Coroniade*
Bildende Kunst braucht mehr solide Unterstützung
Das Jahr hatte gut begonnen. Die Vorbereitungen für die Ausstellung in Florenz liefen reibungslos. Die Werke waren fast fertig. Der Transport war beauftragt, die eigene Reise zur Betreuung des Auf- und Abbaus organisiert. In der Woche vor der Abreise würde der Ferienworkshop am Gymnasium in der Landeshauptstadt allen Beteiligten noch viel Spaß machen. Wie in den letzten Jahren würden viel Leidenschaft und Idealismus die Vorbereitung sichern: Die Experimente mit den aus Naturmaterialien selbst hergestellten Malfarben waren schon im letzten Jahr ein voller Erfolg. In der gleichen Woche wäre am Abend noch die Vernissage im Landesmuseum, in dem in der aktuellen Ausstellung eine gar nicht umfangreiche, aber besondere Installation beigesteuert würde. Und nach Italien würde es arbeits- und ereignisreich weitergehen. Zwei Residenzstipendien würden Herausforderungen an interessanten Orten bringen und neue Impulse setzen. Ein Katalog würde erarbeitet, gedruckt und öffentlich präsentiert werden. Andere, eigentlich zeitgleiche Projekte sind bereits ausgesetzt, die Wohnung wegen nicht ausreichender Stipendienhöhe für die Zeit des Stipendienaufenthalts bereits untervermietet. Bestens organisiert, eigentlich.
Das Coronavirus kam schleichend näher, zuerst die Bilder aus den gespenstisch leeren, chinesischen Millionenstädten in den Medien, dann fassungsloses Beobachten der immer größer werdenden roten Kreise auf Landkarten, die die Anzahl der Infizierten und der Verstorbenen darstellten, schließlich Europa, Italien betroffen, Lombardei gesperrt, Italien geschlossen.
Absage der Ausstellung in Florenz, nach erstem Schock Auftragsstornierung beim Spediteur, Stornierung von Reise und Hotel nicht mehr möglich. Corona in Deutschland angekommen, erste Ausgangsbeschränkungen, Absage der Ausstellung im Landesmuseum. Vielleicht verschoben, der Ausstellungsbeitrag bleibt gleich in der Kiste. Anruf des Stifters des einen Residenzstipendiums: Sie wollten das Stipendium ausfallen lassen, weil ihr Ziel, öffentliche Wirksamkeit, durch die Ausgangsbeschränkungen nicht erreicht würde. Schulen geschlossen, Absage des Ferienworkshops. Komplettausfall des Honorars und der Auslagen für Materialien. Wie die laufenden Kosten für Ateliermiete, Materialrechnungen, Steuervorauszahlungen begleichen? Alleinverdiener für drei. Woher die Miete zum Wohnen und für das Wenige zum Leben nehmen?
Zurückgeworfen auf Punkt Null, Zeit nachzudenken. Liegen gebliebene Arbeiten erledigen, Werkverzeichnis vervollständigen. Ausschreibungen checken. Doch was davon wird wirklich stattfinden? Eine Werkabbildung in den Vernissagenverteiler senden, mit der Bitte zum Kauf. Mal abwarten, was passiert. Nachrichten hören. Online sein. Zwei Verkäufe, eine Anfrage für einen Workshop, irgendwann nach der Krise. Gehört, es könnte Darlehen geben. Aber inzwischen wird klar: Die Ausfälle jetzt sind nicht aufgeschobene Einnahmen, sondern werden auch später nicht ausgeglichen. Wie also Kredite zurückzahlen? Gehört, es könnte Hilfen für Soloselbständige geben, auch für Kunstschaffende. Das Jahr wird unterdurchschnittlich werden. Dabei hatte es so gut begonnen …
Diese Geschichte schildert eine aktuell typische Situation bei Bildenden Künstlerinnen und Künstler. Durch die Corona-Pandemie brechen viele der sowieso schon prekären und wechselhaften Künstlereinkommen komplett ein. Honorare werden wegen abgesagter Kurse, Workshops, Führungen, Performances, Ausstellungen und anderer Veranstaltungen nicht oder nur reduziert gezahlt, durch abgesagte Ausstellungen und Kunstmessen entfallen die dort üblichen Verkäufe. Aufenthaltsstipendien und internationale Künstleraustausche sind abgesagt. Es entfällt die bisher übliche öffentliche Bühne für Folgeaufträge, Bestellungen und Nachbuchungen. Jetzt schon fehlen die Äquivalente für die laufenden Kosten – Ateliermiete, Nebenkosten etc. Doch die ganzen wirtschaftlichen Auswirkungen werden sich erst in Wochen oder Monaten zeigen. Denn die unverzichtbare, über Jahrzehnte gewachsene Infrastruktur für die Präsentation, Vermittlung und den Handel der Bildenden Kunst – Galerien, Kunstvereine, Museen, Kultureinrichtungen – ist genauso stark betroffen. Auch hier wird vieles nur durch großes Engagement und Herzblut mit kleinem Budget möglich gemacht. Auch hier, wie bei den meisten Kunstschaffenden auch, gab es kaum Möglichkeiten, Rücklagen oder krisenfeste Budgets zu bilden, auf die jetzt zurückgegriffen werden könnte.
Wie kann es weitergehen? Egal wie groß die Überbrückungsfonds für Corona-bedingte Ausfälle auch werden, sie werden nur das Nötigste abdecken können. Die Krise zeigt, wie dünn das Eis in Kunst und Kultur wirklich ist. Nach der Krise muss es noch mehr als zuvor darum gehen, auch für Künstlerinnen und Künstler auskömmliche Einnahmen zu ermöglichen: Ausstellungsvergütungen als selbstverständliche Leistung, Kunst am Bau bei allen Baumaßnahmen der öffentlichen Hand, Konjunkturprogramme für Kunst und Kultur, Förderstrukturen über alle Karrierestufen und Generationen hinweg, auskömmliche Honorare für künstlerische Leistungen aller Art – ein sicheres Einkommen eben. Die Krise zeigt deutlich, dass die von uns allen so geliebte und gewünschte Vielfalt der Kunst und Kultur mehr solide Unterstützung braucht.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.
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