6. April 2023 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturpolitischer Wochenreport

14. KW: Rahmenbedingungen für Einsatz von KI gestalten​​​​​​​


Themen im Newsletter:

  1. Rahmenbedingungen für Einsatz von KI gestalten
  2. Schwerpunkt in Politik & Kultur: Künstliche Intelligenz & Kultur
  3. Neuerscheinung: „Mein kulturpolitisches Pflichtenheft“
  4. Mehr zu Politik & Kultur 4/23
  5. Veranstaltungshinweis: „Von der Kunstfreiheit gedeckt?“ Aktuelle Herausforderungen im Umgang mit Antisemitismus in Kunst und Kultur
  6. Poetry-Slam-Wettbewerb: „Slammt Tacheles! Poetry-Slam zum jüdischen Leben in Deutschland“
  7. Text der Woche: Georgien – „Die vergessene Mitte der Welt“ von Klaus-Dieter Lehmann

 


 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

als ich in den 1980er Jahren die Programmiersprache »Turbo Pascal« lernte, war eine der ersten Aufgaben, die wir erfüllen sollten, ein kleines Programm zu schreiben, das Gedichte generieren kann. Zuerst galt es, eine Datenbank anzulegen, die eine Reihe von Begriffen enthielt, die von dem Programm zufällig ausgewählt wurden, um im Rahmen einer von uns vorgegebenen Syntax zu einem Gedicht zusammengesetzt zu werden. Ich weiß heute noch, dass ich sehr erstaunt war, wie wir mit wenigen Hundert Zeilen Programmcode diesen Generator bauen konnten, der mehr oder weniger spaßige Gedichte generierte. Das ist nun fast 40 Jahre her, und in dieser Zeit haben sich die Möglichkeiten der Programmierung revolutionär weiterentwickelt.

 

Die Computersprachen sind heute einfacher anwendbar, und trotzdem können sie viel komplexere Aufgaben mit weniger Programmcode erfüllen. Besonders die Rechnerkapazitäten der Computer haben sich in den letzten Jahrzehnten potenzial gesteigert. Mein erster Rechner hatte einen Intel-8086-Prozessor und rechnete mit 29.000 Transistoren, mein heutiger PC hat einen AMD-Ryzen-7-Prozessor und rechnet mit 4,8 Milliarden Transistoren. Gigantische Datenmengen können schon von meinem kleinen Homecomputer bearbeitet werden, aber das ist nichts im Vergleich mit dem Supercomputer Frontier des Oak Ridge National Laboratory in den USA, der mehr als 1.000.000.000.000.000.000 Gleitkommaoperationen pro Sekunde ausführen kann.

 

Aber etwas hat sich in den Jahrzehnten nicht geändert, nämlich das Grundprinzip des Gedichtsgenerators ist auch heute noch gültig, nur nennen wir es jetzt Künstliche Intelligenz (KI), und das Ergebnis kann durch Befehle, wie z. B. Anfragen, von außen viel besser gesteuert werden. Aber die sicherlich fundamentalste Veränderung liegt daran, dass es sich nicht mehr wie bei unseren Programmierübungen um lustige Spielereien handelt, sondern dass mit der Künstlichen Intelligenz heute ein neuer gigantischer Markt aufgebaut wird. Künstliche Intelligenz ist das Geschäftsmodell der Zukunft.

 

Amazon, Apple, Banjo, DJI, Facebook, Google, HiSilicon, IBM, Intel, Microsoft, Nvidia, OpenAI, Qualcomm, SenseTime, Twitter heißen die zurzeit größten KI-Unternehmen. Viele von ihnen nutzen zum Auffüllen ihrer Datenbanken Daten aus vorhandenen Datensammlungen, wie z. B. aus dem Internet. Frei zugängliche Texte, Töne und Bilder werden systematisch durchsucht, als Trainingsdaten benutzt und eingeordnet. Was Text- und Data-Mining bedeutet, dass nämlich die erdachten Texte, Töne und Bilder als Rohstoffe genutzt und wie im Bergbau durch Maschinen abgebaut werden, wird jetzt deutlich. Erst diese durch Menschen geschaffenen „Rohstoffe“ ermöglichen den Maschinen eigene „Kreationen“. Besonders OpenAI hat in den letzten Monaten durch sein textbasiertes Dialogsystem ChatGPT (Generative Pre-trained Transformer) eine Türe für breite Nutzergruppe in die KI-Welt aufgestoßen. Sie bieten eine Art Super-Gedichtgenerator an.

 

Doch kann trotz der beeindruckenden Rechenleistungen, die die von genannten Unternehmen angebotenen Dialogsysteme bieten, schon von Künstlicher „Intelligenz“ gesprochen werden, oder handelt es sich nicht eher weiterhin um Leistungen von „Maschinenlernen“? Fehlt den Maschinen nicht noch jenes Quäntchen menschlichen Denkens und insbesondere Schöpfens, das den Menschen und seine spezifische Intelligenz auszeichnet? Ich denke dabei an Empathie, soziales Gewissen oder einen moralischen Kompass.

 

Aber auch wenn noch nicht von Künstlicher Intelligenz im Sinne von wirklicher Intelligenz gesprochen werden kann, sind die Einsatzmöglichkeiten von Maschinenlernen im Kultur- und Mediensektor beeindruckend, etwa bei der Verarbeitung großer Textmengen, um beispielsweise Konvolute aus Archiven oder Bibliotheken systematisch zu durchsuchen, sie mit Blick auf zuvor angegebene Parameter zu vergleichen und schließlich eine umfassende Ergebnisliste zu erstellen. Alle, die sich noch erinnern, in Zettelkästen von Bibliotheken nach Literatur zu recherchieren, werden ermessen können, welch immense Arbeitserleichterung in der Recherche Maschinenlernen bedeutet. Dies heißt aber nicht, dass die Einordnung und Bewertung der Rechercheergebnisse durch Menschen überflüssig werden. Im Gegenteil, der Mensch wird von repetitiven Aufgaben entlastet und kann sich der Interpretation widmen.

 

Maschinenlernen findet bereits im Marketing z. B. in Verlagen Anwendung. Manuskripte werden mithilfe von Maschinen danach durchgesehen, ob sie Bestseller-Potenzial haben. Diese Angaben können bei der Planung von Auflagen hilfreich sein, obwohl auch hier der Unsicherheitsfaktor Mensch bleibt. Bücher, die so gar nicht den Anforderungen eines Bestsellers entsprechen, können dennoch einen Überraschungserfolg für sich verbuchen, ebenso können solche, denen Bestseller-Potenzial attestiert wird, sich als „Flop“ erweisen, weil die Leserschaft nicht immer mehr des immer gleichen präsentiert haben möchte. Ähnliches gilt für die Prüfung von Drehbüchern oder auch die Marketingmaßnahmen von Filmen. Der Mensch, sein Geschmack und sein Urteilsvermögen bleiben nach wie vor ein unberechenbarer Faktor.

 

Wichtige Einsatzbereiche für Maschinenlernen oder KI sind bereits jetzt und werden es zunehmend mehr beispielweise das Lektorat, die Komposition von sogenannter Gebrauchsmusik oder auch Gebrauchsgrafik. Entsprechend trainierte Maschinen beherrschen Grammatik und Rechtschreibung und ersetzen daher zumindest mit Blick auf das Korrektorat bereits heute vielfach Lektorinnen und Lektoren. Aber auch bei der Gebrauchsmusik oder -grafik, an die keine so hohen Anforderungen an die künstlerische Originalität gelegt werden, wird bereits durch Maschinen unterstützt. Und im Sportjournalismus ist der Einsatz von KI-Schreibprogrammen längst Usus.

 

Maschinenlernen und KI werden massive Auswirkungen auf den Kultur- und Mediensektor haben. Sie bieten große Potenziale insbesondere in der Wissenschaft. Sie haben Risiken für Menschen, die in Kulturunternehmen oder Kultureinrichtungen arbeiten, Arbeitsplätze werden wegfallen, Tätigkeiten von Maschinen statt Menschen übernommen werden. Aber auch an den Soloselbstständigen aus dem Kultur- und Mediensektor wird die Entwicklung nicht spurlos vorbeigehen. Insbesondere wenn bedacht wird, dass Werke, die durch Künstliche Intelligenz geschaffen werden, urheberrechtlich nicht geschützt sind, da der Urheberrechtsschutz die menschliche Schöpfung voraussetzt. Dies könnte zu einer neuen Konkurrenzsituation beispielsweise zwischen GEMA-freier von KI geschaffener Musik und geschützter Musik von Komponistinnen und Komponisten führen.

 

KI ist eine weitere, immense Herausforderung für den Kultur- und Mediensektor. Ihr Einsatz wird nicht aufzuhalten sein. Es gilt allerdings, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Menschen, Einrichtungen und Unternehmen, die in diesem Bereich arbeiten, weiterhin ihr Geld damit verdienen können.

 

Die KI ist ein mächtiges Instrumentarium, es kann ein Segen sein oder ein

Fluch. Wir müssen sicherstellen, dass KI den Menschen nützt und nicht schadet. Wir haben es noch in der Hand, die Richtung zu bestimmen.

In der neuen Ausgabe von Politik & Kultur (Seite 17 – 28) fragen wir im Schwerpunkt, welche Rolle KI für die Kultur spielt? 17 Autorinnen und Autoren geben Antworten.

 

Der kulturpolitische Wochenreport erscheint wegen dem morgigen Feiertag schon heute. Der nächste kulturpolitische Wochenreport erscheint dann wieder regulär am Freitag, den 14. April.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Oster- oder Pessachfest und einige Tage Erholung.

 

Ihr

 

Olaf Zimmermann

Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 


 

2. Schwerpunkt in Politik & Kultur: Künstliche Intelligenz & Kultur

 

ChatGPT, DeepL oder Stable Diffusion sind gerade in aller Munde: Doch was ist Künstliche Intelligenz, kurz KI? Wie findet sie bereits Anwendung in den einzelnen Sparten des Kulturbereiches? Welche Zukunftsprognosen gibt es? Was gilt es – auch im Urheberrecht – nun zu tun? Der Schwerpunkt widmet sich diesen Fragen und mehr.

 

Alle Beiträge des Schwerpunkts:

 



3. Neuerscheinung: „Mein kulturpolitisches Pflichtenheft“

 

Vergangenen Freitag wurde mein neues Buch „Mein kulturpolitischen Pflichtenheft“ von Prof. Christian Höppner, Präsident des Deutschen Kulturrates, im Deutschen Theater vorgestellt.

 

Im Anschluss an die Vorstellung durfte ich mit Katrin Budde, MdB, Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages, und Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters, im Deutschen Theater über das Buch diskutieren – moderiert von Jürgen König.

 

Mehr zum Buch:

 

  • Olaf Zimmermann, Mein kulturpolitisches Pflichtenheft, 978-3-947308-38-5, 216 Seiten.
  • Bestellen Sie „Mein kulturpolitisches Pflichtenheft“ für 19,80 Euro hierNatürlich können Sie das Buch auch über jede Buchhandlung beziehen.
  • Hier geht es zur Buchvorschau.

 

PS. Am Freitag, den 28. April wird mein Buch auf der Leipziger Buchmesse „Forum Sachbuch“ in Halle 2 um 11.30 Uhr vorgestellt.

 


 

4. Mehr zu Politik & Kultur 4/23

 

Weitere Themen:

 

  • Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
    Der Kulturauftrag als wesentliches Element der Rundfunkreform
  • Kulturförderung
    Die öffentliche Kulturförderung ist in den letzten zehn Jahren um 50 Prozent angestiegen. Welcher weiterer Investitionen bedarf es trotzdem?
  • Israel
    Wo steht die einzige Demokratie im Nahen Osten im Frühjahr 2023? Wie positionieren sich Kunst, Kultur und Wissenschaft?
  • Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
    Wie stellt sich die AKBP nach der Zeitenwende auf? Welche Rolle spielen die Mittlerorganisationen? Wie ist es um deren Finanzlage bestellt

 

Außerdem: CDU-Kulturpolitik im Wandel, Kulturstadt Leipzig, Umgang mit Objekten in Museumssammlungen, Weltkulturen Museum Frankfurt am Main, Jüdische Existenz in Deutschland, Präsentismus, Resilienz durch Kultur stärken, Leben im deutschen Exil: Schriftsteller Francisco Suniaga, Ferdos Forudastan im Porträt, Novellierung der Filmförderung uvm.

 

 


 

 

5. Veranstaltungshinweis Donnerstag, 11. Mai 2023

 

Im Rahmen der Konferenz „Von der Kunstfreiheit gedeckt?“ Aktuelle Herausforderungen im Umgang mit Antisemitismus in Kunst und Kultur in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz diskutieren im Abschlusspanel:

 

    • Andreas Görgen, Amtschef beim BKM,
    • Katja Lucker, Musicboard Berlin GmbH,
    • Stella Leder, Institut für Neue Soziale Plastik e.V.).
    • Olaf Zimmermann, Deutscher Kulturrat

 

  • Hier finden Sie mehr zur Veranstaltung
  • Hier können Sie sich anmelden

 


 

6. Poetry-Slam-Wettbewerb: „Slammt Tacheles! Poetry-Slam zum jüdischen Leben in Deutschland“

 

Kulturstaatsministerin Claudia Roth, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus Dr. Felix Klein, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Dr. Josef Schuster sowie Olaf Zimmermann als Sprecher der Initiative kulturelle Integration haben am 27. März 2023 einen bundesweiten Poetry-Slam-Wettbewerb mit dem Titel „Slammt Tacheles! Poetry-Slam zum jüdischen Leben in Deutschland“ ausgelobt.

 

Im vierten Jahr nach dem antisemitischen Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 laden die Initiatoren alle in Deutschland lebenden Menschen ein, sich mit Spoken-Word-Performances der jüdischen Kultur, dem Leben und Alltag jüdischer Bürgerinnen und Bürger als festem Teil unserer Gesellschaft zu befassen.

 

  • Weitere Informationen finden Sie hier.

 


 

6. Text der Woche: Georgien – „Die vergessene Mitte der Welt“ von Klaus-Dieter Lehmann

 

„Georgien ist ein Land an der Nahtstelle oder Bruchstelle von Orient und Okzident, ein Land mit einer reichen und langen Geschichte. Das antike Königreich Kolchis auf dem Gebiet des heutigen Georgiens war so bekannt wie Korinth oder Delphi. Schon im frühen Mittelalter bekannte sich Georgien zum Christentum. Die Einheit Georgiens wurde befestigt durch die Künste, insbesondere Malerei, Musik, Literatur und Architektur. Wechselnde Machteinflüsse konnten bis in die Moderne Georgiens kulturelle Eigenständigkeit nicht zerstören. Erst unter der Herrschaft der Sowjetunion im 20. Jahrhundert wurden Georgiens Kultur massiv unterdrückt, Künstler verfolgt und Institutionen zerstört. Mit dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeit Georgiens 1991 setzte dann eine kulturelle Wiedererweckung ein.“

 

Klaus-Dieter Lehmann ist Kulturmittler. Er war Präsident des Goethe-Instituts und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sowie Generaldirektor der Deutschen Bibliothek.

 


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