Johann Michael Möller - 27. März 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Corona vs. Kultur

Bis zur Rosenblüte ist es noch weit


Kultur in Mitteldeutschland in Zeiten der Quarantäne

Heute Morgen hat mich mein Newsportal daran erinnert, dass es Zeit sei, die Rosen zu beschneiden. Man schaut in diesen Tagen fast ungläubig auf eine solche Nachricht, die sich da zwischen Infektionsraten und Ausgangssperren hindurchgeschmuggelt hat. Offenbar geht das Leben doch weiter, wenigstens beim Frühjahrswachstum. Was soll man sonst auch erwähnen, es ist ja längst alles gesagt zu Corona, zum Shutdown und dazu, dass die Virologen jetzt das Regiment übernommen hätten. Man ist trotzdem erstaunt, wie geduldig viele doch vieles ertragen, was vor Kurzem noch unvorstellbar gewesen wäre.

 

Wir putzen jetzt unsere Vitrinen, sagt mir die Leiterin des Städtischen Museums von Aschersleben, Luisa Töpel. Es ist Tag Eins der Schließungsverordnung für die Museen und viele andere öffentliche Kultureinrichtungen in Sachsen-Anhalt und die Mitarbeiter reiben sich selbst noch die Augen. „Wir von der Kultur“, sagt Luisa Töpel, „denken im Moment selbst nicht an die Kultur. Wir kümmern uns um das, was liegen geblieben ist“. Für sie als einzige festngestellte Fachkraft im Haus, die auch noch zuständig ist für das Stadtarchiv und das Kriminalpanoptikum, kommt das Allheilmittel Homeoffice nicht infrage. „Wir treffen uns jeden Morgen beim Frühstückskaffee und überlegen, was wir tun können und vor allem: für wen.“ „Wundervolle Zeiten“ sollte die Sonderausstellung heißen, deren Eröffnung für Ende April vorgesehen war. Davon kann keine Rede mehr sein. In eigens gebauten Wunderkammerschränken wollte man zeigen, welche kulturellen, historischen und architektonischen Werte in der Stadt gewachsen sind. Doch die Luft ist raus, sagt Luisa Töpel und sie wirkt erstaunlich gefasst.

 

Die Situation im Museum von Aschersleben ist keine Ausnahme in diesen Tagen. In anderen Häusern sieht es nicht besser aus. Der Publikumsverkehr ruht. Das kulturelle Leben ist wie ausgeknipst. Ob sie nicht besser die Möglichkeiten im Netz für einen virtuellen Auftritt nutzen könne, will ich wissen. Luisa Töpel bleibt skeptisch. Für manche ihrer Kollegen sei das jetzt das Allheilmittel. „Aber was ist ein Haus ohne seine Besucher?“ Und dann fügt sie hinzu: „Ein Museum braucht seine Objekte – und ich brauche sie auch.“

 

Viele sehen das anders. Für sie ist das Netz die Chance, überhaupt sichtbar zu bleiben in dieser Zeit des Verschwindens. Das Kunstmuseum Moritzburg in Halle ist ein Vorreiter dieser Entwicklung. Dort hatte man mit der Retro-spektive des Fotografen Karl Lagerfeld einen spektakulären Coup gelandet, der in allen wichtigen Feuilletons weit über Deutschland hinaus große Beachtung fand. Nach nur einer Woche musste man die Ausstellung wieder schließen. Für den Direktor Thomas Bauer-Friedrich, der um diesen Erfolg lange gekämpft hatte, ein bitterer Augenblick. Dann startete er kurz entschlossen den Hashtag #closedbutopen und stellte die Bilder seiner Ausstellung ins Netz. Dort kann man sie jetzt betrachten, die großformatigen Fotografien Karl Lagerfelds, Videos, Hintergrundinformationen und das ganze Begleitmaterial. Wann er sein Haus wieder öffnen kann, ist ungewiss. Das Schicksal von Museen, das sieht Bauer-Friedrich realistisch, steht im Augenblick nicht im Zentrum des öffentlichen Interesses. Seine Warnung gleichwohl: Gerade Kultureinrichtungen gehen kaputt, wenn sie zu lange geschlossen bleiben.

 

Diese Sorge geht um in der rührigen Kunsthalle Talstraße in Halle nur wenige Kilometer weiter die Saale hinab. Dort hatte man sich mit den Arbeiten des berühmten Modefotografen Guy Bourdin die Komplementärausstellung zur Moritzburg überlegt. Doch im Gegensatz zu den großen Häusern, die sich in der Regel über öffentliche Haushalte finanzieren, leben Einrichtungen in freier Trägerschaft von Projektmitteln und eigenen Erlösen. Die Situation sei existenzbedrohend, sagt der Vorsitzende des Trägervereins Talstraße, Matthias Rataiczyk. Auch er wiederholt einen Satz, den man in diesen Tagen immer wieder zu hören bekommt. Wenn freie Einrichtungen erst einmal geschlossen seien, bestünde die Gefahr, dass sie nicht wieder aufmachen. Die Angst jedenfalls geht überall um, dass es als Folge der Corona-Krise zu einer Umverteilung der Mittel kommen könnte – auch zulasten der Kultur.

 

Trotzdem ist die Haltung beeindruckend, mit der viele Kunstschaffende auf den Stillstand reagieren. Der renommierten Schmuck- und Objektkünstlerin Margit Jäschke ist mit der Internationalen Münchner Handwerksmesse in diesem Jahr ihre zentrale Ausstellungsplattform weggebrochen. Die dortige Sonderschau „Schmuck“ gilt als die wichtigste Ausstellung ihrer Art. Von ihr gehen seit Jahren die stilprägenden Impulse für die Schmuckkunst aus. „Von dort“, sagt Jäschke, „habe ich immer wichtige Impulse bekommen und dort habe ich meine Sammler und Galeristen getroffen; dort finden auch Verkäufe statt.“ Ein halbes Jahr hat sie auf diese Messe hingearbeitet. Die Stücke sind da, die Käufer fehlen. Das ist wie ein GAU, meint sie. Aber Künstler seien im Umgang mit solchen Situationen geübt, sie stünden ja meist am unteren Ende der Nahrungskette. Ihre Hoffnung setzt sie jetzt auf ihre Galeristen in Wien, München, den Niederlanden oder Paris und darauf, dass es nach der Krise weitergeht. Sie wolle Wertschätzung, keine Almosen, meint sie fast ärgerlich: „Ich kaufe meine Brötchen ja auch nicht, um dem Bäcker zu helfen.“

 

Immerhin, für selbständige Künstler gewährt Sachsen-Anhalt als eines der ersten Bundesländer jetzt eine finanzielle Soforthilfe von 400 Euro pro Monat. Man merkt, dass der Kultusminister dort direkt in der Staatskanzlei sitzt. Auch die umtriebige Kunststiftung des Landes hat sofort reagiert. Sie will rund um die Uhr für alle Künstler erreichbar sein und ihre Förderanträge beschleunigt entscheiden. „Wir bringen die Kunst jetzt zu Ihnen“, heißt die Idee, mit der die Kunststiftung ihre Stipendiaten weiterhin präsentieren will.

 

Und die Rosen? Im weltberühmten Rosarium von Sangerhausen im Südharz werden sie jetzt beschnitten. Auch dieser einzigartige Ort musste jetzt schließen. Aber bis zur Rosenblüte ist es zum Glück doch noch weit.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.


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