Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz - 27. August 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Bundestagswahl 2021

Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2021 - Eine erste Einordnung der Antworten


Antworten der Parteien auf die Fragen des Deutschen Kulturrates

Die Bundestagswahl ist auch eine Wahl über die Ausrichtung der Kulturpolitik in der kommenden Wahlperiode 2021 bis 2025. Der Deutsche Kulturrat hat daher auch zu dieser Wahl den im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien Fragen zu ihren kulturpolitischen Vorhaben und Plänen vorgelegt. Bereits im Vorfeld hatten Bündnis 90/Die Grünen, CDU und CSU, FDP sowie die SPD mitgeteilt, dass sie jeweils nur acht Fragen à 300 Zeichen beantworten werden. Hierfür hatten die genannten Parteien Portale erstellt, in die die Fragen eingegeben werden mussten.

 

Durch diese Maßnahme wird das Instrumentarium „Wahlprüfsteine“ ausgehöhlt. Einige Parteien sprachen von einer „Inflation“ an Wahlprüfsteinen und sahen in der verordneten Formalisierung eine Art Selbstschutz vor zu vielen Fragen. Es ist schon grotesk, dass sich in einem Wahlkampf konkurrierende Parteien offenbar untereinander abstimmen, um nicht mehr so viele Fragen nach ihrer Politik beantworten zu müssen. Bündnis 90/Die Grünen, CDU/ CSU, FDP und SPD beschädigen mit diesem Vorgehen ein wichtiges Instrumentarium, um ihre Politik in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ausführlich darzustellen.

 

Im Folgenden werden die Antworten der Parteien auf unsere Fragen, die durch die beschriebenen Vorgaben deutlich beschränkt sind, kursorisch vorgestellt. Auf den nachfolgenden Seiten ist eine Synopse der Antworten zu finden. Wir haben die in der 19. Legislaturperiode im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien um eine Beantwortung unserer Frage gebeten. Alle haben geantwortet.

 

Die kompletten Antworten der Parteien finden Sie auf den Seiten des Deutschen Kulturrates unter: kulturrat.de/thema/bundestagswahl-2021.

 

Kulturpolitische Ziele und Strukturen

 

Alle Parteien stimmen darin überein, dass die Coronapandemie den Kulturbereich stark getroffen hat und daher Maßnahmen erforderlich sind, um Kunst und Kultur wieder auf die Beine zu helfen. CDU/CSU wollen sich auf die Wiedergewinnung der Wachstumsraten der Kultur- und Kreativwirtschaft konzentrieren, die SPD will den Neustart abfedern, die FDP plant, den Kulturetat des Bundes zu erhöhen, und Bündnis 90/Die Grünen wollen insbesondere die Kommunen stärken, da sie die Grundlage für die kulturelle Infrastruktur bilden. Die AfD spricht sich gegen jegliche Einschränkungen des Kulturbetriebs in der Pandemie aus. Als wichtigstes kulturpolitisches Ziel nennt sie den Kampf gegen die „Ideologisierung“ des Kulturbereiches.

 

Für das Staatsziel Kultur im Grundgesetz wollen sich SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen einsetzen. CDU/CSU wollen prüfen, ob die Verankerung des Staatsziels Kultur im Grundgesetz Vorteile bringen würde. Die AfD lehnt das Staatsziel Kultur ab und will die deutsche Sprache als Staatssprache im Grundgesetz festschreiben.

 

Für ein Bundeskulturministerium spricht sich nur Die Linke unmissverständlich aus. Bündnis 90/Die Grünen halten ein Bundeskulturministerium nur dann für sinnvoll, wenn unterschiedliche Zuständigkeiten zusammengefasst werden. CDU/CSU und FDP wollen an der jetzigen Struktur festhalten. Die SPD will, dass der Beauftragte für Kultur und Medien im Kanzleramt Ministerrang erhält. Die AfD stellt die Kulturhoheit der Länder nach vorne und begründet damit die Ablehnung eines Bundeskulturministeriums.

 

Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und UN-Agenda 2030

 

CDU/CSU unterstreichen die Bedeutung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) für Völkerverständigung und europäische Integration. Die SPD will die bisherige Arbeit fortsetzen und insbesondere die Verschränkung der Kulturpolitik im In- und Ausland vorantreiben. Ferner soll die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft sowie die deutsch-französische Zusammenarbeit ausgebaut werden. Ein besonderes Augenmerk soll auf die Stärkung der Zusammenarbeit mit dem afrikanischen Kontinent gelegt werden. Weiter will sie sich für die Freiheit von Kunst und Wissenschaft weltweit stark machen. Die Umsetzung der UN-Agenda 2030 soll ein wesentlicher Bestandteil der AKBP werden. Die AfD hält die AKBP im Großen und Ganzen für gut aufgestellt, sie soll pragmatisch und realistisch fortgeführt werden. Das gilt insbesondere für die Auslandsschulen, den DAAD, das Goethe-Institut und die Deutsche Welle als Botschafter Deutschlands in der Welt. Aus Sicht der AfD soll jeder Staat das Recht haben, seine Leitkultur zu stärken. Die UN-Agenda 2030 als solche wird als ideologisch angesehen, sie soll daher in der AKBP keine Rolle spielen. Die FDP will die AKBP als Aushängeschild Deutschlands stärken und speziell die digitalen Angebote der Mittlerorganisationen verstärkt fördern. Zur Gründung von Auslandsschulen soll ein Masterplan vorgelegt werden. Besonders wichtig ist der Einsatz gegen die Beschneidung kultureller Freiheiten. Die Linke will mit der AKBP nationalstaatliches Denken überwinden und damit zu kultureller Vielfalt einen Beitrag leisten. Nachhaltige Produkte sollen gefördert werden. Bündnis 90/Die Grünen wollen die AKBP stärken und die Zusammenarbeit mit der UNESCO und dem Europarat intensivieren. Sie wollen sich bei künftigen Handelsabkommen für Kultur und audiovisuelle Medien einsetzen. Damit gehen sie als einzige Partei auf die wirtschaftspolitische Komponente der UNESCO-Konvention Kulturelle Vielfalt ein. Zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele soll ein „Green Culture Fonds“ eingerichtet werden.

 

Kultur-, Medien- und Digital-politik

 

Die Digitalisierung aller gesellschaftlichen Bereiche hat für die CDU/CSU oberste Priorität. Es soll daher ein Digitalministerium eingerichtet werden, um die Infrastruktur zu modernisieren und Behörden zu bündeln. Die FDP will ein Ministerium für digitale Transformation schaffen, das den Ausbau der digitalen Infrastruktur beschleunigen und die rechtlichen

 

Rahmenbedingungen für die Digitalisierung gestalten soll. Bündnis 90/Die Grünen zeigen sich offen für eine vermehrte Bündelung der Kompetenzen mit Blick auf Kultur-, Medien- und Digitalpolitik. Die SPD will eine agile und projektorientierte Digitalpolitik vom Kanzleramt aus gestalten. Wichtig ist ihr ferner, die Stärkung des Digitalen als künstlerischen Raum sowie die Entwicklung von Erlösmodellen für die Kultur im digitalen Raum. Die Linke will Kultureinrichtungen unterstützen, damit sie Digitalisierungspotenziale nutzen können. Sie planen ein „digitales Kulturportal“, das die Kooperation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit Kultureinrichtungen vorantreibt. Die AfD sieht die wachsende Bedeutung der Digitalisierung für den Kulturbereich, weist allerdings auf mangelnde Monetarisierungsmöglichkeiten für Künstlerinnen und Künstler hin. Auch warnt sie davor, dass die klassischen analogen Kulturangebote durch vermehrte digitale Angebote veröden könnten. Die Meinungsvielfalt sieht sie gefährdet und will den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Richtung eines „Grundfunks“ abbauen.

Soziale Lage und Geschlechtergerechtigkeit

 

In der Coronapandemie trat die schwierige soziale Lage speziell von selbständigen Künstlerinnen und Künstlern sowie anderen Soloselbständigen in Kultur und Medien sehr deutlich zutage. Die SPD will die sozialen Sicherungssysteme weiterentwickeln, um die oben genannten Gruppen krisenresilienter zu machen. Die Existenz der Künstlersozialversicherung ist für die SPD nicht verhandelbar. Die Arbeitslosenversicherung soll für Selbständige zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickelt werden. Um mehr Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen, sollen Jurys und Gremien quotiert besetzt werden. Weiter soll sich für mehr Diversität im Kulturbereich stark gemacht werden. CDU/CSU wollen prüfen, ob die Arbeitslosenversicherung für Selbständige weiterentwickelt werden kann. Ferner soll der Schutz in der Kranken- und Pflegeversicherung bei nichtkünstlerischer selbständiger Tätigkeit von Versicherten in der Künstlersozialversicherung ausgebaut werden. Dem Gender Pay Gap soll durch Anwendung des Entgelttransparenzgesetzes entgegengewirkt werden. Die Linke spricht sich für eine Einbeziehung aller in die gesetzliche Sozialversicherung aus. Die Beiträge Selbständiger zur Arbeitslosenversicherung sollen sich am tatsächlichen Einkommen orientieren. Weiter plädieren sie für verbindliche Mindeststandards für Künstlerhonorare, branchenspezifische Honoraruntergrenzen und Ausstellungsvergütungen für Bildende Künstler. Der Gender Pay Gap soll überwunden werden. Auch Bündnis 90/Die Grünen sprechen sich für branchenspezifische Mindesthonorare aus. Sie wollen den Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung für Selbständige verbessern und die Grundrente zu einer Garantierente weiterentwickeln. Bei Stipendien, Jurys und Intendanzen soll eine Geschlechterquote eingeführt werden. Die FDP spricht sich für maximale Wahlfreiheit in der Altersvorsorge für Selbständige aus, hält allerdings in der Gründungsphase die Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Renten- sowie Krankenversicherung für angemessen. Die Beiträge für Selbständige in der gesetzlichen Krankenkasse sollen sich am tatsächlichen Einkommen orientieren und die freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbständige erhalten bleiben. In den Kultureinrichtungen soll es mehr Diversität geben, dazu soll eine Begrenzung der Amtszeiten von Jurymitgliedern sowie auf den obersten Leitungsebenen von Kultureinrichtungen beitragen. Gleichstellung bezieht sich für die FDP auch auf Menschen mit Beeinträchtigungen sowie Personen der LSBTI-Community. Die AfD spricht sich dafür aus, dass Selbständige selbst für das Alter vorsorgen. Für Künstler und Publizisten gibt es mit der Künstlersozialkasse bereits Entlastungen. Eine verpflichtende Arbeitslosenversicherung für Selbständige entspricht aus ihrer Sicht  nicht der sozialen Marktwirtschaft. Mit Blick auf eine angemessene Bezahlung im Kulturbereich wird Nachholbedarf gesehen. Maßnahmen zur Geschlechtergerechtigkeit werden von der AfD abgelehnt.

 

Kultur- und Kreativwirtschaft

 

Die Rahmenbedingungen für die Kultur- und Kreativwirtschaft plant die CDU/CSU zu verbessern. Sie will sich für eine angemessene Vergütung in Kultur und Medien einsetzen. Die SPD will ordnungspolitische Maßnahmen ergreifen, um der Kultur- und Kreativwirtschaft auf die Beine zu helfen. Dabei geht es um kulturförderliche Maßnahmen im Steuerrecht, Urheberrecht und in der Künstlersozialversicherung. Es wird sich für Mindestgagen und Ausstellungsvergütungen ausgesprochen. Die FDP will ebenfalls die Kultur- und Kreativwirtschaft stärken und setzt dabei insbesondere auf ein Innovationsprogramm für digitale Geschäftsmodelle. Eine angemessene Vergütung wird als essenziell angesehen, um die soziale Lage der Künstler zu verbessern. Die Linke will Mindesthonorare einführen und für die Dauer der Pandemie eine monatliche Pauschale von 1.200 Euro an Künstler zahlen. Diese Pauschale soll rückwirkend zum März 2020 gezahlt werden. Weiter soll die Künstlersozialkasse für weitere Berufsgruppen geöffnet werden. Bündnis 90/Die Grünen wollen ebenfalls ein Investitionsprogramm für die Digitalisierung auflegen, das sich auch an die Kultur- und Kreativwirtschaft richtet. Der Bundeszuschuss zur Künstlersozialkasse soll auf 25 Prozent erhöht werden. Weiter setzt sich die Partei für Mindesthonorare ein. Die AfD ist der Auffassung, dass alle erwerbstätigen Bürger eine faire Vergütung für ihre Leistungen erhalten sollen.

 

Urheberrecht und Steuerrecht

 

Mit der Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie in nationales Recht, darin besteht weitgehende Übereinstimmung bei den Parteien, wurde ein wichtiger Schritt im Urheberrecht geleistet. Die SPD will mit einem Verbandsklagerecht nachsteuern. Auch Die Linke will sich für ein Verbandsklagerecht einsetzen und Uploadfilter gesetzlich einschränken. Bündnis 90/Die Grünen sehen weiteren Anpassungsbedarf im Urheberrecht, speziell hinsichtlich der angemessenen Vergütung der Urheber und der elektronischen Ausleihe von E-Books zu angemessenen Bedingungen. Die AfD vermisst einen Ausgleich der Interessen der Urheber und der Verbraucher.

 

Das Steuerrecht spielte bei den Antworten nur eine untergeordnete Rolle. Einzig die FDP plant eine Umsatzsteuerreform.

 

Kulturelle Bildung

 

Mit Blick auf das kulturelle Bildungsprogramm des Bundes „Kultur macht stark“ verweisen CDU/CSU, SPD und Die Linke auf die Verlängerung des Programms. Der Kultur im ländlichen Raum wird von den Parteien große Bedeutung beigemessen. Bündnis 90/Die Grünen wollen hierfür eine Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Daseinsvorsorge“ schaffen. Die Linke spricht sich für ein Bundesprogramm „Digital-Allianz Bildung“ für die schulische und außerschulische kulturelle Bildung aus. Die FDP will einen Digitalpakt 2.0 schaffen und zehn Prozent des Budgets für kulturelle Bildung in Kultureinrichtungen reservieren. Die AfD spricht sich gegen „Kultur macht stark“ aus, da damit die Kulturhoheit der Länder ausgehöhlt wurde. Die digitale Bildung soll verbessert werden, insbesondere durch die Verbesserung der technischen Infrastruktur.

 

Kulturelle Vielfalt und Erinnerungskultur

 

Bis auf die AfD sehen alle Parteien kulturelle Vielfalt als eine Chance und einen Faktor für die Integration. Daher soll allen Bürgern der Zugang zu Kultur ermöglicht werden. Die Erinnerungskultur wird mit Ausnahme der AfD als ein wesentliches kulturpolitisches Handlungsfeld gesehen – auch um Antisemitismus und Fremdenhass entschieden entgegenzutreten. SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sprechen sich dafür aus, die Erinnerungskultur den Gegebenheiten einer Einwanderungsgesellschaft anzupassen. Die AfD will in der Erinnerungskultur positive Aspekte der deutschen Geschichte nach vorne stellen und der  – aus ihrer Sicht erfolgten falschen – Fokussierung der Erinnerungskultur auf die NS-Diktatur entgegenwirken.

 

Resümee

 

Die Antworten der Parteien auf die Fragen des Deutschen Kulturrates zur Bundestagswahl 2021 zeigen, dass es kulturpolitisch nicht gleichgültig ist, bei welcher Partei die Wählerinnen und Wähler das Kreuz setzen. Trotz einiger Überschneidungen und ähnlicher Vorhaben gibt es auch eine ganze Reihe von Unterschieden.

 

Machen Sie sich also selbst ein Bild von den Plänen, Vorhaben und Anliegen der Parteien. Und vor allem auch bei dieser Bundestagswahl gilt wieder: Gehen Sie wählen!

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 9/2021.


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