Katja Böhne - 4. September 2018 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Buchmarkt

Gutenberg gefällt das


Die Frankfurter Buchmesse vom Buchdruck bis zur Augmented Reality

Aus dem Urknall des modernen Publizierens ist die Frankfurter Buchmesse entstanden: Johannes Gutenberg erfand im 15. Jahrhundert in Mainz die Druckerpresse und ermöglichte so die massenhafte Buchproduktion. Im heutigen Start-up-Jargon würde man von einer „Disruption“ sprechen. Weitere Buchdrucker wie der Mainzer Johannes Fust nutzten daraufhin die Frankfurter Messe als Umschlagsort des den Handschriftenhandel ablösenden Verlagsbuchhandels. So entstand die erste eigene Buchmesse in Frankfurt auf Basis einer innovativen Idee. Damals erfasste die Strahlkraft dieser Innovation neben den Händlern auch die akademischen Kreise: Schon in den ersten Jahren der Frankfurter Buchmesse entsandten Universitäten ihre besten Professoren und Lehrkräfte, um auf dem neuesten Stand der Wissenschaft zu bleiben und sich über konkurrierende Ideen vor Ort mit ihren aus dem Ausland anreisenden Kollegen auszutauschen.

 

Über 600 Jahre später ist die Frankfurter Buchmesse noch immer genau das – ein Marktplatz für neue Ideen und eine Trendschau für alle Aspekte des Publizierens. Hier werden tradierte Geschäftsmodelle infrage gestellt und neue Antworten gesucht. Diese gehen weit über das reine Publizieren von Inhalten hinaus. Denn so wie die Druckerpresse das Vehikel der Aufklärung war, so sind die heutigen Produzenten von Inhalten und Verfasser von Geschichten auch die Kritiker, Analysten, Träumer und Fragensteller unserer (Welt-) Gesellschaft. Wie schon vor 600 Jahren steuern sie alle einmal im Jahr die internationalste Stadt Deutschlands an, um ihre Perspektiven und Positionen vorzustellen und um – teilweise sehr energisch – über die „Wahrheit“ ihrer Ideen zu streiten.

 

Die Frankfurter Buchmesse heute funktioniert wie eine Stadt in der Stadt. Über 7.145 Aussteller aus 104 Ländern, davon 4.717 internationale Aussteller, belegen insgesamt 14 Hallenebenen. Wurden die Messestände früher auf zwei mal fünf Meter Wandtafeln mit Stift, Papier, Tipp-Ex, Kleber und roten Schnüren „nachgebaut“, so ist heute modernste Hallenplanungssoftware im Einsatz. Veranstaltungsbühnen, Arbeitszentren, etwa das Buchhändler-Zentrum oder das International Library Centre (ILC), und Cafés lockern den Messerundgang auf und bieten Platz für fachlichen Austausch und Netzwerken. Die Einteilung nach Sachgebieten oder Ländern soll Fachbesuchern und dem Publikum die Orientierung erleichtern. Stichwort Orientierung: Internationale Verleger, die nur auf Englisch kommunizieren, Comicfans im Rollstuhl oder Literaturbegeisterte mit Sehbehinderungen – ihnen allen den bestmöglichen Zugang zu Informationen und ein möglichst barrierearmes Messeerlebnis zu bieten, ist uns ein großes Anliegen. Ein gemeinsames Forschungsprojekt der Frankfurter Buchmesse und der Technischen Universität Darmstadt untersucht deshalb gezielt Möglichkeiten zum Barriereabbau (Abbau von baulichen und informationsbasierten Barrieren). Beispielhaft baut die TU Darmstadt einen barrierefreien Messestand in Halle 3.0 K 83 und es wird ein barrierefreies Café eingerichtet. Eine verbesserte Webseite sowie eine angepasste Wegführung auf dem Messegelände gehören zu den bereits umgesetzten Maßnahmen.

 

Wurden in Frankfurt über lange Zeit hinweg literarische und wissenschaftliche Neuerscheinungen präsentiert und die Übersetzungsrechte dafür verkauft, so kristallisierte sich im Laufe der letzten Jahrzehnte immer stärker die gesellschaftliche Relevanz und kulturpolitische Ausrichtung der Frankfurter Buchmesse heraus – und damit auch eine politische Position: Die Frankfurter Buchmesse setzt sich kompromisslos für Meinungs- und Publikationsfreiheit ein, weil sie untrennbar mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Publikationsbranche zusammenhängen. Nur dort, wo Meinungen ungehindert geäußert werden, kann die Vielfalt gedeihen, die Grundlage für das Wohlergehen der Branche ist. Dabei soll kein abstrakter Konsens erreicht werden, die Frankfurter Buchmesse bezieht selbst Stellung. In eigenen, kuratierten Formaten formulieren wir unsere Haltung – und dies in Form des Dialogs, bei dem das Gegenüber mit Respekt behandelt wird, auch wenn die dargestellten Positionen nicht unsere Haltung wiedergeben.

 

Neben diesem gesellschaftspolitischen Aspekt zieht sich die Frage nach technologischen Innovationen in der Publikationsbranche und ihren Auswirkungen wie ein roter Faden durch die Geschichte der Frankfurter Buchmesse. Nachdem das gedruckte Buch vor rund 600 Jahren als „disruptive Technologie“ seinen Siegeszug in die Welt antrat und Martin Luther zur erfolgreichen Verbreitung seiner reformatorischen Ideen verhalf, hat die Digitalisierung ein neues Zeitalter des Publizierens eingeläutet.

 

Bereits in den 1980er Jahren wurde dieses Thema in Frankfurt verhandelt und seitdem begleiten wir den Wandel der Branche mit zielgruppenspezifischen Konferenzen und Fachveranstaltungen, technologische Innovationen werden auf der Messe sichtbar. Digitalisierte Inhalte und Geschichten sind unabhängig von Trägermedien und lassen sich in neue Formate weiterentwickeln – und verkaufen. Eng sind daher die Verbindungen der Frankfurter Buchmesse zur Film- und Games-Branche sowie zur gesamten Kreativwirtschaft. Denn ein Drittel aller Kinofilme basiert auf einer Literaturvorlage, die entsprechenden Rechte werden in Frankfurt gehandelt.

 

In Veranstaltungen wie „A Book is A Film is A Game“ zeigt sich, wie aus dem Handel mit Übersetzungsrechten inzwischen ein Adaptionsgeschäft für Filme und Spiele geworden ist. Die neueste digitale Expansion der Frankfurter Buchmesse stellt THE ARTS+ dar, ein Handelsplatz und Festival der Kultur- und Kreativwirtschaft. THE ARTS+ bildet die digitale Transformation kultureller Güter ab: von Ausstellungen, die durch Augmented Reality erweitert werden, bis zu neuen Technologien, die unser kulturelles Erbe digital bewahren können.

 

Währenddessen entwickelt sich die Digitalisierung von kulturellen Inhalten vor dem Hintergrund der Globalisierung der Kultur. Und deren Treiber sitzen in diesem Jahrhundert jenseits des Atlantiks und weit weg von Mainz. So entstehen Fragen, die nur auf internationaler Ebene gelöst werden können. Wollen wir kulturelle Vielfalt erhalten oder den Markt mächtigen hegemonialen Konzernen überlassen? Gibt es eine globale Definition für das Recht am geistigen Eigentum? Wird Europa sich auf einen kulturpolitischen Konsens festlegen können? Diese Themen werden in Frankfurt verhandelt – sowohl von Staats- und Regierungschefs, wie 2017 von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident Emmanuel Macron – als auch von Kulturpolitikern, Verlegern, Branchenexperten und Künstlern.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2018.


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