24. September 2014 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Positionen

EU-Grundrechtecharta mit Leben erfüllen: Resolution


Sechs Forderungen an das Europäische Parlament anlässlich der Neubesetzung der EU-Kommission

Berlin, den 24.09.2014. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, hat sich in seiner Sprecherratssitzung mit den anstehenden Anhörungen und Befragungen der designierten EU-Kommissare im Europäischen Parlament befasst. Die neu zu bestellende EU-Kommission wird in den kommenden fünf Jahren neben dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament entscheidend den weiteren Integrationsprozess innerhalb Europas sowie das Handeln Europas gegenüber Drittstaaten prägen.

 

Im Jahr 2014 erinnern wir in Europa an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren und den Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren. Dieses Erinnern ist zugleich eine Verpflichtung für die Zukunft. Das friedliche Zusammenleben in Europa muss immer wieder neu mit Leben gefüllt werden und bedeutet eine Verantwortung für das Zusammenleben mit den Nachbarn.

 

In der »Charta der Grundrechte der Europäischen Union« (EU-Grundrechtecharta) haben die unterzeichnenden Staaten die Grundwerte der Europäischen Union beschrieben. Zu diesen Grundwerten gehören neben der Würde des Menschen, der Freiheit, Gleichheit und Solidarität auch die Erhaltung und Entwicklung der kulturellen Vielfalt, das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Medienfreiheit und -pluralität, der Schutz geistigen Eigentums sowie die Kunst- und Forschungsfreiheit.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert die Mitglieder des Europäischen Parlaments auf, die designierten EU-Kommissarinnen und EU-Kommissare auf die EU-Grundrechtecharta zu verpflichten und mit Blick auf deren Arbeitsprogramme die Umsetzung einzufordern.

 

Im Einzelnen fordert der Deutsche Kulturrat die Mitglieder des Europäischen Parlaments auf:

 

1. Kulturelle Vielfalt zur Richtschnur kulturpolitischen Handelns machen

Der Erhalt, die Stärkung und die Weiterentwicklung der kulturellen Vielfalt muss die Richtschnur kulturpolitischen Handelns auf europäischer und internationaler Ebene sein. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verfügen über eine bemerkenswerte kulturelle Vielfalt, die über Jahrhunderte gewachsen ist, sich kontinuierlich verändert, im zeitgenössischen künstlerischen Schaffen und durch Angebote der kulturellen Bildung weiterentwickelt wird. Diese kulturelle Vielfalt muss gesichert und ausgebaut werden. Das gilt insbesondere in Krisenzeiten, wenn gravierende Einschnitte in die kulturelle Substanz vorgenommen werden. Der Deutsche Kulturrat appelliert daher nachdrücklich an das Europäische Parlament, die designierten EU-Kommissare zu befragen, wie sie die von der Europäischen Union ratifizierte „UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ (Konvention Kulturelle Vielfalt) umsetzen wollen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf internationale Handelsabkommen. Der Deutsche Kulturrat unterstreicht, dass die Umsetzung der Konvention Kulturelle Vielfalt eine Aufgabe aller Ressorts der neuen EU-Kommission ist.

 

2. Kunst-, Medien- und Pressefreiheit sichern

Die Kunst-, Medien- und Pressefreiheit gehören zu den zentralen Grundwerten demokratischer Staaten. In der EU-Grundrechtecharta haben sie daher einen wichtigen Stellenwert. Demokratische Gemeinwesen leben vom gesellschaftlichen Diskurs, der sich in den Medien spiegeln muss und denen freie, unabhängige Medien ein Forum bieten müssen. Die Kunstfreiheit wurde in Europa mühsam erkämpft. Kunstfreiheit bezieht sich auf das künstlerische Schaffen und die öffentliche oder private Förderung künstlerischer Produktionen. Der Deutsche Kulturrat fordert die Abgeordneten des Europäischen Parlaments auf, die designierten EU-Kommissare zu befragen, wie sie die Kunst-, Presse- und Medienfreiheit sichern wollen und welche Maßnahmen sie ergreifen wollen, wenn ein Mitgliedstaat gegen die Einhaltung dieser Grundwerte verstößt.

 

3. Urheber in Digitalisierungsdiskussion in den Mittelpunkt rücken

Die Digitalisierung ist ein Epochenumbruch in mannigfacher Hinsicht. Tradierte Vorstellungen über das Verhältnis von Künstlern, von Vermittlern und von Nutzern gelten nicht mehr in gleichem Maße wie in der analogen Welt. Umso mehr gilt es zu unterstreichen, dass das Internet eine technische Infrastruktur mit der Möglichkeit der Teilhabe an Kunst und Kultur sowie der Verbreitung künstlerischer Werke ist. Es erwächst hieraus die Anforderung, den Wert kreativer Leistungen stärker zu vermitteln und zu verdeutlichen. Dazu gehört auch, die Kenntnis und die Akzeptanz des Urheberrechts zu verbreitern und zu vertiefen. In der EU-Grundrechtecharta wird der Schutz des geistigen Eigentums als Grundrecht eigens erwähnt. Der Deutsche Kulturrat fordert die Abgeordneten des Europäischen Parlaments auf, die designierten EU-Kommissare zu befragen, wie sie dafür Sorge tragen wollen, dass kreative Leistungen als geistiges Eigentum geachtet, geschützt und bei Nutzung eines Werks vergütet werden müssen. Ein durchsetzungsstarkes Urheberrecht ist in der analogen wie der digitalen Welt unerlässlich. Es dient dem Schutz des Urhebers und seines Werks und schafft Anreize zur Schöpfung neuer Werke. Dieser Schutz muss in der digitalen Welt, in der territoriale Grenzen keine Rolle mehr spielen, aufrechterhalten und verbessert werden.

 

4. Datenschutz und Privatsphäre gewährleisten

Die digitalen Techniken ermöglichen die sekundenschnelle Weitergabe von Texten, Tönen, Filmen und Bildern. Dieses ist eine große Chance für den Kulturbereich, da dadurch die Weitergabe künstlerischer Werke gefördert werden kann. Zugleich sieht der Deutsche Kulturrat mit Sorge, dass die Privatsphäre verletzt wird, hemmungslos Daten weitergegeben und ohne Anlass gespeichert werden. Damit werden auch in der EU-Grundrechtecharta beschriebene Grundrechte verletzt. Der Deutsche Kulturrat fordert die Abgeordneten des Europäischen Parlaments auf, die designierten EU-Kommissare zu befragen, wie sie sich im europäischen und internationalen Kontext für einen starken Datenschutz einsetzen wollen. Die Akzeptanz digitaler Techniken ist eng mit der Wahrung des Datenschutzes verbunden.

 

5. Zusammenwachsen Europas als kulturelle Aufgabe begreifen

Das Zusammenwachsen der europäischen Mitgliedstaaten ist eine weiterhin bestehende Aufgabe. Trotz der zunehmenden wirtschaftlichen Integration gelingt es vielfach noch nicht, den Mehrwert eines geeinigten Europas den Bürgern zu vermitteln. Europa erscheint vielen Bürgern als inhaltsleer, bürokratisch und fern ab. Dieser Eindruck steht in einem Gegensatz zur realen Bedeutung europäischer Diskussions- und Entscheidungsprozesse. Von Entscheidungsträgern wird die europäische Kultur vielfach als Appendix zur Wirtschaftsgemeinschaft verstanden und dabei verkannt, welche Rolle Kultur und hier besonders der Kulturaustausch und kulturelle Bildung im zusammenwachsenden Europa übernehmen kann. Der Deutsche Kulturrat fordert die Abgeordneten des Europäischen Parlaments auf, die designierten EU-Kommissare zu befragen, wie sie das Zusammenwachsen Europas als kulturelle Aufgabe begreifen und wie sie dieses Zusammenwachsen stärken wollen.

 

6. Kulturpolitik vernetzt denken

Kultur- und Medienpolitik werden nicht allein im Kulturressort gestaltet. Viele andere Ressorts, wie z.B. Rechtssetzung und Grundrechtecharta, Digitaler Binnenmarkt, Euro und sozialer Dialog, Wettbewerb, Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, Binnenmarkt und Industrie, Migration und Inneres, Forschung, Wissenschaft und Innovation sowie Handel sind ebenfalls mit kultur- und medienpolitischen Fragen befasst. In erster Linie ist Kultur in der Lage, spezifische Bindungsqualitäten innerhalb Europas hervorzubringen und auf Dauer eine europäische Identität zu ermöglichen. Der Deutsche Kulturrat fordert die Abgeordneten des Europäischen Parlaments auf, die designierten EU-Kommissare zu befragen, wie sie eine integrierte Kulturpolitik und die Sicherung der kulturellen Vielfalt in allen Ressort herstellen wollen.


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