Holger Volland - 5. September 2018 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Buchmarkt

Kreative Maschinen


Die Plattform THE ARTS+ auf der Frankfurter Buchmesse

Fast drei Jahre ist es her. Es war die Nacht vor der Eröffnung von „THE ARTS+“, dem digitalen Kunstfestival der Frankfurter Buchmesse. Handwerker hämmerten zu Hip Hop und Balkan-Pop an Bühnen herum. Hier wurde ein Roboterarm kalibriert, dort Virtual Reality-Brillen an Kabeln gesichert. Weiter vorne baute man das Rednerpult für David Hockney auf. Da öffneten sich direkt vor mir die Türen des riesigen Lastenaufzuges und ein Kurier übergab mir ein großes Bündel in Luftpolsterfolie. Vorsichtig löste ich die Folie ab. In den Händen hielt ich – vom hellen Arbeitslicht der Messehalle perfekt ausgeleuchtet – ein Gemälde von Rembrandt. Darauf abgebildet ein Mann mit Hut und Bart, der mich ein wenig verwundert ansah. Sein Mund war leicht geöffnet, als ob er gleich ein paar Worte in altem niederländischen Dialekt an mich richten würde. Seine Kleidung schien die eines Mannes aus einflussreicher Familie zu sein: Der weiße, gefältelte Stoffkragen lag luxuriös um seinen Hals, auf seinem Kopf saß ein Hut mit breiter Krempe. Das Bild schien zu leben, es hatte jene hypnotisierende Wirkung, die viele Portraits auf uns haben. Allein, dies war kein Rembrandt und der junge Mann auf dem Bild hatte nie existiert. Ausgedacht hatte sich das alles eine Künstliche Intelligenz (KI).

 

Das Bild ist Teil des Projektes „The Next Rembrandt“, das auf der Buchmesse in den nächsten Tagen heiß und lautstark diskutiert werden sollte. Denn dieses Werk, das alle Merkmale eines Rembrandt-Gemäldes aufweist, war eine nagelneue Arbeit und mehr als 340 Jahre nach Rembrandts Tod entstanden. Die Diskussion startete mit einem Fake-Rembrandt und THE ARTS+ setzt sie seitdem konsequent mit Manifeste schreibenden Robotern, Van-Goghisierten Videos, algorithmischen Bach-Chorälen oder abstrakter KI-Kunst fort. Denn gerade der Einsatz von KI im Rahmen kreativer Projekte ruft weithin Diskussionen hervor. Schließlich gilt die Kunst als exklusive Domäne des menschlichen Geistes und Zeichen seiner Eigenständigkeit. Kreativität erst macht uns menschlich. Maschinen, die Musik komponieren, Bilder malen oder Romane schreiben, verursachen deshalb polarisierende Debatten. Eine erste, grobe Beurteilung der Auswirkungen von KI auf Kultur ermöglicht die Betrachtung einzelner „Wertschöpfungsfelder“ wie Kreation, Kuratierung, wissenschaftlicher Arbeit oder Rezeption.

 

Viele Künstler, wie der Maler Roman Lipski oder der Tänzer Kaiji Moriyama, nutzen Technologie eher experimentell, um das Arsenal ihrer künstlerischen Ausdrucksweisen zu erweitern. Gleichzeitig lernen Algorithmen, jede Art von kreativen Inhalten immer perfekter nachzuahmen: Viele Beispiele für künstliche Musik, Sprache, Bilder oder Filme versetzen uns zu Recht in Erstaunen. Es sprechen die meisten Menschen den KI-Kreationen zwar „echtes“ Schöpfertum ab, da sie in den Maschinen reine Nachahmungstäter sehen. Doch stellt sich die Frage, ob die perfekten und günstigen Nachahmungen nicht trotzdem schnell kommerzielle Anwendung finden werden, da sie für viele Einsätze, wie Hintergrundmusik bei Social-Media-Filmen oder die Formulierung von Nachrichten und Katalogbeschreibungen, absolut ausreichend sind. Hier entsteht so ein komplett neuer Markt für kreative Lizenzprodukte.

 

Auch die Kuratierung kultureller Inhalte wird zunehmend durch KI unterstützt – vielleicht noch nicht bei der Zusammenstellung des Spielplans eines Opernhauses oder der Auswahl von Arbeiten für eine Ausstellung. Doch steht beispielsweise mit dem „Curators Table“ von Google Arts & Culture jetzt schon ein mächtiges Werkzeug bereit, das den Vergleich von Millionen Kunstwerken quer durch die Epochen, Stilrichtungen und Ausstellungsorte erlaubt. Einen Vorgeschmack auf die Zukunft ermöglicht der Blick in die Popkultur. Erst die KI-kuratierten Vorschläge von Netflix oder Spotify auf Basis des Wissens über persönliche Geschmäcker machen den riesigen Katalog von Inhalten für den einzelnen Kunden überhaupt durchdringbar. Je digitaler die Quellen kultureller Inspiration – Instagram! – und je größer dessen Auswahl, desto wahrscheinlicher werden Algorithmen Kunst-Konsumenten auf ein Angebot aufmerksam machen, das deren Geschmack entspricht.

 

Aus der wissenschaftlichen Arbeit vieler Kulturinstitutionen ist KI nicht mehr wegzudenken und hilft bei der Bestimmung von Provenienz, Bildinhalt oder Echtheit. Allein dieses Teilgebiet beschäftigt derzeit etliche Konferenzen und Forschungsvorhaben. Klar ist, dass Technologie die Kultur- und Kreativwirtschaft massiv beeinflussen wird. Was wir heute sehen, ist nur ein kleiner Ausschnitt der technischen Möglichkeiten. Kulturexperten müssen sich jetzt mit diesen Themen auseinandersetzen, damit Kultur die Rolle der Technologie gestaltet und nicht anders herum! Bei THE ARTS+ stehen deshalb in diesem Oktober vor allem die Rahmenbedingungen für digitale Entwicklungen in Kulturinstitutionen im Vordergrund. Diese müssen gemeinsam von Politik, Kulturschaffenden und Technologiefirmen definiert werden.

 

THE ARTS+ findet vom 10. bis 14. Oktober 2018 in Halle 4.1 im Rahmen der Frankfurter Buchmesse statt.

 

Programm, Tickets und weitere Informationen finden Sie unter theartsplus.com.

 

Der Beitrag ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2018.


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