21. Februar 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturpolitischer Wochenreport

KW 8: Hanau, Subsidiarität, Zwei Hörfunk-Programmtipps, Interview der Woche: Sergej Lochthofen und Theresa Brüheim, ...


... Vorankündigung: Politik & Kultur mit dem Schwerpunkt "Archiv"

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

die Erschütterung über den neuen rassistischen Angriff in Hanau ist groß, es ist ein Angriff in einer nicht enden wollenden Serie von rechtsextremen Attentaten in Deutschland. Die Kernfrage lautet, wie können wir den Rechtsextremismus in unserem Land zurückdrängen. Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Seuche nicht durch mehr Gesetze, auch nicht durch mehr Polizei auf den Straßen nachhaltig bekämpft werden kann. Nur die Zivilgesellschaft selbst, kann die Gesellschaft wieder zivilisieren. Doch dafür brauchen wir eine starke Zivilgesellschaft und eine starke Zivilgesellschaft kann nur in einer subsidiären Gesellschaft gedeihen..

 

Die vor kurzem im Deutschen Bundestag und im Bundesrat beschlossene Errichtung der Deutschen Stiftung für Bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt in Neustrelitz ist ein, wie ich finde, weiterer Bruch mit dem Subsidiaritätsprinzip in der deutschen Politik der Nachkriegszeit.

 

Papst Pius XI. hat bereits 1931 in der Sozialenzyklika „Quadragesimo anno“ die Subsidiarität definiert: „Wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnetere Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen … Jede Gesellschaftstätigkeit ist ihrem Wesen nach subsidiär, sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen“. Papst Pius XI verstand die Subsidiarität als eine Art Immunisierungsmöglichkeit der Gesellschaft gegen Faschismus, Kommunismus und Nationalismus.

 

Der föderale Staatsaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg ist ein Ausdruck dieses Prinzips und war erfolgreich. Jetzt verlässt die Politik zunehmend die Idee, dass der Staat nur dann eingreifen soll, wenn die Möglichkeiten des Einzelnen, einer kleineren Gruppe oder einer niedrigeren staatlichen Ebene allein nicht in der Lage sind, eine bestimmte Aufgabe zu lösen.

 

Hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen in der neuen Stiftung in Neustrelitz das Ehrenamt in Deutschland befördern. Der Staat will die Bürgerinnen und Bürger aktivieren, mehr fürs Gemeinwohl zu tun. Welche unglaubliche Anmaßung! Die Zivilgesellschaft ist nicht der Erfüllungsgehilfe dieser Staatsstiftung.

 

Der Staat sollte vielmehr das bürgerschaftliche Engagement finanziell fördern und der Staat sollte endlich seine überbordenden bürokratischen Anforderungen an gemeinnützige Vereine und Organisationen zurücknehmen. Das wäre sinnvoll!

 

Die staatlichen Allmachtfantasien, die bei der Stiftungsgründung sichtbar werden, durchziehen immer mehr die deutsche Politik. Bis in die kleinsten gesellschaftlichen Bereiche reichen die regelungswütigen Arme des Staates. Ein starker Staat ist nicht die Lösung unserer Probleme, sondern er befördert vielfach das Problem.

 

Nur eine starke Zivilgesellschaft wird den zunehmenden Rechtextremismus vor Ort zurückdrängen können. Das sind die Kultur- und Sportvereine, das sind die Kirchen, Moscheevereine und Synagogengemeinden, das sind die Umweltgruppen und die Sozialverbände und das sind die Gewerkschaften. Überall dort, wo das Bürgerschaftliche Engagement vor Ort abstirbt, wächst der Extremismus.

 

Deshalb mehr Subsidiarität wagen, sollte gerade jetzt das Motto werden.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 


 

Hörfunk-Programmtipp: Kulturraum Europa – Kitt, der uns zusammenhält?

 

HEUTE am 21.02.2020, von 18:05 -19:00 Uhr im Wortwechsel, Deutschlandfunk Kultur

 

Aufzeichnung einer öffentlichen Veranstaltung vom 18.02.2020, Italienische Botschaft Berlin

 

Eine Kooperation mit der Europäischen Akademie Berlin

 

Kultur wirkt identitätsstiftend. Sie war schon immer länderübergreifend in Europa. Geografisch. Thematisch. Im regen Austausch der Kulturschaffenden. Welche Rolle kann und soll Brüssel spielen? Haben wir die EU-Kulturpolitik, die wir brauchen?

 

Mit:

 

  • Marion Döring, Geschäftsführerin der Europäischen Filmakademie
  • Dionysia-Niovi Klavdianou, Sopranistin und Psychologin
  • Olaf Zimmermann, Geschäftsführer vom Deutschen Kulturrat
  • Gerry Woop, Staatssekretär für Europa, Senatsverwaltung für Kultur und Europa in Berlin

 

  • Moderation: Annette Riedel

 


 

Hörfunk-Programmtipp: Kulturerbe Fasching-Fastnacht-Karneval

 

Am Karnevalssonntag, dem 23. Februar 2020, von 18:04 – 19:00 Uhr im Forum,  WDR 3

 

Die Schwerpunktausgabe „Helau, Alaf“ von Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates ist der Anlass für dieses Gespräch.

 

Es diskutieren:

 

  • Michael Euler-Schmidt, Kunsthistoriker, Germanist und Theaterwissenschaftler,
  • Christoph Kuckelkorn, Präsident des Festkomitees Kölner Karneval,
  • Didi Jünemann, Gründungs- und Ensemblemitglied der Stunksitzung und
  • Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber von Politik & Kultur
  • Moderator Michael Köhler

 

Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland (57,9 Prozent) sehen Karneval laut einer Umfrage als Kulturgut. Allerdings sehen 34,3 Prozent der Befragten die tollen Tage dagegen nicht als Kulturgut, wie aus einer vom Deutschen Kulturrat in Auftrag gegebenen Befragung des Meinungsforschungsinstituts Civey hervorgeht. Lesen Sie hier weiter…

 


 

Interview der Woche: Entscheidend war die Nähe zum Leser – Die Entwicklung der SED-Bezirkszeitung „Das Volk“ zur „Thüringer Allgemeine“

 

Sergej Lochthofen, ehemaliger Chefredakteur der »Thüringer Allgemeine«, hat im November vor zehn Jahren deren Redaktion verlassen. Damals wie heute nennt man seinen Namen in einem Atemzug mit der ersten Zeitung, die sich von der SED lossagte. Theresa Brüheim ist mit der „Thüringer Allgemeine“ am Frühstückstisch aufgewachsen. Beide sprechen in Erfurt über den Transformationsprozess von „Das Volk“ zur „Thüringer Allgemeine“.

 

Sergej Lochthofen ist Journalist und Buchautor von „Schwarzes Eis“ und „Grau“. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.

 

Lesen Sie das Interview hier!

 


 

Vorankündigung: Politik & Kultur mit dem Schwerpunkt „Im Archiv – Das Gedächtnis der Gesellschaft“

 

Nächste Woche erscheint die neue Politik & Kultur.

 

Autorinnen und Autoren sind u.a. Marijam Agischewa, Eva Högl, Michael Hollmann, Roland Jahn, Ralf Schenk und viele andere.

 

Den Leitartikel „Ach Thüringen“ schreibt Johann Michael Möller

Politik & Kultur
ist die Zeitung des Deutschen Kulturrates. Sie wird herausgegeben von Olaf Zimmermann und Theo Geißler. Sie erscheint zehnmal jährlich und ist erhältlich in Bahnhofsbuchhandlungen, an großen Kiosken, auf Flughäfen und im Abonnement: Einzelpreis: 4,00 Euro, im Abonnement: 30,00 Euro (inkl. Porto), im Abonnement für Studierende: 25 Euro (inkl. Porto).


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