25. KW: Rechtsextreme Wahlgewinner, wer hat versagt?
- Rechtextreme Wahlgewinner, wer hat versagt?
- Zehnmal Kulturpolitik: Die letzten 10 Stellungnahmen des Deutschen Kulturrates
- Künstliche Intelligenz in Kunst und Kultur
- Text der Woche: Ein präsidialer und doch politischer Präsident Zur aktuellen Debatte über Frank-Walter Steinmeier von Hans Jessen
- Zum Schluss… „Die Kunst der Benennung“
Sehr geehrte Damen und Herren,
vor kurzem fragte mich ein leitender Mitarbeiter der Bundesregierung mit vorwurfsvollem Unterton, was denn der Kulturbereich gegen die Rechtsentwicklung in unserem Land gemacht hätte. Nun könnte man sagen, gerade die Bundesregierung sollte zuerst vor der eigenen Haustüre kehren, aber so einfach will ich es mir nicht machen. Offensichtlich haben wir zu wenig oder das Falsche getan, denn dass die Rechtsextremen solche Erfolge bei Wahlen einfahren können, ist ein überdeutliches Zeichen von Versagen von vielen, auch von uns.
Viele im Kulturbereich haben, wie große Teile der Wirtschaftselite auch, die Verantwortung für gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu einer Verantwortung des Einzelnen abgeschichtet. Die Leugner einer Klassengesellschaft sind gerade bei den jüngeren Kulturschaffenden in der Mehrheit. Die Auswirkungen dieser Individualisierung von Gesellschaftspolitik führen zwangsläufig zu einer Überforderung der Menschen, die als Einzelne für alle möglichen Fehlentwicklungen in Haft genommen werden: Du fliegst in den Urlaub, also bist Du direkt verantwortlich für die Erderwärmung. Du erträgst die Überforderung am Arbeitsplatz nicht mehr, also bist Du ein Schwächling, und nicht die Produktionsbedingungen können schuld sein. Du hast Angst vor Fremden in Deinem Wohnumfeld, also bist Du ein Rassist, und nicht fehlende Integrationsmaßnahmen werden verantwortlich gemacht.
Die persönliche Überforderung durch die Individualisierung von gesellschaftlichen Herausforderungen führt zu politischen Gegenbewegungen wie dem Wählen von Rechtsextremen, die vermeintlich die Einzigen sind, die dieser Überforderung durch Kampf gegen das Establishment entgegentreten.
Nun könnten die vielen Kulturorte im Lande offene Diskursräume sein, wo die notwendigen gesellschaftspolitischen Debatten breit geführt würden. Aber gerade viele dieser Orte erreichen die Breite der Bevölkerung nur unzureichend. Viele sind nicht inklusiv, sondern extrem exklusiv. Trotz allen Geredes von der Kultur für alle sind die meisten Kulturorte Tempel für Hochgebildete. Immer öfter werden zum Beispiel Kulturdiskussionen nicht mehr in Deutsch, sondern nur in Englisch, ohne Übersetzung angeboten. Mehr Arroganz der Gebildeten gegenüber der Breite der Bevölkerung, die mitnichten alle Englisch sprechen, kann man sich nur schwer ausdenken.
Der Kulturbereich zieht sich viel zu oft in Nischen der Selbstbeschäftigung zurück. Auch hier steht oftmals die Frage, wie fühle ich mich, vor der Frage, was passiert warum in unserer Gesellschaft. Die Entpolitisierung des Kulturbereiches hat es den Rechtsextremen auch leicht gemacht, immer stärker zu werden. Hier können wir gegensteuern.
Ihr
Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann
PS. Hören und lesen Sie beispielhaft zum Thema die Beiträge „Wie wirkt sich die EU-Wahl auf die Kultur aus?“ (rbb Kultur) und „Wie die AfD die Kulturpolitik angreift“ (Der Spiegel, Bezahlschranke).
2. Zehnmal Kulturpolitik: Die letzten 10 Stellungnahmen des Deutschen Kulturrates
- Wählen gehen und die demokratischen Parteien wählen! 20. Mai 2024
- Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zum „Entwurf eines Gesetzes zur erleichterten Durchsetzung der Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“ 14. Mai 2024
- Kultur für Europa, Kultur in Europa gestalten 5. Mai 2024
- Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kulturgutschutzgesetzes 21. März 2024
- Jahressteuergesetz 2024: Mit Steuerpolitik die Kultur stärken 21. März 2024
- NEUSTART KULTUR: Erfahrungen nutzen, um Passgenauigkeit und Wirtschaftlichkeit der Bundeskulturförderung zu stärken 19. Januar 2024
- Arbeitslosenversicherung: Verbesserungen für Soloselbstständige sind dringend erforderlich 15. Januar 2024
- Kultur gehört zur kritischen Infrastruktur 27. August 2023
- Mit Kultur Nachhaltigkeit befördern – Nachhaltigkeit in der Kultur stärken 26. Juni 2023
- Künstliche Intelligenz und Urheberrecht 22. Juni 2023
3. Künstliche Intelligenz in Kunst und Kultur
Der wachsende Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) ist aktuell ein großes Thema und betrifft auch zunehmend den Kulturbereich: Wo und wie wird KI im Kulturbereich bereits angewandt? Welche Chancen und Gefahren sind mit dem Einsatz von KI verbunden?
Die Zeitung des Deutschen Kulturrates Politik & Kultur hat sich mit diesen und weiteren Fragen bereits intensiv in der Ausgabe 4/23 und dem Schwerpunkt „Künstliche Intelligenz: Welche Rolle spielt KI für die Kultur?“ beschäftigt. Darüber hinaus widmet Politik & Kultur seit Anfang des Jahres jeder Ausgabe dem Thema KI jeweils den Fokus und beleuchtet dabei unterschiedliche Sparten des Kulturbereichs.
Außerdem veranstaltete der Deutsche Kulturrat im Rahmen des Digitaltags 2024 eine Online-Diskussion zum Thema „KI in der Kultur: Heilsbringer oder Dystopie?“. Dabei wurde der Frage nachgegangen, welche Folgen der Einsatz von KI für Künstlerinnen, Künstler und den Kulturbetrieb hat.
- Alle Beiträge des Schwerpunktes „Künstliche Intelligenz: Welche Rolle spielt KI für die Kultur?“ können hier nachgelesen.
- Die Beiträge der Fokusreihe KI finden Sie hier.
- Hier können Sie die Online-Diskussion „KI in der Kultur: Heilsbringer oder Dystopie?“ nachhören und -sehen.
4. Zur aktuellen Debatte über Frank-Walter Steinmeier von Hans Jessen
„Jener ‚präsidiale Habitus‘, der Steinmeier nach außen so geeignet erscheinen ließ, stieß im Inneren der Person auf Erfahrung und Sediment einer jahrzehntelangen Verhaftung im politischen Machtapparat mit all seinen Höhen und Tiefen, Tricks und Fallgruben. Steinmeier hat sie alle kennengelernt – und oft genug selbst praktiziert –,»ehrlicher Makler« hin oder her. Daraus erwuchs mit dem Amtsantritt, bis heute nachwirkend, dass Steinmeier, biografisch gesehen, der »politischste« aller bisherigen Bundespräsidenten ist.“ …
„Die Enttäuschung über angeblich verpasste Chancen des Präsidenten in Wahrheit also eine Enttäuschung über verpasste Chancen bzw. nicht wahrgenommene Aufgaben einer „Fortschrittskoalition“, die sich häufig eher als wechselseitiger Blockadezusammenhang präsentiert? Vielleicht. Zumindest Elemente einer solchen auf dem Kopf stehenden Hoffnungskritik scheinen im gegenwärtigen „Trend“ des Steinmeier-Bashings zu stecken.
Hans Jessen ist freier Publizist und ehemaliger ARD-Hauptstadtkorrespondent
- Lesen Sie den ganzen Beitrag hier.
5. Zum Schluss… „Die Kunst der Benennung“
Die Oktoberausgabe von Politik & Kultur wird sich dem Thema „Die Kunst der Benennung“ widmen. Es geht um die kulturelle und naturwissenschaftliche Bedeutung von Benennungen, um die Vielfalt der Organismen um uns herum erkennen zu können.
Den Schwerpunkt in Politik & Kultur realisieren wir gemeinsam mit dem Naturkundemuseum Berlin. Am Mittwoch haben wir uns zur Vorbereitung dieses sehr ungewöhnlichen Schwerpunktes mit Prof. Dr. Michael Ohl, Wissenschaftlicher Leiter der Sammlungen Hymenoptera (Wespen, Bienen und Ameisen) und Neuropterida (Netzflügler im weiteren Sinne) des Naturkundemuseums getroffen. Ein wunderbarer Austausch.
Auf meiner kleinen Naturseite kann man etwas von der Komplexität und Faszination der „Kunst der Benennung“ erfahren.
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