28. KW: Der Sonntagsgottesdienst als kulturelle Leitplanke?
- Der Sonntagsgottesdienst als kulturelle Leitplanke?
- Dossiers zum Thema Religion
- Tag der Solidarität mit Juden und Israel
- Die Rote Liste
- Bundesregierung muss Gameswirtschaft endlich ernst nehmen
- Kulturpolitische Sommerlektüre
- Text der Woche: „Die Macht von BookTok. Wie soziale Medien das Leseverhalten der Generation Z beeinflussen“ von Yvonne de Andrés
- Zum Schluss: Sitzung des Stiftungsrates der Kulturstiftung des Bundes
Sehr geehrte Damen und Herren,
ist der Sonntagsgottesdienst noch zeitgemäß? Oder sollte die Kirche dieses Ritual abschaffen? Letzteres, also die Abschaffung der Sonntagsgottesdienste, forderte kürzlich die Pfarrerin Hanna Jacobs und hat mit dieser Forderung eine lebhafte und wie ich finde, notwendige Debatte ausgelöst. Diese Debatte ist mitnichten nur eine innerkirchliche. Der Sonntagsgottesdienst ist eine wichtige kulturelle Leitplanke in unserer pluralen Gesellschaft.
Wenn die Gläubigen nicht zum Gottesdienst kommen, so wird es in Kirchenkreisen gerne diskutiert, sind zuallererst die Gläubigen offensichtlich nicht mehr gläubig genug, der Zeitgeist hat sich gegen die Kirche verschworen und die Demografie hat ihr Übriges getan. Wenn denn fast überhaupt niemand mehr kommt, können wir es mit dem Sonntagsgottesdienst doch einfach gleich ganz sein lassen. Immer unschuldig an der Misere der leeren Kirchbänke sind offensichtlich die Pfarrerinnen und Pfarrer in den Gemeinden.
Meine Erfahrungen sind anders. Wenn im Gottesdienst gut gepredigt wird, wenn Lieder gesungen werden, die von der Masse der Kirchenbesucher auch gesungen werden können, wenn verbindende Rituale wie das Abendmahl in jedem Gottesdienst angeboten werden, ist die Kirche am Sonntag voller, wenn der Predigttext, kopiert von irgendeinem Internetportal, lustlos heruntergeleiert wird, wenn Lieder zum Singen ausgesucht werden, die zwar dem Pfarrer gefallen, aber besonders schwer zu singen sind, dann bleibt die Kirche leer.
Die Menschen wollen ihre Zeit nicht verplempern, auch nicht im Gottesdienst und schon gar nicht mit uninspirierten Pfarrerinnen und Pfarrern. Und ich finde, die Besucherinnen und Besucher unserer Gottesdienste haben ein Recht darauf, Qualität angeboten zu bekommen.
Im Kulturbereich haben wir auch immer wieder mit leeren Theatern, Konzertsälen und Opernhäusern zu kämpfen. Der von der Corona-Pandemie ausgelöste Publikumsschwund ist auch noch nicht überall gänzlich überwunden. Aber als Lösung wird bei uns nicht diskutiert, die Anzahl der Theateraufführungen, die Anzahl der Konzerte, oder sonstiger Kulturveranstaltungen zu beschneiden. Wenn die Besucher nicht kommen, sind nicht sie daran schuld.
Es kann natürlich eine bewusste Entscheidung sein, mit einer geringeren Auslastung leben zu wollen, weil zum Beispiel ein Theater ein Ort des künstlerischen Experimentes sein soll und nicht immer bei der Masse der Kulturinteressierten auf Interesse stößt. Das ist aber die Ausnahme, die Regel ist, dass eine Grundauslastung an Besuchern notwendig ist, um einen Kulturort erfolgreich zu bespielen. Wenn diese Auslastung dauerhaft nicht erreicht wird, wird nicht die Kultureinrichtung geschlossen, sondern der Vertrag der verantwortlichen Intendantin und des Intendanten wird nicht verlängert.
Warum werden von den Kirchleitungen keine eindeutigen Zielvereinbarungen mit den Gemeindepfarrerinnen und -pfarrern geschlossen, die auch eine durchschnittliche Auslastung der Gottesdienste beinhaltet? Natürlich müssen die Kirchenleitungen vorher ihre Hausaufgaben machen. Die Aufgaben, die in einer Zielvereinbarung festgelegt werden, müssen erreichbar sein. Besonders müssen die Orte der Glaubensverkündigung der Anzahl der potenziellen Kirchenbesucher angepasst werden.
Aber, da bin ich mir sicher, viele werden überrascht sein, wie voll unsere Kirchen am Sonntagvormittag sind, wenn die angebotenen Gottesdienste mehr Qualität haben.
Ihr
Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann
PS. Gestern beschäftigte sich die FAZ mit unserer Diskussion in der aktuellen Ausgabe von Politik & Kultur über die Einrichtung eines Kultur- und Sportministeriums auf der Bundesebene in der nächsten Legislaturperiode. Hier kann der Text nachgelesen werden.
2. Dossiers zum Thema Religion
Der Deutsche Kulturrat hat sich mit dem Themenfeld Religion bereits in verschiedenen Dossiers beschäftigt.
Martin Luther Superstar: 500 Jahre Reformation – Dossier „Refomationsjubiläum Nr. 1“
Themen des Dossiers „Martin Luther Superstar – 500 Jahre Reformation“ sind: Reformation und Staat – eine Spurensuche; Kultur in der Reformationsdekade; Zwischenbilanz Reformationsjubiläum; Kulturwerk Reformationsjubiläum; Das Reformationsjubiläum zu einer zivilgesellschaftlichen Volksbewegung machen; Förderprogramm Reformationsjubiläum; Protestantische Bildkritik; Das Christentum ist keine Bilderbuchreligion; Angewandte Reformation; Was rettet das Abendland?
Das Dossier steht hier zum PDF-Download bereit.
Die fantastischen Vier – Dossier „Refomationsjubiläum Nr. 2“
Im Mittelpunkt des Dossiers „Die fantastischen Vier“ stehen zum einen zwei Reformatoren aus dem direkten Umfeld Luthers, Philipp Melanchthon, der die Reformation auch zu einer Bildungsbewegung machte und Thomas Müntzer, der sich mit den entrechteten und unterdrückten Bauern solidarisierte. Zum anderen geht es um die zwei reformierten Reformatoren, Huldrych Zwingli, der Schweizer Reformator, der den Protestantismus im südwestdeutschen Raum, in der Schweiz und Frankreich prägte und Johannes Calvin, der als Begründer des Calvinismus, einer besonders strengen Auslegung der Evangelien, gilt.
Dossier „Refomationsjubiläum Nr. 2“
Hg. v. Olaf Zimmermann und Theo Geissler
ISBN 978-3-934868-44-1, 56 Seiten, 4,20 €
Kippa, Koscher, Klezmer? – Dossier „Judentum und Kultur“
Jüdische Kultur, ist das „Kippa, Koscher, Klezmer?“ Das Dossier zeigt historische und aktuelle Perspektiven auf jüdisches Leben in Deutschland, jüdische Kultur sowie Erinnerungskultur. Es stellt Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Buchreligionen heraus, beschäftigt sich mit wissenschaftlichen Jüdischen Studien und betrachtet die Jeckes in Israel. Das und vieles mehr ist jüdische Kultur.
Dossier „Judentum und Kultur“
Hg. v. Olaf Zimmermann und Theo Geissler
ISBN 978-3-934868-42-7, 72 Seiten, 4,20 €
3. Tag der Solidarität mit Juden und Israel
Am 10. Juli 1945 kehrte symbolisch jüdisches Leben nach Deutschland zurück. An diesem Tag wurde in Dresden zum ersten Mal nach dem Krieg das Theaterstück „Nathan der Weise“ aufgeführt. In Erinnerung an diesen Tag und aufgrund der immer heftiger werdenden Anfeindungen gegenüber Juden und Israel in aller Welt wurde am Mittwoch, den 10.07.2024 zum „Tag der Solidarität mit Juden und Israel“ aufgerufen. Gemeinsam mit vielen anderen Organisationen unterstützt der Deutsche Kulturrat diesen Tag und stellt sich entschieden gegen jede Form des Antisemitismus. Boykottaufrufe, wie z. B. durch den BDS gegen jüdische Künstlerinnen, Künstler und israelische Kultureinrichtungen, lehnt der Deutsche Kulturrat entschieden ab.
- Mehr dazu lesen Sie hier.
Lesetipp zum „Tag der Solidarität mit Juden und Israel“: 160 Organisationen unterstützen „Tag der Solidarität mit Juden und Israel“ | Jüdische Allgemeine.
4. Die Rote Liste
Vor dem Hintergrund der Diskussion über einen Baustopp bei der Sanierung des Gebäudes der Komischen Oper hat der Deutsche Kulturrat die Komische Oper Berlin letzten Freitag auf seine Rote Liste der bedrohten Kultureinrichtungen und Kulturinitiativen gesetzt.
- Lesen Sie hier mehr dazu.
Mit der Roten Liste bedrohter Kultureinrichtungen, einer Analogie zu den bekannten Roten Listen bedrohter Tier- und Pflanzenfamilien, werden gefährdete Kulturinstitutionen, -vereine und -programme vorgestellt. Ziel der Roten Liste ist es, auf den Wert einzelner Kultureinrichtungen und Initiativen hinzuweisen.
Hier geht es zur Roten Liste der bedrohten Kultureinrichtungen und Kulturinitiativen des Deutschen Kulturrates.
5. Bundesregierung muss Gameswirtschaft endlich ernst nehmen
Das Bundeswirtschaftsministerium will das Games-Referat auflösen und den Arbeitsbereich in das Referat der Kultur- und Kreativwirtschaft integrieren. Der Deutsche Kulturrat sieht diese Entwicklung sehr kritisch, da es den klaren Aussagen der Ampel-Koalition widerspricht, dass sie den Games-Standort Deutschland stärken wollen.
- Weitere Informationen dazu lesen Sie hier.
Hörempfehlung zum Thema: Kein Interesse an der deutschen Games-Branche? Bei WDR 5 Scala habe ich erklärt, warum öffentliche Gamesförderung wichtig ist.
4. Leseempfehlung für den Sommer
Baustelle Geschlechtergerechtigkeit
Im aktuellen Report werden Daten zur Zahl der Erwerbstätigen im Arbeitsmarkt Kultur, dem Frauenanteil, dem Einkommen und dem Gender-Pay-Gap zusammengestellt und bewertet. Der Datenreport geht sowohl auf Soloselbstständige als auch auf abhängig Beschäftigte im Kulturbereich ein.
Ohne Kultur keine Nachhaltigkeit
2015 hat die Weltgemeinschaft die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. In 17 Nachhaltigkeitszielen hat sie konkrete Zielvereinbarungen getroffen. Wie kann der Kultur- und Naturbereich gemeinsam die UN-Nachhaltigkeitsziele voranbringen?
Mein kulturpolitisches Pflichtenheft
Olaf Zimmermann, der langjährige Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, legt sein ganz persönliches kulturpolitisches Pflichtenheft vor, in dem er zeigt, welche Themen unter welchen Rahmenbedingungen die Arbeit auf der Kulturbaustelle heute bestimmen, oder bestimmen sollten.
7. Text der Woche: „Die Macht von BookTok. Wie soziale Medien das Leseverhalten der Generation Z beeinflussen“ von Yvonne de Andrés
Die Entwicklung von BookTok erweitert nicht nur die Reichweite von Buchclubs, sondern verändert auch das Image des Lesens. Verlage wie dtv, Bastei Lübbe und Ullstein haben bereits ihre Strategien angepasst, um Ästhetik und Präsentation ihrer Bücher zu verbessern.
Felicia Hofmann hebt hervor, dass die Befürchtungen, junge Menschen würden weniger lesen oder Bücher nur noch digital konsumieren, teilweise widerlegt wurden. Sie fährt fort: „Mit dem Aufkommen von BookTok erhalten Bücher in der jungen Zielgruppe eine höhere Wertschätzung, die über den reinen Lesewert hinausgeht. Sie werden zunehmend auch als dekorative Objekte betrachtet, die im Regal gut aussehen und hochwertig gestaltet sein müssen. Diese Entwicklung hat auch unsere Verlagsarbeit beeinflusst, da wir nun mehr Zeit in Details wie Farbschnitte und Veredelungen investieren, die für die Präsentation der Bücher entscheidend sind.“
- Lesen Sie den ganzen Text hier.
Yvonne de Andrés ist Kulturmanagerin und Co-Gründerin von „Power To Transform!“
8. Zum Schluss …
Gestern trafen sich der Stiftungsrat der Kulturstiftung des Bundes (KSB) in Halle zu seiner Sitzung.
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