Marc Grandmontagne - 26. Februar 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Corona vs. Kultur

Devise: Spielbereit sein


Wie ist es um die deutschen Bühnen bestellt?

Die Situation im Monat vier des zweiten Corona-Lockdowns ist eine Zumutung, keine Frage, auch wenn andere an dieser Stelle mehr Grund zur Klage hätten: Freie und selbständige Künstlerinnen und Künstler, Szenografinnen und Szenografen, freie Gruppen und Kollektive und all jene, die mit mehr Herzblut als Geld Theater produzieren oder Musik machen. Aber auch für Theaterverlage und Autorinnen und Autoren ist es eine schwierige, teils existenzgefährdende Zeit. Sie alle sind mit den öffentlichen Theatern, Konzerthäusern und Opern, auch den Privattheatern verbunden – keine Produktion eines Hauses kommt ohne sie aus: Ohne Autorin oder Autor kein Stück, ohne Verlag keine Bühnenrechte, ohne Szenografinnen und Szenografen kein Bühnenbild oder Kostüm und ohne Künstlerinnen und Künstler geht sowieso gar nichts. Dabei ist die Situation für die „institutionalisierte“ Darstellende Kunst zunächst deutlich besser: Die öffentlichen Häuser arbeiten dank öffentlicher Förderung weiter. Durch die Ausweitung der Kurzarbeit und den Übertrag der Kurzarbeit auf die Theater und Orchester mittels Tarifvertrag können auch zum ersten Mal in diesem Bereich signifikant Schutzmaßnahmen getroffen werden. Auch die Privattheater sind in Kurzarbeit, zudem stellt der Bund dankenswerterweise über das Programm NEUSTART KULTUR Hilfsgelder zur Verfügung, von dem auch Privattheater und Gastspielhäuser profitieren können. Die Länder und Kommunen haben ebenfalls in den letzten Monaten Hilfsprogramme aufgelegt, um Schäden zu verhindern. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern haben wir hier eine bessere Situation. Allerdings gibt es auch noch viel zu tun: Manches ruckelt mehr schlecht als recht in diesen Programmen, viele potenzielle Antragstellerinnen und -steller sind durch formale Kriterien ausgeschlossen, weil das Haushaltsrecht, zumal des Bundes, teils unüberwindliche Hürden aufstellt. Bei so manchen kommt gar nicht erst etwas an und wir alle haben in den letzten Monaten gelernt, dass eine der größten Hausaufgaben die ist, unsere staatlichen Sozialsysteme mit den Komplexitäten künstlerischer Erwerbsbiografien von Freien und Selbständigen zu versöhnen.

 

Jenseits dessen wird natürlich im Rahmen des Möglichen noch geprobt, damit sich der Vorhang hebt, sobald es wieder losgehen kann. Spielbereit sein lautet die Devise. Wann genau das wieder möglich sein wird, ist völlig unklar. Und genau das muss sich ändern. Seit die Pandemie ausgebrochen ist, haben die Theater und Orchester, aber auch der Bühnenverein, den politischen Kurs mitgetragen und unterstützt. Ein leistungsfähiges Gesundheitssystem ist kein Gut, was man so einfach aufs Spiel setzt. Allerdings drängt sich allmählich der Verdacht auf, dass es an einem Plan fehlt, wie die jetzige Situation wieder beendet werden kann. Auch der dafür notwendige Mut ist nirgendwo ersichtlich. Die Impfungen schreiten (zu) langsam voran, Virusmutationen werden uns auch zukünftig begleiten. Umso mehr müssen alle Register gezogen werden, um schrittweise Normalisierung zu ermöglichen: Neben der AHA+L-Regel wird zu wenig getestet und während in anderen Ländern seit Monaten Schnelltests in Massen zur Verfügung stehen, wird in Deutschland lieber darüber diskutiert, warum das nicht sinnvoll ist, da die Fehlerquote höher ist als bei PCR-Tests. Am Ende steht und fällt alles mit den meist noch analogen Kapazitäten der Gesundheitsämter, weil erstens deren Digitalisierung nicht entschieden genug vorangetrieben wurde (und wird) und dank des nimmermüden Einsatzes von Datenschützern ist die teure Corona-Warn-App der Bundesregierung vollkommen ungeeignet, das zu leisten, was sie soll. Ob das alles zu Ende gedacht ist, kann man sich fragen. Und so verharren wir spielbereit, mit hochgerüsteten Lüftungssystemen, komplexen Hygienekonzepten und Bergen von Neuproduktionen und müssen mit ansehen, wie die Kollateralschäden in der Gesellschaft langsam, aber sicher den Nutzen der Pandemiebekämpfung zu überwiegen beginnen. Es ist Zeit für einen Plan und mehr Mut zur Differenzierung, wo die wirklichen Infektionsquellen lauern.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2021.


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