Susanne Keuchel - 30. Juni 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Corona vs. Kultur

Abschied von der Pandemie


Doch weiter so wie bisher?

Stück für Stück kehrt das „alte“ prä-pandemische Leben zurück! Es geht wieder: der Kulturbesuch, der Restaurantbesuch, das Shoppen und das Reisen.

 

Aktuell kann eine Wiederkehr der Lebensfreude beobachtet werden, aber auch ein sich langsames Herantasten an die neu wiederkehrenden „Freiheiten“. Aber wollen wir wirklich ein „Weiter-so“?

 

Die Pandemie hat die Gesellschaft gespalten: Es gab Gruppen, die stark in ihren Berufs- und Verdienstmöglichkeiten eingeschränkt und belastet wurden. Und es gab Gruppen, die noch mehr arbeiten mussten, oft zusätzlich belastet durch Home-Schooling, einen Crash-Kurs in der Anwendung digitaler Techniken, den beruflichen Alltag unter den Auflagen der Pandemie durchzuführen und die stetig notwendige Flexibilität, hier immer wieder das berufliche Geschehen den veränderten Pandemie-Bedingungen anzupassen.

 

Allgemein konnte jedoch beobachtet werden, dass unter den Bedingungen der AHA-Regeln überraschende Aha-Effekte entstanden: Das Leben bahnt sich auch ohne Dienstreisen, ohne auswärtige Freizeitaktivitäten und neuen Erlebniswelten seinen Weg. Und der eine oder andere stellt sich bei der neu gewonnenen Freiheit die Frage: Ist das alles wirklich wieder im selben Umfang nötig? Ist das prä-pandemische, beschleunigte Berufs- und Freizeitleben wirklich so erstrebenswert? Die täglichen Fahrten auf einer stauträchtigen Autobahn? Dienstreisen heute in Hamburg, morgen in München und übermorgen in Berlin? Bedarf es jedes Wochenende das volle Programm? Kultur, Events, Shoppen, Essen gehen, Disko?

 

In harten Zeiten der Pandemie hieß es oft: Ein Weiter-so, wird es nicht geben! Positive Begleitphänomene der Krise sollten künftig beibehalten werden, beispielsweise mehr mobiles Arbeiten! Nur wie heben wir die Chancen der Krise? Besteht nicht die Gefahr, im Zuge des Öffnungsprozesses zu schnell wieder in eine prä-pandemische Praxis zu verfallen? Im alltäglichen, aber auch im beruflichen und politischen Geschäft? Von einer solidarischen Haltung in der Politik zu einer noch stärkeren ökonomischen Wettbewerbsspirale, aufgrund der nun folgenden leeren öffentlichen Kassen, aufgrund milliardenschwerer Rettungsschirme?

 

Oder wären hier nicht auch alternative Wege denkbar, die generationen- und zugleich sozial gerechter sind? Mut machte hier jüngst eine historische richtungsweisende Entscheidung der G7: So einigten sich die Finanzminister der wichtigsten Industrieländer darauf, dass Großkonzerne auf der ganzen Welt künftig eine Mindeststeuer von 15 Prozent bezahlen müssen.

 

Sollte das Abflachen der Pandemie nicht genau dazu genutzt werden, um dringend notwendige Neujustierungen im Zusammenspiel von Ökonomie, Ökologie, aber auch von Kultur und gesellschaftlichem Zusammenhalt vorzunehmen? Im Politischen wie im Privaten? Müssen wir unter Aspekten der Nachhaltigkeit, aber auch einer ausgeglichenen Work-Life- Balance, wirklich wieder vollständig zu früheren Freizeit- und Konsumpraktiken zurückkehren?

 

Aber wie schaffen wir in der Öffnungseuphorie zugleich Entschleunigung, um über Pro und Contra der Pandemie-Begleiterscheinungen zu reflektieren? Und wie zeitnah müssen solche Reflexionen erfolgen, damit die guten Vorsätze und neuen Kreativitätsschübe, ausgelöst durch die Krisenerfahrung, als gesellschaftliches Potenzial nicht verloren gehen?

 

Veränderungsprozesse brauchen Freiräume für das Experimentieren und Aushandeln neuer Regelwerke. Wir sollten die Chancen, die mit der Krise einhergingen, nicht verschenken und uns eben diese Freiräume nehmen. Kunst und Kultur können dabei einen elementaren Beitrag leisten, indem sie künstlerische Impulse geben für alternative Denkweisen und Perspektiven. Ein guter Grund, für eine zumindest schnelle Öffnungsperspektive der Künste und kulturellen Freiräume im Zuge der Abflachung der Pandemie einzutreten.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2021.


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