28. Juni 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturpolitischer Wochenreport

KW 26: Schwieriges Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft, Gerhart R. Baum erhält den Kulturgroschen 2019, ...


...Meinungsfreiheit in Politik & Kultur, Jahrestagung IkI, Neue Homepage IkI, Veranstaltungen

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

wie geht es uns doch scheinbar gut. Seit einigen Jahren sprudeln die Quellen an öffentlichen Mitteln. Die verschiedenen Ministerien des Bundes und der Länder versuchen sich zu übertreffen an Programmen zur Stärkung der Zivilgesellschaft. Gerade auch um damit dringend erforderliche Strukturen gegen die Auflösungserscheinungen in unserer Gesellschaft zu schaffen.

 

Die Aktivitäten der öffentlichen Hände in diesem Bereich sind richtig und wichtig und sie zeugen auch von dem Grundverständnis, dass der Staat nicht allein in der Lage ist, in die Breite der Gesellschaft zu wirken. Die Zusammenarbeit zwischen Staat und Zivilgesellschaft ist hier alternativlos!

 

Die besondere Chance dieser Aktivitäten läge darin, gemeinsam, im Dialog von Staat mit der organisierten Zivilgesellschaft, auszuloten, wo tatsächlicher Bedarf besteht, welche Formate funktionieren, wie viel in die Zusammenarbeit investiert werden muss und wie lange es dauert, bis die ersten Früchte der Arbeit geerntet werden können. Von unten, also Bottom-up, würden, das wäre das Beste, neue Programme entwickelt werden.

 

Leider werden zumindest die Förderaufrufe oder Interessensbekundungsverfahren von Programmen nicht so dialogisch erarbeitet, sondern Top-down von Ministerien vorgegeben.

 

Ein solches Vorgehen vergibt Chancen. Denn es sind doch die Verbände, Vereine und Initiativen, die in der Regel wissen, was vor Ort passiert und was benötigt wird. Sie erfahren unmittelbar, welche Bedarfe bestehen, welche Entwicklungen sich abzeichnen, welche Vorhaben funktionieren und welche nicht. Sie wissen, „wo der Schuh drückt“. Besonders Bundesverbände vermögen die vielen Einzeleinschätzungen zu bündeln, zu gewichten und hieraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Im verbandsinternen Diskurs stehen sie nicht in der Verantwortung, jedes Vorhaben gelingen lassen zu müssen, sondern können ungeschminkt Tacheles reden, Schwächen aufzeigen und Potenziale eröffnen. Die Bundesverbände könnten ihrerseits vom Einzelfall abstrahierend als Gesprächspartner auf Augenhöhe mit den Ministerien gemeinsam diskutieren, welche Wege erfolgversprechend sind. Sie könnten im Vorfeld vor mancher Fehlentscheidung warnen und sie könnten glaubhafte Fürsprecher für ein Programm sein.

 

Doch dieser Weg der partnerschaftlichen Entwicklung von Programmen wird oftmals leider nicht beschritten. Vielmehr erdenken sich oft die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bundesministerien Programme und veröffentlichen diese dann als Förderaufrufe oder Interessenbekundungsverfahren. In einem wettbewerblichen Verfahren wird dann in einem ersten Schritt die Spreu vom Weizen getrennt und diejenigen aussortiert, die für die Förderung gar nicht infrage kommen. In einem zweiten Schritt werden dann die künftigen Projekte aufgefordert, Projektanträge auszuarbeiten. Die Projekte werden anschließend, teils in einem jurierten Verfahren, teils in einem ministeriumsinternen Verfahren, ausgewählt. Im Rahmen dieses Bewerbungs- und Auswahlprozesses muss jede Organisation sich selbst die nächste sein, will sie überhaupt an einem Programm partizipieren. So führt der aktuelle Förderaufruf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ dazu, dass die bestehenden Kompetenzzentren und Kompetenznetzwerke, in denen unterschiedliche Organisationen vom Naturschutz über mobile Beratungsstelle gegen Rechts und kirchliche Organisationen zusammenarbeiten, nun entweder zu Konkurrenten werden oder aber sich auf einzelne Themenfelder festlegen müssen und das Gesamtfeld aus dem Blick verlieren. Eine große Chance wurde vertan. Über Jahre gewachsene Zusammenarbeit wird dem Konkurrenzgedanken geopfert und das Rad der Zusammenarbeit neu erfunden.

 

Durchaus verständlich ist, dass Zuwendungsgeber keine Erbhöfe entstehen lassen wollen. Das Feld soll in Bewegung bleiben. Neue Akteure sollen Beteiligungschancen erhalten. Doch ob diese Konkurrenz tatsächlich das Geschäft belebt und der Sache dienlich ist, sei dahingestellt. Ebenso nachvollziehbar ist, dass in den Ministerien auf die Einhaltung der Vorgaben der Bundeshaushaltsordnung geachtet werden muss und sich dies auch in den Förderrichtlinien widerspiegeln muss. Doch könnten im Dialog mit Verbänden diese Zwänge erläutert und Wege eines korrekten und zugleich praktikablen Umgangs mit den Vorschriften entwickelt werden.

 

Es besteht aber noch ein weiteres Problem. Viele Verbände geraten in eine Zwitterrolle. Einerseits bündeln und vertreten sie die Interessen ihrer Mitglieder. In dieser Rolle müssen sie auch offensiv gegenüber Bundesministerien auftreten und die Courage aufbringen, Förderaufrufe oder Programme zu kritisieren. Andererseits sind sie selbst oft Adressaten dieser Programme. Sie setzen sie um. Sie sind Projektträger und geben ihrerseits Mittel an die Strukturen vor Ort weiter. Damit werden sie zugleich Zuwendungsnehmer und Zuwendungsgeber und sie sind in der Verantwortung für die Programme zu stehen. Bei sehr vielen hängen auch Arbeitsplätze daran. Arbeitsplätze direkt in dem Verband selbst oder aber bei Mitgliedern. Die Organisationen stehen damit in der Verantwortung, für ihre – zumeist ohnehin befristet beschäftigten – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hieraus kann ein Rollenkonflikt entstehen. Was ist die Organisation, Durchführungsorgan oder kritischer Begleiter? Dienstleister oder selbstbewusster zivilgesellschaftlicher Akteur?

 

Zur Vermeidung von Rollenkonflikten ganz auf die Beteiligung an solchen Programmen zu verzichten, ist keine Alternative. Vielmehr muss es darum gehen, die Strukturen zu reflektieren. In der organisierten Zivilgesellschaft erfolgt dies bereits seit einigen Jahren. Beispielhaft hierfür steht im Kultur- und Bildungsbereich der Diskurs um das kulturelle Bildungsprogramm „Kultur macht stark“ im Rahmen einer Ständigen Konferenz. Was oft fehlt, ist der Dialog auf Augenhöhe mit den Bundesministerien. Allzu oft herrscht bei den Verbänden die durchaus berechtigte Sorge vor, dass Kritik eben nicht goutiert wird, sondern wer meckert und sich beschwert, das nächste Mal draußen ist. Mitunter besteht die Haltung in Ministerien, dass wer bezahlt auch bestimmt. Und die zivilgesellschaftlichen Partner werden dann gerne zu reinen Dienstleistern geschrumpft. Eine solche Haltung widerspricht jedoch grundlegend den eigentlich mit den Programmen intendierten Grundsätzen. Denn es soll doch eigentlich darum gehen, Selbstbewusstsein zu schaffen und die Demokratie zu stärken. Demokratie lebt aber vom Widerspruch und sie lebt vom gleichberechtigten Dialog auf Augenhöhe.

 

Weder Bottom-up noch Top-down sind für sich genommen der richtige Weg eines partnerschaftlichen Zusammenwirkens. Die zur Verfügung stehenden Ressourcen müssen klug und sinnvoll genutzt werden. Es muss unseres Erachtens daher darum gehen, einen dritten Weg zu entwickeln. Einen Weg, der auf der Achtung und Wertschätzung der jeweiligen Partner beruht. Einen Weg, der Wertschätzung unterschiedlicher Erfahrungen und Kompetenzen. Einen Weg des Dialogs.

 

So kann Demokratie schon in der Entwicklung von Programmen gelebt werden und bürgerschaftliches Engagement nicht nur gelobt, sondern ernst genommen werden. „Demokratie leben!“ ist mehr als ein Programm, es ist eine Verpflichtung für uns alle.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 

PS. Lesen Sie zu diesem Thema auch die Texte in der neuen Politik & Kultur Juli/August 2019 auf den Seiten 4-6:

 

• „Demokratie leben!“: Unsere Demokratie braucht uns Von Franziska Giffey
• „Demokratie leben!“: Expertise erhalten Von Tilmann Schwenke und Wendelin Haag
• „Demokratie leben!“: So tun, als ob … Von Heiko Klare
• „Demokratie leben!“: „Die Zivilgesellschaft muss sichtbar bleiben“ Theresa Brüheim im Gespräch mit Timo Reinfrank

 

PPS.

 

• Angesichts diverser Vorstöße zur Einschränkung der Gemeinnützigkeit von Vereinen und Verbänden haben die großen Dachorganisationen Deutscher Bundesjugendring (DBJR), Deutscher Naturschutzring (DNR), Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB), Verband für Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO) und Deutscher Kulturrat am Mittwochabend bei einem Parlamentarischen Abend in Berlin auf die große Bedeutung hingewiesen, die zivilgesellschaftlichen Organisationen für eine lebendige und starke Demokratie zukommt. Lesen Sie die Pressemitteilung zum Thema hier.

 


Gerhart R. Baum erhält den Kulturgroschen 2019

 

Der Deutsche Kulturrat ehrt Bundesinnenminister a.D. Gerhart R. Baum mit dem Kulturgroschen des Deutschen Kulturrates 2019. Der Deutsche Kulturrat ehrt mit dieser Auszeichnung das kulturpolitische Wirken von Gerhard R. Baum und würdigt sein Engagement für Kultur sowie für Menschenrechte, Bürgerrechte und Meinungsfreiheit.

 

Die Verleihung des Kulturgroschens an Gerhart R. Baum findet am 10.12.2019 in Kooperation mit der Staatsbibliothek zu Berlin im Wilhelm-von-Humboldt-Saal der Staatsbibliothek statt.

 

Weitere Information finden Sie hier.

 


Wie frei ist unsere Meinung wirklich? Schwerpunkt in der neuen Politik & Kultur

 

Meinungsfreiheit trotz zügellosem Hass und Lügen? Die Bedeutung der Meinungsvielfalt in der digitalen Welt ist der Schwerpunkt in der neuen Politik& Kultur.

 

• Politik & Kultur ist erhältlich in Bahnhofsbuchhandlungen, an großen Kiosken, auf Flughäfen und im Abonnement: Einzelpreis: 4,00 Euro, im Abonnement: 30,00 Euro (inkl. Porto), im Abonnement für Studierende: 25 Euro (inkl. Porto).

 

• Die Juli/August 2019-Ausgabe von Politik & Kultur steht außerdem kostenfrei für alle Newsletterempfänger hier als E-Paper (pdf-Datei) zum Herunterladen bereit.

 


Save-the-Date: Jahrestagung Initiative kulturelle Integration am 3. September 2019 ab 10.00 Uhr

 

Im dritten Jahr ihres Bestehens lädt die Initiative Integration am 3. September 2019 ab 10.00 Uhr zu ihrer Jahrestagung in die Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums in Berlin. Vor dem Hintergrund der bereits stattgefundenen Europaparlamentswahlen und der drei anstehenden Landtagswahlen in Deutschland, sowie der Jubiläen: 70 Jahre Grundgesetz, 30 Jahre Wiedervereinigung und 100 Jahre Weimarer Republik soll in diesem Jahr das Thema „Zusammenhalt und Demokratie“ den Fokus unserer Jahrestagung bestimmen. Dabei wird hierzu insbesondere die Rolle der Medien kritisch zu beleuchten sein.

 

Die Tagung wird von Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters und der Präsidentin des Deutschen Kulturrates, Prof. Susanne Keuchel, eröffnet.

 

Die zentrale Podiumsdiskussion wird sich unter dem Titel „Medien unter dem Aspekt demokratischer Wachsamkeit“ mit deren Demokratiewirksamkeit und Herausforderungen in Zeiten des sogenannten Strukturwandels der Öffentlichkeit durch die digitalen Medien beschäftigen. Moderiert von Barbara Scherle werden miteinander diskutieren:

 

  • Patricia Schlesinger, Intendantin RBB,
  • Prof. Marc Liesching, (HTWK Leipzig), Autor der Brenner-Studie zum Thema „Agenda-Setting bei ARD und ZDF“,
  • Hans-Peter Hagemes, Vice-President Information, Pro Sieben Sat1 (angefragt),
  • Tino Krause, Country Director DACH, Facebook (angefragt) sowie
  • Olaf Zimmermann Sprecher der Initiative kulturelle Integration und Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats .

 

Der Nachmittag dient der Vertiefung des Themas Medien und Integration. Bitte notieren Sie sich den Termin schon jetzt!

 

Die Einladungen folgen im August.

 


Neue Homepage: Initiative kulturelle Integration gestartet!

 

Der Inhalt der neuen Seite:

 

 

 

 

Machen Sie sich selbst ein Bild der neuen Seite und besuchen Sie www.kulturelle–integration.de.

 


Veranstaltungen mit Beteiligung des Deutschen Kulturrates

 

02.07.2019: „Zukunft erhalten und gestalten“ Bewusstsein – Verantwortung – Kreativität: Motoren für ein gutes Kulturklima
03.09.2019: Zweite Jahrestagung der Initiative kulturelle Integration

 


Ältere kulturpolitische Wochenreporte können Sie hier nachlesen.

 


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