Marco Maier - 29. Oktober 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

100 Jahre Radio

Das private Radio


Die Angebotsvielfalt schützen

Radio war vor 100 Jahren ein Quantensprung – das erste Medium, das Informationen und kulturelle Ereignisse live in die Haushalte brachte. Radio sorgte in den „Goldenen Zwanziger“ des vergangenen Jahrhunderts für ein völlig neues Lebensgefühl, für Zuversicht, für Weltoffenheit. Radio schaffte zunehmend einfachen Zugang zu Kultur, und vor allem zur Musik, für die Breite der Bevölkerung. Die Nachrichten des Tages mit den Stimmen und Klängen aus Politik, Kultur, Forschung und Zeitgeschehen erschlossen den Hörerinnen und Hörern eine direkte Verbindung zur Welt und schafften eine neue Form der Teilhabe auch am kulturellen Zeitgeschehen. Heute hören rund 94 Prozent der Erwachsenen in Deutschland ab 14 Jahren regelmäßig Radio.

 

Der Start des Privatradios: Kulturell prägend für ganze Generationen

Der erste große Umbruch für die Radiohörer der Bundesrepublik Deutschland vollzog sich in den 1980er Jahren mit der Einführung des Privatradios. Das Radio wurde bunter, vielfältiger, unkonventioneller und unterhaltsamer. Gerade für die junge Generation war das Radio auch kulturell prägend – das breite Musikangebot der neuen privaten Radiowellen, von Rock & Pop, über Alternative, Schlager, bis hin zu Weltmusik und Klassik, hat bis heute den Musikgeschmack ganzer Generationen geprägt. Mit der zunehmenden Verbreitung des Privatradios – auch ins Lokale – hielt es schnell Einzug in den Alltag und wurde immer mehr identitätsstiftend für die vergleichsweise jungen Regionen Deutschlands. Das private Radio unterhält kurzweilig, informiert über das Geschehen vor Ort und mit großen Events schaffen viele private Radioveranstalter kulturelle Highlights in den Regionen. Bis heute wachen Menschen mit ihrem privaten Sender auf, hören ihn auf dem Weg zur Arbeit, nebenbei zu Hause und am Arbeitsplatz und abends wieder auf dem Heimweg.

 

Die meistgeliebte Freizeitbeschäftigung der Deutschen

Auch wenn die Verbreitungswege vielfältiger geworden sind und attraktive Online-Audioangebote weitere Hörerinnen und Hörer gewinnen, hat sich an all dem bis heute nichts geändert. Das Radiohören ist die mit Abstand beliebteste Freizeitbeschäftigung der Deutschen und im durchschnittlichen Tagesverlauf von morgens bis in die frühen Abendstunden ihr meistgenutztes Medium mit Tagesreichweiten von über 75 Prozent. Die Radiovielfalt in Deutschland ist dabei weltweit einmalig: Allein über 400 private Radioangebote sind landesweit, regional und lokal sowie auch bundesweit empfangbar, hinzu kommen zahlreiche Webradio- und Podcast-Angebote.

 

Public Value und gesellschaftliche Verantwortung

So vielfältig die privaten Radioinhalte sind, so haben sie doch eines gemeinsam: In Summe besetzen sie mit umfassenden Public-Value-Inhalten viele der aktuellen gesellschaftlichen und sozialen Themen und bieten hier einen verlässlichen Gegenpol zu fragwürdigen Quellen und Desinformation im Netz. Private Radioangebote engagieren sich für eine nachhaltige und inklusive Gesellschaft und erreichen damit ein sehr breites Hörerspektrum von Jung bis Alt. Viele Privatsender kümmern sich in Kooperation mit öffentlichen Einrichtungen aktiv um die Vermittlung von Medienkompetenz, bieten Kompass in unserem gesellschaftlichen Wertesystem und schaffen mit vielen kraftvollen karitativen Initiativen ein Klima für Unterstützung und ein gemeinsames Miteinander.

 

Die Digitalisierung des Radios

Der zweite große Umbruch der Radionutzung erfolgt seit der voranschreitenden Digitalisierung der Radioverbreitung. Das Privatradio ist heute auf allen digitalen Wegen präsent, auf denen die Hörerinnen und Hörer es nutzen wollen – im Netz mit Streaming und Webradioangeboten, mit Apps oder auch auf den DAB+-Plattformen. Die Zahlen des Online-Audio-Monitors 2021 zeigen: Wir sind in der Zukunft der Audionutzung angekommen. Über 45 Millionen der ab 14-Jährigen in Deutschland nutzen regelmäßig Online-Audioangebote. Als gelegentliche Hörerinnen und Hörer haben Musikstreaming (60,1 %) und Webradio (53, 3%) bereits mehr als die Hälfte der Hörer für sich gewonnen. Podcasts (plus 21,3 %) und Hörbücher bzw. Hörspiele (plus 13,9 %) zeigen die größten Zuwächse in der Online-Audionutzung. Der technologische Fortschritt führt so noch einmal zu einer Stärkung der Teilhabe an kulturellen Angeboten.

Kulturelle Vielfalt im Radio ist schützenswert …

Radiovielfalt bedeutet auch kulturelle Vielfalt, und sie ist schützenswert.

 

 … auf europäischer Ebene

Die privaten Radioveranstalter in Deutschland stehen genauso wie die gesamte audiovisuelle Branche in einem ungleichen Wettbewerb – zum einen mit den globalen marktmächtigen digitalen Techgiganten. Wir Radioanbieter müssen uns hier gegenüber Musikdiensten der großen Plattformbetreiber behaupten. Es braucht daher auf europäischer und nationaler Ebene faire Bedingungen in diesem Wettbewerb und klare Regeln für die Audioangebote der großen internationalen Plattformen. In Brüssel gibt es aktuell zwei Regulierungsinitiativen, die sich mit diesen Themen beschäftigen: den Digital Services Act und den Digital Market Act der EU-Kommission. Sie sollen den Missbrauch von Marktmacht durch internationale digitale Gatekeeper verhindern.

 

Das reicht vom Zugang zu Daten, an die wir als Inhalteanbieter oft gar nicht kommen, weil sie durch die Plattform erhoben werden, über den Bereich der Nutzungsmessung bis hin zur Inter­operabilität der sogenannten Ad Tech – also der Möglichkeit, mehr Wettbewerb im Bereich der plattformdominierten Ausspielung von Onlinewerbung zu gewährleisten.

 

Es wird eine wichtige Aufgabe der neuen Bundesregierung sein, in den genannten Punkten wirksame Instrumente zu entwickeln, die in monopolgeprägten Märkten Wettbewerb wieder ermöglichen und stärken.

 

… durch einen fairen Wettbewerb in der dualen Medienordnung

Wenn die heutige Anbieter- und Angebotsvielfalt im Radio erhalten werden soll, braucht es limitierende Einschnitte bei den ARD-Radioangeboten. Regelungen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk wirken sich immer auf beide Seiten des Systems aus. Der VAUNET plädiert deshalb für eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die zuerst bei der Konkretisierung des Auftrags – schwerpunktmäßig Information, Kultur und Bildung –, dann bei der Finanzierung – ohne einen Automatismus von Beitragserhöhungen im Wege eines Indexmodells – ansetzen muss. Eine Programmzahlbegrenzung und ein Austauschverbot für Frequenzen der ARD-Radios sollten Teil der anstehenden Auftragsreform der Öffentlich-Rechtlichen sein. Das gilt umso mehr, als dass die privaten Radios im Bereich Information und Unterhaltung hochwertige Programmleistungen erbringen und die ARD ihre programmlich kommerziell ausgerichteten Angebote immer stärker erweitert und damit direkt mit den Privaten im Werbemarkt konkurriert. Öffentlich-rechtliche Kopien der privaten Programmangebote oder Spartenprodukte, in die Bildung, Kultur und Information zunehmend ausgelagert werden, schaffen jedoch keine Mehrwerte für die Hörerinnen und Hörer.

 

Darüber hinaus muss eine Reduzierung von Werbung und Sponsoring in den ARD-Radiosendern umgesetzt werden. Das Modell des NDR gibt hier bereits die Richtung vor. Kommerzielle Aktivitäten und das Onlineangebot der ARD, insbesondere auf Drittplattformen, müssen klar begrenzt sein und das Verbot von Werbung in den Telemedienangeboten der Öffentlich-Rechtlichen muss fortbestehen.

 

 … durch eine Sicherstellung der UKW-Verbreitung

Für die Wettbewerbsfähigkeit des Radios ist entscheidend, dass die Digitalisierung des Hörfunks marktgerecht und technologieneutral erfolgt. Dabei muss die UKW-Verbreitung sichergestellt sein. UKW bleibt als Übertragungsweg mit höchster Relevanz – rund 75 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren nutzt werktäglich UKW-Radioangebote – die wirtschaftliche Grundlage des Privatradios und der Garant für die Vielfalt von Radio und Audio in Deutschland.

 

 … durch die Auffindbarkeit von Radioangeboten auf Plattformen

Die Zunahme von Plattformen, Radioaggregatoren und Lautsprechersystemen mit Sprachassistenten ist für das Radio in erster Linie eine gute Nachricht. Es bedeutet die Chance neuer Verbreitungswege und einen insgesamt höheren Audiokonsum. Wir sehen das erfreulicherweise z. B. bei der Online-Radionutzung bekannter UKW-Marken und deren Webradioangebote. Kein Segment am Hörermarkt wächst dynamischer!

 

Aber auf der anderen Seite resultieren daraus auch erhebliche Risiken, denn über die Präsenz von Radio und Audiodiensten bestimmen einige wenige marktmächtige Unternehmen. Insbesondere bei sprachbasierten Plattformen ist die Gefahr der vertikalen Integration und möglichen Bevorzugung eigener Audio- und audiovisueller Dienste besonders hoch. Sprachassistenten entscheiden mittels Algorithmen über Zugang und Auffindbarkeit von Radioprogrammen. Dabei kuratieren sie nach eigenen redaktionellen Regeln und nicht transparenten Auswahlkriterien auch eigenständige Musikangebote und erfüllen damit die Merkmale einer Medienplattform. Aus diesem Grunde misst der VAUNET der Regulierung dieser Mechanismen eine hohe Dringlichkeit bei.

 

Fazit

Das private Radio steht unter anderem für gesellschaftlich relevante Angebote, für kulturelle Vielfalt, für regionale und lokale Information und oftmals für hohe Identifikationskraft für die Regionen.

 

Die Vielfalt des Radios ist in Gänze schützenswert – lassen Sie uns alle darauf hinwirken, dass hierfür die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit sich das gesellschaftliche und kulturelle Potenzial des Radios auch im zweiten Jahrhundert seiner Geschichte voll entfalten kann.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2021.


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