9. November 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Pressemitteilung

Mehr Gameskultur in der Corona-Krise wagen! Kulturrat legt Handbuch Gameskultur vor


Der Deutsche Games-Markt ist im ersten Halbjahr 2020 um 27 Prozent gewachsen

Berlin, den 09.11.2020. In der Corona-Krise hat das Spielen von Games, nicht nur bei Jugendlichen, deutlich an Bedeutung gewonnen. Der Deutsche Games-Markt ist im ersten Halbjahr 2020 um 27 Prozent gewachsen.

 

Christian Huberts, freiberuflicher Kulturwissenschaftler und Experte für digitale Spielkultur und Felix Zimmermann, Public Historian und Stipendiat der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne an der Universität zu Köln, haben sich deshalb einige Gedanken zur Kultur von Computerspielen gemacht. Sie schreiben:

 

Bewegt man sich durch die Gameskultur, nimmt wie selbstverständlich an der Vielfalt ihrer Ausdrucksformen und Diskurse teil, gerät schon mal aus dem Blick: Computerspiele und ihre Kultur sind noch lange nicht für alle Menschen selbstverständlich. Es ist also kaum verwunderlich, dass gerade bei ungeübtem Blick von außen meist noch eher die grundlegenden Fragen gestellt werden: Sind Computerspiele gefährlich? Und wenn nicht, können sie uns nutzen? Legitime Fragen, für die es bereits einige Antworten gibt.

 

Gewalt gehört nach wie vor zu den am kritischsten beäugten Inhalten von Computerspielen. Dabei ist die Auseinandersetzung mit dem Tod, der Verletzlichkeit von Körpern und dem Schrecken des Krieges schon immer Gegenstand der Kultur. Und die heftig geführten Medienwirkungsdebatten um sogenannte „Killerspiele“ – in der Tradition der „Lesesucht“ des 18. Jahrhunderts oder des „Great Comic Book Scare“ der 1950er – werden von der differenzierten und eher entlastenden Studienlage schlicht nicht untermauert.

 

Der materielle Nutzen von Computerspielen liegt hingegen auf der Hand. Mit ihnen werden viele Milliarden Euro umgesetzt, sie schaffen Arbeitsplätze und generieren Steuereinnahmen. Während die gamescom alljährlich Messehallen füllt, drängen sich E-Sport-Fans regelmäßig zu Tausenden in gigantische Stadien. Aber Games sind nicht nur als „Big Business“ nützlich. In Form von sogenannten Serious Games modernisieren sie die Bildung, machen Wissen auf innovative Weise erfahrbar und gewinnen gerade junge Menschen als Zielgruppe zurück.

 

Doch bei all diesen Erwägungen der Risiken und des Nutzens von Computerspielen fällt eine Tatsache zu häufig unter den Tisch: Games sind Kultur. Und Kultur verdient auch dort Aufmerksamkeit, kommt oft erst dort zur vollen Blüte, wo sie sich nicht basaler Kategorien wie „nützlich“ oder „gefährlich“ unterordnen muss. Es ist schlicht ein Ressentiment, dass Computerspiele, wo sie keinen offensichtlichen Gewinn bringen oder nicht zur Gefahr werden, ein trivialer Gegenstand ohne gesellschaftliche oder kulturelle Relevanz sind. Wer so denkt, kennt die Gameskultur nicht.

 

Aller Anfang ist schwer

Diese Unkenntnis muss nicht selbstverschuldet oder von Vorurteilen bestimmt sein. Ein Buch aufzuschlagen ist einfach. Computerspiele hingegen mögen zwar häufig wie ein Kinderspiel aussehen, stellen jedoch nicht selten hohe Anforderungen, insbesondere an unerfahrene Nutzerinnen und Nutzer. Komplexe Hardware muss bedient und passende Software im Dickicht des Angebots gefunden werden. Es gilt, unzählige Fachbegriffe und Jargon für Eingeweihte zu verstehen. Und ist ein Spiel endlich gestartet, geht die Herausforderung erst richtig los. Regelsysteme warten auf ihre Entschlüsselung, schnelle Reflexe, Fingerfertigkeit sowie logisches Denken sind im Dauereinsatz, von den epischen Erzählungen, weitläufigen Spielwelten und umfangreichen Figuren-Konstellationen einmal ganz abgesehen. Und dann ist da noch ein Füllhorn aus Subkulturen, Debatten, Vorurteilen und Grenzgängen zum Rest der Kulturfamilie, die das Medium stetig begleiten. Es ist fast wie bei der Reise in ein anderes Land oder dem Lernen einer neuen Sprache. Und passende Reiseführer sind noch rar gesät und selten griffbereit. Im Folgenden sollen daher zumindest ein paar Schlaglichter und Einstiegspunkte geboten werden, die einen ersten Einblick darin geben, was die Gameskultur tatsächlich zu bieten hat.

 

Computerspiel-Kulturgeschichte

Was heute als Gameskultur bezeichnet wird, ist – wie alle kulturellen Ausdrucksformen – über Jahrzehnte und Jahrhunderte gewachsen. Computerspiele lassen sich dabei in eine Tradition mit anderen Formen des Spielens setzen und sind doch in ihren digitalen Eigenarten beispielsweise vom Brettspiel zu unterscheiden. Die Kulturgeschichte des Spielens, die viele Tausend Jahre zurückreicht, zeigt jedoch, dass das Spielen zu Zwecken des Ausprobierens, Lernens, aber auch einfach nur Steigerung des eigenen Wohlbefindens zum Menschsein dazugehört – wir sind der „Homo Ludens“, wie der Kulturanthropologe Johan Huizinga festgehalten hat.

 

Und wie der Mensch sich seit jeher Spielzeuge hergestellt hat, um auf verschiedene Arten spielen zu können, entstand Mitte des 20. Jahrhunderts mit dem Computerspiel ein neues Spielzeug. Dessen Genese war bisher vor allem eine Geschichte des technologischen Fortschritts und experimentierfreudiger Männer, die Labortechnik und Großcomputer zweckentfremdeten und damit die ersten Games erschufen. Zunehmend zeigt sich allerdings, dass eine deutlich diversere Computerspielgeschichte geschrieben werden muss, die etwa berücksichtigt, dass Programmieren lange Zeit als eher weiblicher Beruf galt und erst im ausgehenden 20. Jahrhundert zur Männerdomäne wurde.

 

Über eine konkrete Geschichte der Computerspiele hinaus, stellen sich Forscherinnen und Forscher auch Fragen danach, was das Besondere an den digitalen Spielen sein mag, was ihre Faszination ausmacht und was sie von anderen, analogen Spielen unterscheidet. Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen ist eine eigene Forschungsrichtung entstanden, die Game Studies, die sich um die Wende zum 21. Jahrhundert institutionalisiert hat und Computerspiele in ihrer Bedeutung und Beschaffenheit als Kulturgegenstände erforscht.

 

Künstlerische Austauschprozesse

Als Kulturgegenstände mit eigener Ästhetik existieren Computerspiele gewiss nicht im luftleeren Raum, sondern werden von anderen kulturellen Ausdrucksformen beeinflusst, wie sie gleichsam auch auf diese zurückwirken. In diesem Sinne befinden sie sich ständig im Wandel, sind als ästhetisches Medium in ihrer Entwicklung unabgeschlossen, wie der Philosoph Daniel Martin Feige schreibt. So ist es unmöglich, eine verbindliche Definition des Computerspiels anzubieten, die diese Transgressionen und Austauschprozesse mit anderen Medien nicht berücksichtigt.

 

Beispielsweise bedienen sich zeitgenössische Theaterformen an den virtuellen Welten von Games und machen damit die Theaterbühne selbst zu etwas, das einem Spiellevel gleicht. Computerspiele wiederum haben vom Theater, gleichsam aber auch von Literatur, Film und Serie viel über eine der wichtigsten Kulturtechniken überhaupt gelernt: das Erzählen. So gibt es in Computerspielen nichtlineare Erzählformen, die mit Choose-your-own-Adventure-Romanen zu vergleichen sind oder auch audiovisuell höchst aufwendige Zwischensequenzen, die sich vor Kinofilmen nicht verstecken müssen.

 

Als ästhetisches Medium können Computerspiele gelungene Kunstwerke sein. Schon längst werden sie als Material von Künstlerinnen und Künstlern verarbeitet oder finden unverändert Einzug in Museen und Kunstausstellungen. Wichtige Impulse – sowohl für das künstlerische als auch das generelle Potenzial des Mediums – gehen von sogenannten Independent Games aus. So werden Spiele bezeichnet, die von kleinen Teams ohne finanzkräftige Vertriebe im Hintergrund produziert werden. Die Arbeit an ihnen ist geprägt von Leidenschaft, Herausforderungen und Entbehrungen, erlaubt und forciert aber im besonderen Maße künstlerische Experimente und spielerische Innovationen, allein um auf dem globalisierten Gamesmarkt sichtbar zu werden.

 

Erinnerungskultur

Zunehmend spielen Computerspiele ebenso eine Rolle für internationale, aber auch nationale Erinnerungskulturen. Games haben stets historische Rahmen für ihre Spielverläufe aufgegriffen, aktuell geht es jedoch auch vermehrt darum, auszuloten, welches spezifische Vermittlungspotenzial Computerspiele besitzen, um beispielsweise die Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus und den Holocaust lebendig zu halten. In diesem Kontext steigt gleichzeitig auch das Interesse der Geschichtswissenschaft an Games, da sie als kulturelle Artefakte Auskunft über die Zeit und die Gesellschaft geben, in der sie entstanden sind.

 

Wegen dieser Aussagekraft, die Computerspiele über die Weltbilder, Ideologien und politischen Überzeugungen ihrer Entstehungszeit und -kontexte in sich tragen, sind sie als Quellen für die Forschung von unschätzbarem Wert. Auch deswegen gilt es, die kulturellen Artefakte, die das Medium Computerspiel hervorgebracht hat, für die Nachwelt zu bewahren. Doch: Der technische Verfall früher Games und der zugehörigen Hardware hat längst eingesetzt. Engagierte Spielerinnen und Spieler arbeiten zwar schon lange daran, Spiele und Geräte vor dem Vergessen zu bewahren, doch zunehmend wandert diese Aufgabe nun in die Verantwortung spezialisierter Institutionen.

 

Games als Massenkultur und sozialer Raum

Nicht zuletzt sind Computerspiele ein vielfältiges Gemeinschaftsphänomen. Menschen können gemeinsam die virtuellen Welten von Games betreten und in ihnen soziale Gefüge bilden. Gleichzeitig bilden sich Gemeinschaften und Subkulturen um Computerspiele. Eine Ausdrucksform und Praxis dieser Communities sind Let’s Plays und Streaming, bei denen es um das Spielen vor Publikum und damit auch um das Zuschauen beim Spielen anderer geht. In der weltumspannenden Praxis des Cosplay wiederum, schlüpfen Fans in die Rolle von Figuren aus Computerspielen, Comics und Filmen – ein Anblick, der vielleicht von den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig bekannt ist.

 

Die von Computerspielen geschaffenen sozialen Räume erzeugen jedoch auch immer wieder Konflikte, sind oft nicht gleichermaßen zugänglich oder für bestimmte Menschengruppen toxisch. So spielen zwar viele verschiedene Menschen Computerspiele, aber noch wird diese Vielfalt nicht in allen ihren Inhalten sichtbar. Muss die Prinzessin immer wieder von Super Mario gerettet werden? So steht die Gameskultur vor der Herausforderung, die Barrieren, die den Zugang zu Computerspielen beschränken können, fortlaufend zu reflektieren und erfolgreiche Strategien zu entwickeln, die das Medium zu einem inklusiveren Ort machen.

 

Fazit: Zugang erleichtern und Kontakt suchen

Jede Kulturform ist nur so gut, wie die Menschen, die an ihr partizipieren. Langfristig können Computerspiele nur davon profitieren, wenn aus vielen Perspektiven auf sie geblickt wird. Es lohnt sich daher, mehr Gameskultur zu wagen, auch für die Gameskultur selbst, denn sie kann von einem unverbrauchten Blick von außen nur profitieren, selbst wenn der Einstieg nicht immer leicht ist. Doch wer sich davon nicht verschrecken lässt, findet mit dem seit August dieses Jahres vorliegenden Handbuch Gameskultur vom Deutschen Kulturrat und dem game – Verband der deutschen Games-Branche ein zugängliches Tutorial, das Kapitel für Kapitel in den Reichtum der Gameskultur einführt.

 


 

HANDBUCH GAMESKULTUR

  • Warum sind Games Kultur?
  • Können Computerspiele sogar Kunst sein?
  • Was haben Computerspiele mit Bildender Kunst, Theater, Musik, Literatur, Film zu tun?
  • Sind Games immer gewalthaltig?
  • Darf man Erinnerungskultur spielen?
  • Was haben Spiele mit Sport zu tun?
  • Und macht die Gamesbranche wirklich so viel Umsatz wie Hollywood?

 

  • Das Handbuch Gameskultur gibt Antworten und Orientierung in der vielfältigen Welt der Computerspiele.
  • Weitere Informationen (+ Bestellmöglichkeit) finden Sie hier!
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  • Dem Handbuch Gameskultur liegt das Plakat „Games als Kulturgut in Deutschland“ bei.
  • Das Buch ist selbstverständlich auch über jede Buchhandlung lieferbar.

 

HANDBUCH GAMESKULTUR
Hg v. Olaf Zimmermann und Felix Falk
ISBN 978-3-947308-22-4, 288 Seiten, 19,80 Euro

 

Pressevertreter und Journalisten können das „Handbuch Gameskultur“ als Rezensionsexemplar anfordern bei: Theresa Brüheim, Referentin für Kommunikation, Deutscher Kulturrat, t.brueheim@kulturrat.de.


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