürliche Verbündete aller freiheitsliebenden Kulturschaffenden.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2020.


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