6. Mai 2013 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Positionen / TTIP

Kulturelle Ausnahme ist bei geplantem Freihandelsabkommen zwischen EU und USA unverzichtbar


Berlin, den 06.05.2013. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, fordert, dass beim geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership TTIP) der Kultur- und Mediensektor ausgenommen wird. Diese Ausnahme muss aus Sicht des Deutschen Kulturrates bereits in der Stellungnahme Deutschlands zum Verhandlungsmandat der EU unmissverständlich fixiert werden. Ebenso fordert der Deutsche Kulturrat, dass sich die Vertreter Deutschlands im EU-Handelsministerrat dafür stark machen, Kultur und audiovisuelle Dienste, einschließlich audiovisueller online-Dienste, von den Verhandlungen auszunehmen. Diese Ausnahme muss angesichts der rasanten Konvergenzentwicklungen im Medienbereich entwicklungsdynamisch formuliert werden, d.h. nicht nur bestehende audiovisuelle Mediendienste müssen davon erfasst werden können, sondern auch solche, die künftig entwickelt werden.

 

Kultur ist Kern der Gemeinschaft der Europäischen Union, so wurde es in der Charta der Grundrechte der EU festgeschrieben. Hier steht: „Die Union trägt zur Erhaltung und zur Entwicklung dieser gemeinsamen Werte unter Achtung der Vielfalt der Kulturen und Traditionen der Völker Europas sowie der nationalen Identität der Mitgliedstaaten und der Organisation ihrer staatlichen Gewalt auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene bei.“ Diese Festlegung ist auch für Wirtschaftsverhandlungen bindend.

 

Kulturgüter und -dienstleistungen haben einen besonderen, doppelten Charakter. Sie sind einerseits Wirtschaftsgüter und andererseits Träger von kultureller Identität und kulturellen Werten. Kulturgüter und -dienstleistungen werden von erwerbswirtschaftlichen Unternehmen, von öffentlich geförderten Institutionen, von durch Gebühren finanzierten Einrichtungen sowie durch Kultureinrichtungen in Trägerschaft der öffentlichen Hand erbracht. Dabei bestehen innerhalb des Kultursektors, zu dem auch der Bereich der audiovisuellen Medien gehört, zahlreiche Verschränkungen.

 

Der Deutsche Kulturrat hat sich angesichts der wachsenden weltwirtschaftlichen Verflechtung auch im Kultur- und Mediensektor für die Erarbeitung und rasche Ratifizierung der »UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen« eingesetzt, die sowohl von Deutschland als auch der EU im Jahr 2007 ratifiziert wurde und daher geltendes Recht ist. Diese UNESCO-Konvention zielt insbesondere darauf ab, die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zu schützen und zu fördern. Durch die Unterzeichnung haben sich die Staaten und damit auch die EU verpflichtet, die in diesem Zusammenhang erforderlichen Maßnahmen zum Erhalt, zur Förderung und dem Ausbau des Kultur- und Mediensektors zu ergreifen. Die »UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen« bezieht sich nicht allein auf die bestehenden Verbreitungsformen von Kunst, Kultur und Medien, sondern schließt neue Verbreitungsformen ein. Die Vertragsparteien haben mit ihrer Unterzeichnung anerkannt, ihre Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen zu erfüllen und das Übereinkommen anderen Verträgen nicht unterzuordnen.

 

Der Deutsche Kulturrat geht daher davon aus, dass sowohl Deutschland als auch die EU ihre Selbstverpflichtungen aus der »UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen«, die ausdrücklich auch neue, also digitale Verbreitungsformen, umfasst, bei der Erarbeitung des Verhandlungsmandats und den Folgeverhandlungen erfüllen, auch wenn die USA die UNESCO-Konvention nicht ratifiziert haben. Das bestehende hohe Schutzniveau für den Kultur- und Medienbereich der EU darf nicht zu Gunsten der USA verringert werden. Deshalb ist es unabdingbar, bereits jetzt im Verhandlungsmandat zu fixieren, dass der Kultur- und Mediensektor ausgenommen werden.

 

Der Deutsche Kulturrat sieht, dass das geplante Freihandelsabkommen sehr große Chancen für die weitere weltwirtschaftliche Verflechtung und Wirtschaftswachstum der beteiligten Staaten bietet. Nahezu 50% des weltweiten Handels werden in der dann entstehenden Freihandelszone erwirtschaftet. Auch in einzelnen Ingenieurbranchen mit kulturellem Bezug besteht die Hoffnung, durch das geplante Freihandelsabkommen die Marktchancen in den USA zu verbessern.

 

Der Deutsche Kulturrat ist aber der Überzeugung, dass Kultur und Medien einen so hohen Stellenwert für die Gesellschaft haben, dass ihr Schutz und ihre Förderung Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen haben müssen, zumal Kultur und Medien selbst wichtige Motoren für wirtschaftliches Wachstum sind. Sowohl Deutschland als auch die EU haben daher in den letzten Jahren vermehrte Anstrengungen unternommen, um die Kultur- und Kreativwirtschaft, einschließlich der Medienwirtschaft, als Zukunftsbranche zu unterstützen. Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und der europäischen Kultur- und Medienproduktion sind gezielte Fördermaßnahmen wie beispielweise die Filmförderung, die Buchpreisbindung oder der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Kulturgüter. Sie dürfen nicht zur Disposition gestellt werden.

 

Mit Blick auf die anstehende Erarbeitung des Verhandlungsmandats fordert der Deutsche Kulturrat:

 

  • Transparenz bei den Verhandlungen des geplanten Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA, dazu gehört auch die Offenlegung des Verhandlungsmandats und der Verhandlungstexte,
  • Beteiligung des Deutschen Bundestags vor der Erteilung des Verhandlungsmandats, um dieses Mandat demokratisch zu legitimieren,
  • Information und Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Organisationen bei der Vorbereitung des Verhandlungsmandats sowie den anschließenden Verhandlungen.

 

Für die weiteren Verhandlungen sind folgende Grundsätze für unverzichtbar:

 

Erhalt und Weiterentwicklung von Förderinstrumenten
Die bestehenden Förderinstrumente auf europäischer und nationaler Ebene für den Kultur- und Mediensektor dürfen durch das Freihandelsabkommen nicht angetastet werden. Das gilt für die Förderinstrumente im erwerbswirtschaftlichen wie im nicht-gewinnorientierten Sektor. Diese Förderinstrumente müssen weiterhin zielgerichtet für europäische oder nationale Unternehmen und Institutionen eingesetzt werden können. Die Ausnahme darf sich nicht allein auf die bestehenden Förderinstrumente beziehen, sondern muss neue, noch entstehende Förderinstrumente erlauben, um zukunftsfähig zu sein. Zu den Förderinstrumenten zählen sowohl direkte Unterstützungsmaßnahmen wie beispielsweise die Filmförderung als auch indirekte Fördermaßnahmen wie die Buchpreisbindung oder der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Kulturgüter. Sowohl direkte als auch indirekte Fördermaßnahmen müssen weiterentwickelt werden können, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Kultur- und Medienproduktion zu gewährleisten.

 

Sicherung von digitalen Zukunftschancen

Ausnahmeregelungen für den Kultur- und Mediensektor dürfen nicht auf bestehende audiovisuelle Dienste und deren Verbreitung eingeengt werden. Die digitale Wirtschaft entwickelt sich in einem enormen Tempo und benötigt attraktive Inhalte, die vom Kultur- und Mediensektor geschaffen werden. Für die Entwicklungsfähigkeit des europäischen Kultur- und Mediensektors ist es von herausragender Bedeutung, dass weiterhin in der EU gemeinschaftliche und mitgliedstaatliche Regulierungsmechanismen zum Schutz und zur Förderung europäischer Inhalte und ihrer Verbreitung möglich sind.

 

Erhalt und Ausbau eines hohen Schutzniveaus für Urheber- und Leistungsschutzrechte
Das europäische Urheberrecht und das US-amerikanische Copyright-System unterscheiden sich grundlegend. Die Grundprinzipien des europäischen Urheberrechts, die den Urheber und seine Persönlichkeit sowie seine ökonomischen Rechte in den Mittelpunkt stellen, sind nicht verhandelbar. Dazu gehört auch das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz, das zum einen die Rechtsaufsicht der Verwertungsgesellschaften regelt und zum anderen die kulturelle und soziale Verantwortung der Verwertungsgesellschaften festlegt. Es darf durch das Freihandelsabkommen kein generelles Inländerprinzip im Urheber- und Leistungsschutzrecht eingeführt werden, ohne gleichzeitig für ein materiell gleich hohes Schutzniveau in den beteiligten Staaten zu sorgen. Darüber hinaus sind Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung anzustreben.

 

Erhalt und Ausbau der sozialen Sicherung
Die bestehenden Arbeitnehmerrechte wie auch die in Deutschland bestehende soziale Absicherung der freiberuflichen Künstler und Publizisten durch das Künstlersozialversicherungsgesetz dürfen durch das Freihandelsabkommen nicht angetastet werden. Unternehmen, die in Deutschland tätig werden, müssen sich an die geltenden europäischen bzw. nationalen Vorschriften halten und dürfen diese nicht unterlaufen.

 

Streitbeilegungsverfahren
Der Deutsche Kulturrat sieht es als erforderlich an, dass Streitbelegungsverfahren nur zwischen Staaten und nicht zwischen Investoren und Staaten im Freihandelsabkommen vereinbart werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass z.B. große US-amerikanische Konzerne der Internetwirtschaft bei vermeintlichen Investitionshemmnissen gegen Staaten klagen. Es würde damit die bestehende Macht dieser Konzerne noch wachsen und zugleich könnten vorhandene Schutzmaßnahmen ausgehöhlt werden.

 

Der Deutsche Kulturrat wird zeitnah weiteres Material im Kontext des Freihandelsabkommens vorlegen.


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