13. Oktober 2009 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Positionen

„Kultur ein Leben lang“


Stellungnahme des Deutschen Kulturrates und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen

Präambel
Das Bild der älteren Generationen hat sich in den vergangenen Jahren positiv verändert. Spätestens seit dem 5. Altenbericht der Bundesregierung „Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft“ aus dem Jahr 2006 ist deutlich geworden, dass ältere Menschen auch nach ihrer Erwerbstätigkeit gesellschaftliche, soziale und kulturelle Aufgaben wahrnehmen. Dabei sind sie nicht nur Vermittler von Traditionen und Erfahrungen, sondern auch innovative und kreative Vordenker für zukünftige gesellschaftliche Aufgaben.

 

Aufgrund der steigenden Lebenserwartung ist die Generation der Älteren in unserer Gesellschaft sehr heterogen, weshalb nicht von der älteren Generation gesprochen werden kann. Viele sind körperlich aktiv und mobil, andere wiederum sind aufgrund gesundheitlicher Probleme an ihr näheres Umfeld gebunden. Eine große Anzahl ist zurzeit finanziell gut abgesichert, allerdings wächst die Gruppe derjenigen, die aufgrund langer Phasen von Arbeitslosigkeit oder anders bedingter Lücken in ihrer Erwerbsbiografie nur eine geringe Rente erhalten werden.

 

Bildung und Kultur sind nicht nur in jungen Lebensjahren von großer Bedeutung, sondern gerade auch im Alter. Das Produzieren und Rezipieren von Kultur fördert das Interesse an Politik, am gemeinschaftlichen und generationenübergreifenden Zusammenwirken sowie die Offenheit gegenüber neuen Medien und Technologien. Zudem ist erwiesen, dass sich kulturelle Aktivitäten positiv auf den Gesundheitszustand auswirken und bis ins hohe Lebensalter gesellschaftliche Teilhabe und Lebensfreude ermöglichen können.

 

Ältere Menschen sind nicht nur Konsumenten von Kulturangeboten, sondern werden verstärkt auch selbst künstlerisch oder kreativ aktiv und wirken als Vermittler. Insbesondere die kulturellen Erfahrungen von älteren Menschen beinhalten dafür wichtige Impulse. Durch eine solche Altenkulturarbeit werden neue Inhalte und Debatten in den öffentlichen Raum getragen wie z. B.: Thematisierung des Älterwerdens, Chancen des Alters sowie Stellungnahmen zu gesellschaftlichen Themen wie Zeitgeschichte oder das Leben in der Gegenwart.

 

Der Deutsche Kulturrat und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen möchten mit dieser Stellungnahme auf die Situation der Altenkulturarbeit eingehen und Perspektiven für eine aktive „Kultur im Alter“ entwickeln.

 

Im Deutschen Kulturrat sind Verbände der Künstler, der Kultureinrichtungen, der Kulturwirtschaft, der Kulturvermittlung sowie der Laienkultur zusammengeschlossen. Die Mitglieder des Deutschen Kulturrates repräsentieren somit die Anbieter von Kulturangeboten, Kulturvermittler und -produzenten in allen künstlerischen Sparten.

 

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) tritt als Lobby der Älteren in Deutschland dafür ein, dass jedem Menschen ein selbstbestimmtes Leben im Alter möglich ist und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Darüber hinaus fordert sie, dass die älteren Generationen die Chance erhalten, sich aktiv am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen.

 

1. Kulturelle Bildung ein Leben lang
Kulturelle Bildung betrifft alle Generationen. Nicht nur in Kindheit und Jugend, sondern gerade auch im Alter eröffnen kulturelle Teilhabe und eigenschöpferische künstlerische Aktivitäten die Chance, sich persönlich weiterzuentwickeln und nach Ende der Familien- und Berufsphase etwas zu tun, was jenseits von beruflicher Verwertbarkeit Sinn und Freude macht.

 

Durch kulturelle Bildung werden Menschen an Kunst und Kultur herangeführt und zu einer intensiveren Beschäftigung mit einem künstlerisch-kulturellen Thema angeregt. Sie werden so zu aktiven Kulturausübenden oder auch zu kompetenten Rezipienten.

 

Aktive Kulturnutzung ist – auch und gerade im Alter – Schlüssel zu sozialer Integration und Beteiligung und hilft, Lebensqualität zu erhalten und soziale Netze zu knüpfen. Das Alter konfrontiert uns mit einer Vielzahl von Veränderungen und biografischen Wendepunkten und erfordert große Anpassungsprozesse. Für eine sinnvolle Gestaltung des nachberuflichen Lebens sind neue Integrationsleistungen und veränderte Handlungsstrategien erforderlich. Kunst und Kultur können dazu beitragen, diese Veränderungsprozesse, Fragestellungen, Emotionen und Widersprüche zu thematisieren. Zudem sind sie gute Mittel im Dialog der Generationen.

 

Der Bildungs- und Kulturbereich ist daher neben dem Gesundheits- und Sozialbereich in besonderer Weise gefordert zu zeigen, wie der gesellschaftliche Zuwachs an Lebenszeit positiv gestaltet werden kann.

 

Möglichst vielen Menschen auch im Alter kulturelle Teilhabe zu ermöglichen, stellt eine Zukunftsaufgabe dar. Hier besteht bildungs- und kulturpolitischer Handlungsbedarf. Gerade in der kulturellen Erwachsenen- und Altersbildung gibt es einen großen Nachholbedarf bei Angeboten für Erwachsene, der im Zuge des demografischen Wandels gravierender wird, wie die Enquete-Kommission des Bundestags „Kultur in Deutschland“ konstatiert. Kulturelle Bildung im Alter muss daher politisch und finanziell gestärkt werden.

 

Inzwischen entwickeln viele klassische Kultureinrichtungen, wie Museen, Theater, Opernhäuser, Kirchen oder Bibliotheken, spezifische Angebote, die die Interessen älterer Menschen berücksichtigen. Kultur wird aber nicht nur für ältere Menschen gemacht, sondern viele Ältere sind auch aktive Kulturproduzenten. Sie spielen Theater, singen in Chören, musizieren in Orchestern, filmen, tanzen, malen und schreiben und stellen ihre Kunst aus. Dies tun sie nicht nur in sogenannten Altenkulturgruppen, sondern oft auch in generationenübergreifenden Zusammenhängen.

 

Viele Ältere haben sich ein Leben lang mit Kunst und Kultur entweder rezeptiv oder produktiv beschäftigt, andere kommen erst im Seniorenalter dazu, kulturelle Angebote aktiv wahrzunehmen. Zudem ergaben die Umfragen des Zentrums für Kulturforschung, dass die Kulturinteressen der älteren Generationen sehr differenziert sind. So gehen beispielsweise viele60-Jährige genauso gern in Rockkonzerte oder Musicals wie Jüngere, während andere treue Opernbesucher sind.

 

Auch das Verhältnis zu Gruppenaktivitäten ist bei vielen Älteren – wie auch bei Jüngeren – sehr heterogen. So ziehen es einige vor, unter sich zu bleiben und mit Gleichaltrigen Kunst und Kultur zu erleben und zu produzieren, andere wiederum sind gerade daran interessiert, generationenübergreifend zu agieren und damit neue Kontakte auch zu Jüngeren herzustellen.

 

Für Kultureinrichtungen ist es ein Gewinn, auf die heterogene Gruppe der älteren Menschen mit differenzierten Angeboten zu reagieren, die sie gezielt ansprechen und aktiv teilhaben lassen.

 

2. Bürgerschaftliches Engagement älterer Menschen in Kunst und Kultur
Wie die beiden Freiwilligensurveys 1999 und 2004 belegt haben, sind immer mehr Ältere bereit, sich bürgerschaftlich zu engagieren. Insbesondere der Kulturbereich ist für viele ein interessantes nachberufliches Tätigkeitsfeld; Ältere engagieren sich beispielsweise als Lesepaten, in Museen, in kulturellen Fördervereinen oder in Bibliotheken.

 

Bürgerschaftliches Engagement braucht eine Anerkennungskultur, die dieses Handeln für das Gemeinwohl wertschätzt und würdigt. Zudem muss deutlich gemacht werden, dass es sich bei den freiwilligen Leistungen um einen Zusatz handelt, der hauptamtliche Strukturen nicht ersetzen darf. Bürgerschaftlich Engagierte sollten außerdem in ihren Tätigkeitsfeldern qualifiziert weitergebildet und die hauptamtlichen Mitarbeiter müssen dahingehend geschult werden, das Engagement der Freiwilligen in ihre alltägliche Arbeit gewinnbringend zu integrieren.

 

3. Ältere als Kulturkonsumenten
Aufgrund der Tatsache, dass viele ältere Menschen länger mobil sind, werden für sie Kulturreisen immer attraktiver. So unterbreiten viele Reiseveranstalter, aber auch zunehmend Kommunen und Regionen konkrete Angebote für die älteren Generationen. In vielen Städten und Gemeinden werden besondere Angebote für Menschen im Vorruhe- und Ruhestand entwickelt, die in Kooperation mit Seniorenorganisationen vor Ort umgesetzt werden. Mit dem Wahrnehmen dieser Angebote leisten ältere Menschen einen wichtigen Beitrag für das Wachstum eines Kulturstandortes und sichern somit das Fortbestehen zahlreicher Kultureinrichtungen und Kulturangebote.

 

4. Kulturangebote für alle
Der Zugang zu Bildungs- und Kulturangeboten muss für alle Generationen gewährleistet werden. Das bedeutet auch, dass auf die unterschiedlichen Zielgruppen, auf ihre Interessen und Bedürfnisse differenziert eingegangen werden muss. Dies gilt insbesondere für ältere Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, sowie für ältere Migrantinnen und Migranten, die in den nächsten Jahren zahlenmäßig zunehmen werden und die bisher von vielen Kultureinrichtungen eher selten angesprochen werden.

 

5. Was ist zu tun?
Die Empfehlungen und Forderungen des Deutschen Kulturrates und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen richten sich an ihre Mitgliedsverbände, aber auch an die Politik.

 

Der Deutsche Kulturrat und die Bundesarbeitgemeinschaft der Senioren-Organisationen empfehlen:

  • Verbänden und Kultureinrichtungen, vermehrt Angebote im Bereich der Altenkulturarbeit zu entwickeln und Möglichkeiten für Ältere zu schaffen, künstlerisch aktiv zu werden
  • den Seniorenvertreterinnen und -vertretern in den Kommunen, das Thema Altenkultur in ihre Aktionsprogramme aufzunehmen
  • eine stärkere Vernetzung der Anbieter auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene, um Interessen zu identifizieren und über Angebote und erfolgreiche Modellprojekte zu informieren
  • den Abbau von Zugangsbarrieren. Damit sind nicht nur finanzielle oder bauliche Barrieren wie zum Beispiel fehlende Rampen und Fahrstühle, schlecht lesbare Programme oder fehlende Induktionsschleifen für Hörbehinderte gemeint, sondern auch geistige Hemmschwellen, durch die die Potenziale der älteren Generationen nicht wahrgenommen werden. Zur Barrierefreiheit gehören auch die Fragen,
    • wie neue Besucher willkommen geheißen werden
    • wie auf Vielfalt eingegangen wird
    • inwiefern unterschiedliche Interessen bei der Auswahl der Angebote berücksichtigt werden
    • inwiefern die Angebote auch ohne Vorwissen der Älteren ansprechend und verständlich sind
    • ob unterschiedliche Lernformen in der Vermittlung berücksichtigt werden
    • ob die Eintrittspreise gerechtfertigt sind und ob es auch Veranstaltungen gibt, an denen kostenlos teilgenommen werden kann.

 

Der Deutsche Kulturrat und die Bundesarbeitgemeinschaft der Senioren-Organisationen fordern:

  • die Stärkung des Bewusstseins für die Altenkultur sowie die Notwendigkeit einer öffentlichen Förderung der Altenkultur in der Politik
  • die Gleichstellung der Altenkulturarbeit und der kulturellen Kinder- und Jugendbildung in den Ländern
  • Verstärkung intergenerationeller Angebote für jüngere und ältere Menschen
  • den Ausbau vorhandener Strukturen mit dem Ziel, eine breite Basis zu erreichen
  • eine langfristige Förderung der Altenkulturarbeit durch den Bundesaltenplan, die der demografischen Entwicklung entspricht
  • die Öffnung der Altenkulturarbeit für ältere Migrantinnen und Migranten und ihre kulturellen Interessen, Bedürfnisse und Erfahrungen
  • niedrigschwellige Angebote, die auch Menschen ohne Vorkenntnisse im Feld der Kulturproduktion oder Kulturrezeption Zugänge zur kulturellen Bildung eröffnen
  • vermehrt mobile Angebote wie Medienbusse und „Kulturkoffer“ für körperlich eingeschränkte ältere Menschen, die es ihnen erlauben, auch in ihrer nächsten Umgebung an kulturellen Aktivitäten teilzunehmen
  • für finanziell weniger gut gestellte Ältere einen Kulturpass, der zum vergünstigten oder kostenlosen Theater- oder Opernbesuch berechtigt.

 

Dafür ist es sinnvoll, wenn die Zuständigkeiten für die Altenkulturarbeit verstärkt ressortübergreifend erfolgen. Die zuständigen Ressorts sind insbesondere Familie, Soziales, Bildung und Kultur.

 

Der Deutsche Kulturrat und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen werden gemeinsam eine Handreichung für den barrierefreien Zugang zu Kulturangeboten für Kultur- und Seniorenverbände erstellen.


Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat

Adresse: https://www.kulturrat.de/positionen/kultur-ein-leben-lang/