Florian Schütz und Anne-Sophie Gutsche - 29. Oktober 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

100 Jahre Radio

Seit 100 Jahren on Air


Drei Fragen an die Kuratoren der Ausstellung „ON AIR. 100 Jahre Radio“

Wie sieht eigentlich die Arbeit im und am Radio aus? Was gehört zum Handwerk des Radiomachens? Wie strukturiert Radio Raum und Zeit? Die Ausstellung „ON AIR. 100 Jahre Radio“ beleuchtet Erfolge, Brüche und Zukünfte des ersten elektronischen Massenmediums der Welt. Der Kurator und die Co-Kuratorin geben einen Einblick – ebenso die Bilder auf den Seiten 17 bis 31 dieser Ausgabe.

 

Zum Jubiläumsjahr des Radios kuratieren Sie die Ausstellung „ON AIR. 100 Jahre Radio“ zur Geschichte des Rundfunks im Museum für Kommunikation Berlin. Eine Auswahl der Exponate ist auch im Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe zu sehen. Welche Bedeutung hat das Radio – damals und heute?

Radio hat sowohl in seiner Geschichte als auch seiner Gegenwart unterschiedlichste Rollen ausgefüllt. Historisch lässt sich vor allem die Frage nach der demokratischen Struktur des ersten elektronischen Massenmediums der Welt stellen. Die staatliche bzw. institutionelle Kontrolle des Rundfunks in der Weimarer Republik vermochte diese Hoffnung nicht in Gänze einzulösen. Gar ins Gegenteil verkehrte dies die zentralistische Radiopropaganda der Nationalsozialsten – ein Verbrechen, was sich nicht wiederholen sollte und durch die föderale Struktur des Rundfunks, die nach 1945 in Westdeutschland bzw. mit der Wiedervereinigung gesamtdeutsch etabliert wurde, verhindert werden sollte. Diesen Anspruch der unabhängigen, freien, zuverlässigen und unmittelbaren Information der Hörerinnen und Hörer pflegt das Radio auch heute noch – live ist Trumpf. Unterhaltung spielt sicher ebenso eine Rolle. Denn trotz der Herausforderungen gegenüber den allgegenwärtigen Medienangeboten läuft immer noch in über 90 Prozent der deutschen Haushalte täglich Radio.

 

Was begegnet den Besucherinnen und Besuchern beim Rundgang durch 100 Jahre Radiogeschichte?

Unsere Besucherinnen und Besucher erfahren, wie sich das Medium von seinen Anfängen bis heute entwickelt hat: technisch, als Kulturpraxis und auch inhaltlich. Dabei bieten Chronologien einen roten Faden durch 100 Jahre Radio an, aber vor allem die Frage nach Kontexten und Nutzungsrealitäten hat uns interessiert. Neben den politisch geprägten Epochen von Weimarer Republik, Nationalsozialismus und „Kaltem Krieg im Äther“ wollen wir vor allem thematische Ansätze präsentieren: Wie sieht eigentlich die Arbeit im und am Radio aus? Was gehört zum Handwerk des Radiomachens? Wie strukturiert Radio Raum und Zeit? Wann in seiner Geschichte hat der Rundfunk Menschen über große Distanzen hinweg verbunden? Dabei blicken wir innerhalb der Ausstellungseinheiten über den zeitlichen Tellerrand und zeigen Kontinuitäten auf: ob es das Kofferradio – ein Radio in einem Aktenkoffer – von 1925 neben dem kleinsten Taschenempfänger der Welt von 1972 ist oder ein selbst gebauter Detektorempfänger von 1923 neben einem Radiobausatz-Adventskalender von 2019.

 

37 Radio-Exponate werden interaktiv inszeniert und von prominenten Radio-und Podcast-Stimmen vorgestellt. Welche Besonderheiten gibt es dabei zu sehen und zu erleben?

Die Vitrine „Großer Empfang“ ist genau das: eine goldene Show-Treppe, auf der sich ganz besondere Objekte – Unikate, Kuriosa, Designklassiker – aus unserer Sammlung präsentieren. Diese werden durch interaktive Auswahl an einem großen Screen nicht nur durch Beleuchtung und Kontextinformationen in Szene gesetzt, sondern auch auditiv. Für jedes Objekt haben wir eine „Radio Personality“ gefunden, welche die von uns geschriebenen, nicht immer ganz ernsten Texte eingelesen hat. Die Objekte sprechen zu den Besucherinnen und Besuchern. Die Arbeit an dieser Vitrine hat uns äußerst viel Freude bereitet, denn die angefragten Stimmen sind ein Querschnitt durch Audiogenerationen und Radiosender – und auch Podcasts. Dabei haben wir darauf verzichtet, die Namen der Sprecherinnen und Sprecher direkt zu verraten, erst das Zuendehören der Beiträge bringt die Auflösung und den Aha-Moment. Dabei sticht ein Exponat wohl allen ins Auge und wird vermutlich am häufigsten ausgewählt: eine übergroße Maggi-Flasche, deren Bezug zum Radio sich auf den ersten Blick entzieht. Welcher das ist, kann man sich von Felix Lobrecht und Tommi Schmitt vom Podcast „Gemischtes Hack“ erzählen lassen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2021.


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