Olaf Zimmermann - 29. Oktober 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

100 Jahre Radio

Eine Liebeserklärung


Wie bastelt man ein Radio?

Vor hundert Jahren, das Radio erlebte seinen ersten großen Boom, wurden viele Sendemasten aufgestellt. In Hamburg hatte die örtliche Rundfunkgesellschaft einen Mast direkt neben einer Kleingartenanlage aufgebaut. Die findigen Laubenpieper spannten Drähte in ihren Gärten auf, verbanden diese Drähte mit der Erde und schalteten Glühbirnen dazwischen. Die aus dieser einfachen Antenne gewonnene Hochfrequenzspannung reichte aus, die Birnen zum Leuchten zu bringen.

 

Das illegale Treiben der Hobbygärtner wurde schnell unterbunden, denn das „Stehlen“ von Strom aus der Luft, ohne zu bezahlen, ist verboten, zeigt aber, wie einfach es möglich war und auch heute noch ist, Hochfrequenzspannung, also Radiowellen, aus der Luft herauszufiltern.

 

Ich habe in meinem Leben schon Dutzende von kleinen Empfangsanlagen für diese Hochfrequenzen gebaut und mehr oder weniger erfolgreich damit Radioprogramme gehört. Am einfachsten war es, als es noch starke Mittelwellen-Ortssender gab, aber auch nach ihrem Abschalten in Deutschland kann man noch Kurzwelle (KW)- und Ultrakurzwelle (UKW)-Sender empfangen. Auch meine kleinen alten Mittelwellensender empfangen besonders nachts noch leise Programme aus anderen Ländern, die noch Mittelwellensender betreiben.

 

Der einfachste Empfänger, Detektor genannt, besteht aus nur vier Teilen: Einem sehr langen Draht, als Antenne. Einem kleinen Stück Pyrit-Erz, als Diode zur Gleichrichtung. Einem Kopfhörer und einem kurzen Drahtstück, um die Verbindung zur Erde herzustellen. Antenne, Pyrit und Erde werden verbunden. Der Kopfhörer wird parallel zur Antenne und Erde angeschlossen und fertig ist ein Radio. Wer kein Stück Pyrit-Erz greifbar hat, kann auch eine Schottkydiode oder eine Germaniumdiode verwenden. Die Energie, um das Radio zu betreiben, kommt aus keiner Batterie, sondern aus den hochfrequenten Wellen selbst.

 

Dieses einfache Radio ist nicht selektiv, alle starken Sender in seiner Nähe werden gleichzeitig in unterschiedlicher Lautstärke empfangen.

Mit etwas mehr Aufwand kann man auch bessere, das heißt selektivere Radios bauen. Hierfür braucht man zusätzlich eine Spule und einen Drehkondensator. Eine Spule ist eine einfache Wicklung von isoliertem Draht um einen Kern, sie funktioniert aber auch ohne Kern, als sogenannte Luftspule. Ein Kondensator besteht aus zwei voneinander isolierten Platten, die eine elektrische Ladung speichern können. Bei einem Drehkondensator ist eine der Platten beweglich, man kann durch die Bewegung das elektrische Feld beeinflussen.

 

Mit einem solchen einfach aufgebauten Radioempfänger kann man auch heute, in Zeiten der digitalen Rundfunkprogramme und des Internets, noch klassisches Radio empfangen, ohne externe Stromquelle, ohne dass man einen Provider braucht, der einem einen Netzzugang gewährt. Auch ist ein solches Radio in Katastrophenfällen immer einsetzbar, unabhängig vom Stromnetz und von Netzanbietern.

 

In den Frühzeiten des Radios war das Selbstbauen der Empfangsgeräte oft keine Spielerei, sondern für viele Menschen die einzige Möglichkeit, Radio zu hören. Die käuflichen Empfangsgeräte waren einfach zu teuer. Es entwickelte sich die Bewegung der „Radioamateure“. Die Radiotechnik faszinierte weite Teile der Bevölkerung. Mit einfachen Mitteln konnten komplizierte physikalische Grundlagen selbst erlebt und verstanden werden. Doch schon damals achtete der Staat streng darauf, dass nicht von Unbefugten Sende- oder Empfangsanlagen betrieben wurden. Denn wer ein Radio selbst bauen kann, der kann mit nur wenig mehr Know-how auch einen Sender selbst bauen.

 

Der nächste Schritt, ein noch besseres Radio zu bauen, ist der Audion. In einem Audion wird zur Verstärkung der Radiosignale und zur Trennung der einzelnen Sender untereinander eine Elektronenröhre in die Schaltung eingebaut. Jetzt braucht man auch eine zusätzliche Energiequelle, entweder eine Batterie oder einen Stromanschluss.

 

Die Elektronenröhren gehören für mich zu den wichtigsten Erfindungen der Menschheit. In einem kleinen Glaskolben, aus dem die Luft entfernt wurde, wird die Kathode zum Glühen gebracht, sie stößt Elektronen aus, die zur Anode am anderen Ende des Kolbens fliegen. Durch unterschiedliche von außen steuerbare Gitter in der Röhre kann dieser Elektronenfluss zur Gleichrichtung, Verstärkung oder Modulation elektrischer Signale verwendet werden. Ohne diese Erfindung wäre die moderne Elektronik nicht denkbar. Heute sind Elektronenröhren nur noch sehr selten in Gebrauch, sie wurden von den Transistoren abgelöst. Aber, und das ist in einer Zeit der Debatte um Nachhaltigkeit auch wichtig, viele der alten Röhren sind immer noch betriebsfähig. Ich selbst habe schon Schaltungen mit Röhren aufgebaut, die fast 100 Jahre alt waren und immer noch ihr Vakuum im Inneren gehalten haben.

 

Und Elektronenröhren sind einfach wunderschön! Wenn die Röhre arbeitet, klimmt die Kathode sanft. Der Kolben wird warm und durch das Glas schaut man in das kleine Wunderwerk der Technik. Ich liebe diese alten Dinger einfach.

 

In der naturwissenschaftlichen Bildung ganzer Generationen war das „Radio basteln“ mit und ohne Elektronenröhre oder Transistor der Startpunkt. Wilhelm Fröhlich erfand für den Kosmos-Verlag in Stuttgart in den 1920er Jahren den berühmten Experimentierkasten „Radiomann“. Bis heute vertreibt der Kosmos-Verlag Elektronikkästen zu Bildungszwecken. Hannes Günther machte ungefähr zur selben Zeit den „Radiosport“ in Deutschland bekannt. In der DDR sind dann später besonders die Bücher zum Radiobasteln von Hagen Jakubaschk und Lothar König sehr verbreitet gewesen, in Westdeutschland war es besonders Heinz Richter, der Anleitungsbücher zum Radiobau veröffentlichte und Experimentierkästen entwarf. Heute ist es besonders Burkhard Kainka, der das Radiobasteln in seinen Büchern und im Netz unter b-kainka.de weiterleben lässt. Der Franzis-Verlag bietet aktuell einige kleine Bausätze an, mit denen man Radios, ohne löten zu müssen, aufbauen kann.

Wer noch nie in seinem Leben ein Radio gebaut hat, hat etwas verpasst – fangen Sie doch einfach an zu experimentieren.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2021.


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