5. Mai 2023 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturpolitischer Wochenreport

18. KW: Comic: Mehr als bunte Bilder


Sehr geehrte Damen und Herren,

 

meine Comic-Sozialisation begann 1967, ich war gerade sechs Jahre alt, mit dem ersten Band von „Walt Disneys Lustigem Taschenbuch: Der Kolumbusfalter“. Ich bekam das Buch geschenkt, um mich besser von den Auswirkungen irgendeiner Kinderkrankheit abzulenken. Viele Jahre später habe ich mit Begeisterung in „Tim und Struppi“ von Hergé hineingeschaut, um später, in meiner Sturm- und-Drang-Zeit, zu U-Comix wie „Fritz the Cat“ von Robert Crumb zu wechseln. Dann waren einige Jahrzehnte vollständig comic-frei. Erst mit einem Geburtstagsgeschenk meiner Söhne von Alan Moore und Dave Gibbons „Watchmen“ vor wenigen Jahren wurde mein Interesse wieder geweckt.

 

Dieser eher sporadische Comic-Genuss ist für das Comic-Entwicklungsland Deutschland durchaus typisch. Anders als bei unseren westlichen Nachbarn Frankreich und Belgien, aber auch Italien hat der Comic in Deutschland keinen so großen Stellenwert. Comic galt in Deutschland über lange Zeit als eher zu vernachlässigende Kunstform, der, ähnlich der populären Musik, ein gewisser „Schmuddelfaktor“ anhing. Wie langlebig ein solches Vorurteil ist, zeigt sich auch darin, dass bei der Beurteilung des französischen Kulturpasses für Jugendliche ein wenig hochnäsig darauf herabgeschaut wurde, dass französische Jugendliche mit Vorliebe Comics, und zwar sowohl frankobelgischer Machart als auch japanischer Provenienz mit dem Kulturpass kauften. Da schwang das alte Vorurteil mit, dass Comics doch eigentlich keine „richtigen“ Bücher seien und warum hierfür öffentliche Förderung ausgegeben werden sollte.

 

Wer sich näher mit Comics befasst, stellt fest, dass es sich hierbei, wie in anderen künstlerischen Ausdrucksformen auch, um einen eigenen Kosmos handelt. Einen Kosmos mit erfolgreichen internationalen Playern, die weltweit vermarkten. Mit Figuren und Geschichten, die längst zum Kulturgut zählen. Mit Richtungskämpfen und Meinungsstreitigkeiten, man denke nur an die Donaldisten. Mit Erzählungen, die offenbar weltweit anschlussfähig sind. Mit Geschichten, die zu Filmen und Spielen inspirieren. Es gibt sicherlich nur wenige künstlerische Ausdrucksformen, die so stark von einem anderen künstlerischen Medium adaptiert werden, wie es bei Comics der Fall ist. Die Superhelden-Welten von Marvel und DC sind nur ein Beispiel dafür, wie auf der Grundlage von Comics eine Filmwelt erschaffen wird, die ihrerseits weltweit auf ein interessiertes Publikum stößt.

 

Comics sind aber auch jene Formen grafischer Erzählungen, die nicht auf ein großes Publikum zielen, die quer zum gängigen Mainstream liegen und aktuelle gesellschaftliche Themen wie die Auseinandersetzung mit Geschichte, Rassismus, Feminismus, Geschlecht oder auch Fragen der sexuellen Identität aufgreifen. Die Comic-Welt ist vielfältig, und wer sich darauf einlässt, stellt fest, wie unterschiedlich, wie vielseitig, wie humorvoll, wie bissig, wie emanzipatorisch und wie innovativ die Comic-Landschaft ist. Diese Comics erscheinen oftmals in kleinen ambitionierten Verlagen, die häufig selbst um das Überleben kämpfen. Zu entdecken ist diese Vielfalt insbesondere bei Messen, der jährlich stattfindenden ComicInvasion in Berlin oder auch beim alle zwei Jahre stattfindenden Comic-Salon in Erlangen, der das bundesweite Treffen und der Ausstellungsort der Comic-Szene in Deutschland schlechthin ist.

 

Wie in anderen künstlerischen Sparten auch verdeckt der große – auch wirtschaftliche – Erfolg der bekannten Comic-Zeichner und ihrer Figuren, dass viele Zeichnerinnen und Zeichner sehr wenig verdienen. Gleichfalls wird oftmals nicht gesehen, wie aufwendig und langwierig der Prozess ist, bis der fertige Comic im Buch- oder bestenfalls im Comic-Laden ausliegt. Dazu gehört, dass der Comic eben mehr als ein Bild und mehr als ein Text ist. Der Comic lebt einerseits von der Verknappung der sprachlichen Elemente, der Ausschmückung der bildlichen und der Entwicklung einer Geschichte ähnlich einem Film. Nicht umsonst bestehen enge Verbindungen vom Comic zum Animationsfilm. Bis ein Comic produktionsreif ist, vergeht nicht selten ein Jahr. Die gestiegenen Produktionskosten, angefangen bei höheren Papier- bis zu den Druckkosten, tun ihr Übriges, dass das Verlegen von Comics, die nicht den großen Markt erreichen, oftmals ein Vabanquespiel ist.

 

Ebenso wie der Comic selbst ein eigenständiges, künstlerisches Genre bildet, das oftmals quer zu anderen liegt, ist die Forschung zu Comics sehr unterschiedlich verortet. Ein Comic ist eben mehr als ein literarischer Text und auch etwas anderes als ein Bild oder eine Karikatur, die eine Geschichte in einem Bild auf den Punkt bringt. Aus medienwissenschaftlicher Perspektive ist der Comic eine eigenständige Kunstform.

 

Die uneindeutige Verortung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Comics findet ihr Pendant in der Ausbildung von Comic-Zeichnerinnen und -Zeichnern. Nur in wenigen Hochschulen wird – zumeist in Studiengängen für Visuelle Kommunikation – das Zeichnen und Erzählen von Comics gelehrt. Insofern ist die Community der Comic-Zeichnerinnen und -Zeichner in Deutschland relativ klein. Sie zeichnet aus, dass sie europäisch vernetzt ist – besonders wichtig sind dabei die Arbeitsbeziehungen in den frankobelgischen Raum.

 

Noch offen ist, wie sich der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) bei der Schöpfung von Comics auswirken wird. Werden, nachdem eine Geschichte, ein Storyboard angelegt und die Figuren zeichnerisch entwickelt wurden, künftig Comics von einer KI weitergeschrieben, oder ist dies noch weit entfernt liegende Zukunftsmusik ebenso wie die Schöpfung von belletristischen Werken durch KI, die sich derzeit mit Blick auf die künstlerische Ausdruckskraft und literarische Gestaltung noch meilenweit von von Menschen geschaffenen Büchern unterscheiden? Eines steht jedenfalls fest: Comics sind mehr als bunte Bilder.

 

Ihr

 

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 

PS. Die Journalistin Maria Ossowski hat mit mir über mein Buch „Mein kulturpolitisches Pflichtenheft“ gesprochen. Hier können sie das Gespräch unter dem Titel „Kulturpolitik ist zuallererst Pflicht“ nachhören.

 


 

2. Schwerpunkt in Politik & Kultur 5/23: Comics

 

Die Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Potenzial des Comics hat eine lange Geschichte. Doch gerade auch im Comic-Entwicklungsland Deutschland erfährt die „Neunte Kunst“ weniger Wertschätzung als z. B. bei unseren westlichen Nachbarn Frankreich und Belgien. Der aktuelle Schwerpunkt in Politik & Kultur zeigt den vielseitigen Kosmos des Kulturguts Comic.

 

Alle Beiträge des Schwerpunktes

 

 

  • Alle Beiträge des aktuellen Schwerpunkts finden Sie hier

 


 

3. Aktionsplan gestartet: „Respektvoll Arbeiten in Kunst, Kultur und Medien“

 

Am Dienstag haben Kulturstaatsministerin Claudia Roth und ich, im Beisein von Ferda Ataman, Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes und der Vorstandsvorsitzenden der Themis, der unabhängigen Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in der Kultur- und Medienbranche, Eva Hubert, im Bundeskanzleramt den Aktionsplan „Respektvoll Arbeiten in Kunst, Kultur und Medien“ vorgestellt.

 

Der Aktionsplan ist vor der Causa Til Schweiger erarbeitet worden, hat aber durch die jüngsten Veröffentlichungen noch einmal an Aktualität gewonnen.

 


 

4. Goldene Stimmgabel des VdM für Kulturratspräsident Christian Höppner

 

Der Verband deutscher Musikschulen e.V. hat Prof. Christian Höppner, Präsident des Deutschen Kulturrates, für seine „besonderen Verdienste um die Belange des Musikschulwesens“ die Goldene Stimmgabel verliehen.

 

Höppner erhielt die höchste Auszeichnung, die der Trägerverband der 934 öffentlichen Musikschulen zu vergeben hat, vor der Bundesversammlung in Kassel.

 

Überreicht wurden die Goldene Stimmgabel nebst Urkunde durch den VdM-Bundesvorsitzenden, Friedrich-Koh Dolge und den Ehrenvorsitzenden, Prof. Ulrich Rademacher, der die Laudatio hielt.

 


 

5. Einladung: Erinnerung, Identität und Klima – Kulturpolitik als Handwerk

 

Mittwoch, 17. Mai 2023 | 19.00 Uhr | Katholische Akademie in Berlin, Hannoversche Str. 5, 10115 Berlin

 

Erinnerung, Identität und Klima bewegen die Gemüter und bestimmen – oft in fragwürdigen Zuspitzungen – die öffentliche Diskussion. Was hat die Kulturpolitik damit zu tun? Liest man Olaf Zimmermann „Mein kulturpolitisches Pflichtenheft, Berlin 2023“ darf man sagen: sehr viel! Kulturpolitik ist – so Olaf Zimmermann – hauptsächlich Handwerk, das sich durch Nüchternheit und Realitätssinn auszeichnet und vor allem in jenen Politikfeldern gefordert ist, die einen langen Atem benötigen. Wie steht es um die gegenwärtigen kulturpolitischen Herausforderungen, besonders auf den Feldern von Erinnerung, Identität und Klima? Und das wurde bislang wenig gefragt: im Zusammenhang von Kultur- und Naturgeschichte?

 

Es diskutieren auf dem Podium:

 

  • Prof. Dr. Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur und Medien a.D
  • Prof. Dr. Patricia Rahemipour, Direktorin Institut für Museumsforschung
  • Dr. Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident a.D.
  • Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates

 

  • Livestream der Veranstaltung auf YouTube hier
  • Anmeldung per Telefon unter (030) 28 30 95-0 oder per E-mail hier
  • Weitere Informationen hier

 

  • Mehr zum Buch:
  • Olaf Zimmermann, Mein kulturpolitisches Pflichtenheft, 978-3-947308-38-5, 216 Seiten
  • Bestellen Sie „Mein kulturpolitisches Pflichtenheft“ für 19,80 Euro hier
  • Natürlich können Sie das Buch auch über jede Buchhandlung beziehen

 

 


 

6. Veranstaltungshinweis: Von der Kunstfreiheit gedeckt?

 

Donnerstag, 11. Mai 2023

 

Im Rahmen der Konferenz »Von der Kunstfreiheit gedeckt?« Aktuelle Herausforderungen im Umgang mit Antisemitismus in Kunst und Kultur in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz diskutieren im Abschlusspanel:

 

  • Andreas Görgen, Amtschef beim BKM
  • Katja Lucker, Musicboard Berlin GmbH
  • Stella Leder, Institut für Neue Soziale Plastik e.V.
  • Olaf Zimmermann, Deutscher Kulturrat

 

  • Hier finden Sie mehr zur Veranstaltung
  • Hier können Sie sich anmelden

 


 

7. Dokumentation: Mitteldeutsche Medientage 2023

 

„Es geht darum den Kulturbereich insgesamt krisenfester zu machen“, sagt Olaf Zimmermann bei den Mitteldeutschen Medientagen. Er fordert weiter, dass Kultur auch bei den massenkompatiblen Programmen eine größere Rolle spielt, z. B. mit Kulturnachrichten in der Tagesschau oder vorher statt der Börse vor Acht.

 

Sehen Sie das gesamte Gespräch hier mit:

 

  • Jana Brandt,
  • Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff,
  • Natalie Müller-Elmau,
  • Dr. Christiane Schenderlein,
  • Olaf Zimmermann,
  • Moderation: Silke Burmester

 


 

8. Text der Woche: „Vom Versprechen der Einheit zum Frankfurter Ereignis Paulskirche: ‚Haus der Demokratie‘?“ von Johann Michael Möller

 

Sie Republik hat zurzeit viel mit sich zu bereden: über Demokratie und Transformation, den Klimawandel, die neue Einwanderungsgesellschaft oder die korrekte Erinnerungskultur. Dieser Tage hat die Expertenkommission zur baulichen Entwicklung der berühmten Paulskirche in Frankfurt am Main ihre Empfehlungen vorgelegt. Auch dort soll jetzt ein „Haus der Demokratie“ entstehen, mit opulenter Ausstattung und einer Mannschaft von 40 Mitarbeitern, die dort in Zukunft alles veranstalten sollen, was so dazugehört: Workshops, Kunstprojekte, Lesungen, Wettbewerbe, Festivals oder Fotowerkstätten. Und wahrscheinlich wird es auch wieder die übliche Statement-Architektur geben mit einem „Signature Building“ als „Urban Icon“. Die Stadt Frankfurt wäre auch schlecht beraten, wenn sie nicht zugreifen würde, um eine ihrer Problemzonen zu bereinigen, die jeder in schauderhafter Erinnerung hat, der in den 1970er, 1980er Jahren in Frankfurt lebte.

 

Johann Michael Möller ist freier Publizist

 

  • Lesen Sie den gesamten Beitrag hier

 


 

9. Zum Schluss: Treffen mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth

 

Treffen mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth am 02. Mai im Bundeskanzleramt. Wir haben mit Claudia Roth viel gelacht, aber auch wichtige Themen sehr ernsthaft besprochen. War ein sehr guter Austausch. ⁦

 


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