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Positionen

Kultur in Europa: Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020


Berlin, den 01.07.2020. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, fordert die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ab dem 01.07.2020 dazu zu nutzen, sich abseits anstehender spezieller Themen in der europäischen Kultur- und Medienpolitik, wie z. B. der Plattformregulierung, für eine Stärkung von Kultur und Kulturpolitik auf der europäischen Ebene einzusetzen. Der Deutsche Kulturrat sieht das Erfordernis einer umfassenden europäischen Kulturinitiative. Hier sollte die deutsche Ratspräsidentschaft einen entsprechenden Impuls setzen.

 

Der Deutsche Kulturrat spricht in dieser Stellungnahme die europäische Rechtssetzung bewusst nicht an. Zu Fragen des Urheberrechts oder auch der Medienregulierung hat er sich in eigenen Stellungnahmen positioniert, auf die verwiesen wird. Im Folgenden wird vielmehr eine grundsätzliche Positionierung angesprochen.

 

Einheit in Vielfalt

 

„Einheit in Vielfalt“: In diesem Begriff wird die Vielfalt der Kulturen in Europa zusammengeführt. Die kulturelle Vielfalt in Europa ist ein großer Schatz, den es zu bewahren und zu stärken gilt. Die kulturelle Vielfalt findet auch in der Sprachenvielfalt ihren Ausdruck. Zur Kultur in Europa gehört als integraler Bestandteil die migrantische Kultur. Nicht außer Acht zu lassen ist allerdings, dass Kultur sowohl verbinden als auch spalten und Kulturpolitik auch ausgrenzend sein kann.

 

Der Deutsche Kulturrat spricht sich deshalb für eine europäische Kulturpolitik aus, die die verbindende Kraft von Kultur im Blick hat und zugleich Unterschiede schätzt und wahrt.

 

Kultur und Corona

 

Die Corona-Pandemie hat in ganz Europa gezeigt, wie verwundbar wir sind. Kultureinrichtungen mussten schließen, Veranstaltungen konnten nicht stattfinden, Festivals und Messen mussten abgesagt werden und vieles andere mehr. Viele in Kulturberufen Tätige, die ohnehin sehr oft in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen arbeiten und leben, fürchten um ihre Existenz. Gleichfalls ist der Fortbestand von Kultureinrichtungen und Kulturunternehmen gefährdet. Umso unverständlicher ist es, dass in der mittelfristigen Finanzplanung der EU und in NextGenerationEU keine substanziellen Erhöhungen der direkten EU-Kulturförderung geplant sind. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um mit einem mächtigen Kulturförderprogramm die europäische Kulturszene zu unterstützen und damit die europäische kulturelle Zusammenarbeit zu stärken.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert daher die Bundesregierung auf, sich für eine deutliche Erhöhung der EU-Kulturförderung einzusetzen.

 

Europa ist mehr als eine Wirtschaftsunion

 

Die Europäische Union ist mehr als eine Wirtschaftsunion, sie ist eine Wertegemeinschaft. Diese Wertegemeinschaft zeigt sich in einem gemeinsamen Verständnis von Kunst- und Meinungsfreiheit, das in der EU-Grundrechtecharta formuliert und verabschiedet wurde.

 

Der Deutsche Kulturrat sieht mit großer Sorge, dass in einigen Mitgliedstaaten die Kunst- und Meinungsfreiheit eingeschränkt wird. Auf Kultureinrichtungen wird staatlicherseits Druck ausgeübt. Missliebige Künstlerinnen und Künstler verlieren ihre Arbeit. Kultur und Kulturförderung werden verstärkt zur staatlich gelenkten und ausgrenzenden Identitätsbildung benutzt.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert daher die Bundesregierung auf, sich in der Ratspräsidentschaft für die Sicherung der Kunst- und Meinungsfreiheit in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union einzusetzen, bestehende Verstöße bzw. Einschränkungen zu benennen und die Einhaltung der EU-Grundrechtecharta in allen Mitgliedstaaten anzumahnen.

 

Kultur als europäische Gesamtaufgabe

 

Kultur muss eine Gesamt- und Querschnittsaufgabe für die Europäische Union sein. Kultur erschöpft sich eben nicht in der Kulturförderung, der durch das Subsidiaritätsprinzip ohnehin enge Grenzen gesetzt sind. Kulturförderung und -unterstützung finden vielmehr in vielen anderen Politikfeldern statt, beispielsweise der Wettbewerbs- oder der Urheberrechtspolitik. Im Green Deal und in der Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie muss Kultur eine wesentliche Rolle spielen. Richtschnur sollte dabei die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung sein, die den Nachhaltigkeitsdiskurs deutlich erweitert hat. Kultur kann ein Innovationstreiber sein, denn der Weg in eine nachhaltige Gesellschaft ist eine grundlegend kulturelle Frage. Die künstlerischen Disziplinen können Leitbilder für eine nachhaltige Gesellschaft vordenken. Darüber hinaus gehen von der Kultur- und Kreativwirtschaft originäre Ideen und Konzepte für nachhaltige Produkte und Produktionsweisen aus.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert daher, dass der in den Europäischen Verträgen verankerten Kulturverträglichkeitsprüfung ein höherer Stellenwert beigemessen wird. Er richtet an die Bundesregierung die Forderung, sich für eine verbindliche Umsetzung der Kulturverträglichkeitsprüfung stark zu machen und sich für ein stärkeres Gewicht der Kulturpolitik auf allen Ebenen der europäischen Politik einzusetzen. Der Deutsche Kulturrat begrüßt, dass die Bundesregierung eine Ratsschlussfolgerung zur Geschlechtergerechtigkeit auf den Weg bringen will.

 

Europäische Kulturpolitik in der Welt

 

Die Kulturpolitik in Europa und die globale Kulturpolitik müssen stärker verzahnt werden. Das gilt mit Blick auf die deutsche Kulturpolitik gegenüber der EU ebenso wie für die europäische Kulturpolitik und die europäische Kulturaußenpolitik. Die europäische Kulturpolitik muss in einem internationalen Kontext gesehen werden; dabei gilt es die Nachbarstaaten der EU stärker in den Blick zu nehmen.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert daher die Bundesregierung auf, in der anstehenden Ratspräsidentschaft die friedensstiftende Wirkung von Kultur hervorzuheben. Die UNESCO-Konvention Kulturelle Vielfalt muss mit Leben erfüllt und als Richtschnur des kulturpolitischen Wirkens angewendet werden.

 

Zivilgesellschaft stärkt Europa

 

Die Demokratie lebt von einer lebendigen und unabhängigen Zivilgesellschaft. Der Zusammenschluss von Bürgerinnen und Bürgern in Bewegungen, Organisationen und Institutionen, die selbstermächtigt und unabhängig von staatlicher Einflussnahme agieren und sich zu gesellschaftlichen und politischen Fragen positionieren, ist ein wesentlicher Teil der europäischen Wertegemeinschaft. Hierzu zählen selbstverständlich auch kulturelle Organisationen.

 

Mit Sorge sieht der Deutsche Kulturrat, dass in einigen Mitgliedstaaten die Rechte zivilgesellschaftlicher Organisationen beschnitten werden. Dies war bislang vor allem in osteuropäischen Ländern zu beobachten. Nun erreicht das Phänomen der Einschränkung der Zivilgesellschaft auch Westeuropa.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert die Bundesregierung auf, in der Ratspräsidentschaft den Dialog mit der Zivilgesellschaft zu stärken und sich für eine bessere Verzahnung von europäischer und nationaler Zivilgesellschaft einzusetzen. Die bestehenden Instrumente wie die offene Methode der Koordinierung und der strukturierte Dialog sind dringend verbesserungsbedürftig. Dazu gehört mehr Transparenz bei der Besetzung der Arbeitsgruppen der offenen Methode der Koordinierung und eine stärkere Sichtbarkeit des strukturierten Dialogs. Dabei geht es vor allem darum, die Expertise nationaler zivilgesellschaftlicher Organisationen stärker einzubeziehen.


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