Energie für Kultur II: Vielfalt der Kultur unterstützen und stärken
Berlin, den 25.09.2022. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, hatte am 21.06.2022 die Resolution „Energie für Kultur: Unterstützung von Kultureinrichtungen bei Energiekosten“ verabschiedet. In dieser Resolution hatte sich der Deutsche Kulturrat auf die steigenden Energiekosten öffentlicher Kultureinrichtungen fokussiert und hat die öffentliche Hand aufgefordert, entsprechende Mittel für Energiekostennachzahlungen sowie höhere Energiekosten zur Verfügung zu stellen.
Von steigenden Energiekosten sind im Kultur- und Mediensektor aber nicht allein öffentliche und öffentlich-geförderte Kultureinrichtungen betroffen, unter den steigenden Energiekosten leiden ebenfalls die kulturellen Bildungseinrichtungen, die privatwirtschaftlichen Kultureinrichtungen sowie die anderen Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft, die Künstlerinnen und Künstler und die Kulturvereine. Sie alle zusammen machen das kulturelle Leben in Deutschland aus und sind eng miteinander verbunden, ob privatwirtschaftlich arbeitend oder gemeinwohlorientiert.
Die Corona-Pandemie ist noch nicht vorbei und gegenwärtig ist unklar, wie sich die Infektionslage im Herbst und Winter entwickeln wird. Sie hat in den letzten zweieinhalb Jahren im gesamten Kulturbereich desaströse Spuren hinterlassen:
- Ökonomischer Natur, weil Unternehmen sowie Künstlerinnen und Künstler Aufträge und Auftritte verloren haben und um ihr wirtschaftliches Überleben ringen mussten;
- künstlerischer Natur, weil beispielsweise die Resonanzräume, die Vorstellung künstlerischer Arbeiten, die Interaktion mit dem Publikum, fehlten;
- Wissenschaftlicher Natur, weil z. B. der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen zu kurz kam, Forschungsreisen nicht durchgeführt werden konnten.
Unabhängig davon, ob es sich um das Amateurschaffen, um professionelle Künstlerinnen und Künstler, um Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft oder auch um öffentliche Kultur- oder kulturelle Bildungseinrichtungen handelt, sie alle können noch nicht an den Status des Jahres 2019 anknüpfen; in der Weiterentwicklung waren viele eingeschränkt. Überdies ist das Publikum, also die Nutzerinnen und Nutzer, oft noch zögerlich.
Die Energiekrise ist eine zusätzliche Herausforderung. Sie schafft neue tiefe Verunsicherung und Sorgen sowie massive finanzielle Belastungen. Steigende Preise können an die Nutzerinnen und Nutzer nicht weitergegeben werden. Deutlich erhöhte Abschläge auf die Energiekosten sind bereits bei den Unternehmen, den öffentlichen Kultureinrichtungen, Kulturvereinen und auch Verbraucherinnen und Verbrauchern angekommen. Das genaue Ausmaß der Energiekosten ist allerdings vielfach noch unbekannt. Trotz aller Energiesparmaßnahmen ist nicht auszuschließen, dass die Notfallstufe des Gasnotfallplans von der Bundesnetzagentur ausgerufen wird, was zur Folge hätte, dass die Bundesnetzagentur die Entscheidung über Maßnahmen zur Deckung des lebenswichtigen Bedarfs an Gas treffen müsste.
Angesichts der aktuellen Situation fordert der Deutsche Kulturrat Bund, Länder und Kommunen auf:
1. Die Kultureinrichtungen offen zu halten bzw. keine Schließungen anzuordnen.
Öffentliche oder private Kultureinrichtungen und kulturelle Bildungseinrichtungen leisten einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Energiekrise. Sie sind Orte von Kunst und Kultur sowie zugleich Orte des Lernens, des Austauschs und des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Gerade in einer Zeit der tiefen gesellschaftlichen Verunsicherung bieten Kulturorte im weiteren Sinne ein Gegengewicht. Sie ermöglichen nicht nur Debatten, sie regen sie an und begleiten sie, sie laden zur Auseinandersetzung, aber auch zu Freude und Heiterkeit ein. Viele Kultureinrichtungen verstehen sich als „Dritte Orte“, die den Bürgerinnen und Bürgern kostenfrei zur Verfügung stehen. Hier können die Bürgerinnen und Bürger sich auch aufhalten, ohne zu konsumieren, sie können kulturelle und Bildungsangebote nutzen, Kontakte und den demokratischen Diskurs pflegen, sich aufwärmen. Das Schließen von Kultureinrichtungen würde sehr hohe Verluste an gesellschaftlichem Zusammenhalt bedeuten.
2. Die Vielfalt an Kunst und Kultur zu sichern.
Der Kulturbereich in Deutschland zeichnet sich durch eine große Vielfalt aus. Das betrifft nicht nur die verschiedenen künstlerischen Sparten und Genres, sondern auch die Kulturorte, die sich im ganzen Land befinden. Kulturelle Vielfalt in Deutschland ist nicht auf Städte begrenzt. Kulturelle Vielfalt wird auch im ländlichen Raum gelebt und gepflegt. Kulturelle Vielfalt wird durch unterschiedliche Akteure des kulturellen Lebens gesichert, also Künstlerinnen und Künstler, öffentliche oder öffentlich-geförderte Kultureinrichtungen, Kulturvereine und Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft. Kulturelle Vielfalt schließt die traditionellen Ausdrucksformen wie die Avantgarde ein, sie meint die künstlerische und kulturelle Arbeit bereits lange in Deutschland Lebender wie auch von neu zugewanderten Menschen. Erst ihr Zusammenwirken macht die kulturelle Vielfalt in Deutschland aus. Diese kulturelle Vielfalt muss auch in der Energiekrise im Blick gehalten und gesichert werden.
3. Den Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen weiterzuentwickeln.
Mit dem Entlastungspaket 3 des Koalitionsausschusses des Bundes wurde auch beschlossen, Restmittel aus dem Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen für Kultureinrichtungen zur Unterstützung in der Energiekrise zur Verfügung zu stellen. Der Deutsche Kulturrat fordert Bund und Länder auf, den Weg für die Nutzung der Restmittel aus dem Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen für die Heizperioden freizumachen. Viele öffentliche und private Kultureinrichtungen stehen, wie beschrieben, vor der Herausforderung, gestiegene Energiepreise aufzufangen. Viele sind davon überfordert. Die Beantragung der erforderlichen Mittel muss unbürokratisch und passgenau erfolgen. Um Liquiditätsengpässe zu vermeiden, muss die Mittelauszahlung schnell erfolgen. Bei der Entwicklung der Vergabekriterien sollte der im Deutschen Kulturrat gebündelte Sachverstand genutzt werden, um die Praxistauglichkeit sicherzustellen.
4. Die Kultur- und Kreativwirtschaft bei Wirtschaftsförderprogrammen zu berücksichtigen.
Mit verschiedenen Wirtschaftsförderprogrammen sollen Unternehmen unterstützt werden, die besonders energieintensiv arbeiten und deren Existenz angesichts steigender Energiekosten, die nicht weitergegeben werden können, gefährdet ist. Das ist wichtig und richtig. Zugleich müssen die Programme so konzipiert werden, dass auch Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft sie in Anspruch nehmen können. Das gilt insbesondere auch für die zur Kultur- und Kreativwirtschaft zählenden selbständigen Künstlerinnen und Künstler, die steigende Energiekosten für Ateliers, Probenräume und andere Betriebstätten aufbringen müssen. Neben der Wirtschaftsförderung gilt es aktuell ebenso die individuelle Künstlerinnen- und Künstlerförderung zu verstärken, die in der Zuständigkeit der Kulturressorts insbesondere von Ländern und Bund liegen.
5. Die zu versorgende Infrastruktur im Kulturbereich weit zu fassen.
Sollte die Notfallstufe 3 der Gasnotlage von der Bundesnetzagentur ausgerufen werden, also die nationale Gasmangellage eintreten, übernimmt die Bundesnetzagentur die Aufgabe des Bundeslastverteilers, der Entscheidungen über die Zuweisung des lebenswichtigen Bedarfs an Gas trifft. Priorisiert sind die sogenannten geschützten Gaskunden, dazu gehören neben der Gesundheitsversorgung (Krankenhäuser etc.), die Notfallversorgung (Feuerwehr, Rettungsdienste etc.). die Sicherheit (Polizei, Bundeswehr etc.), Teilbereiche der öffentlichen Verwaltung, grundlegende soziale Versorgung (Stromversorger, Wasser- und Abwasserversorge, Pflegeheim etc.) auch Bildungseinrichtungen wie Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen. Kultureinrichtungen sind auch Bildungseinrichtungen. Der Deutsche Kulturrat fordert daher Bund, Länder und Kommunen auf, sie wie Bildungsorte zu behandeln und dies ggfs. bei der Bundesnetzagentur entsprechend zu hinterlegen.
Darüber hinaus ist es dringend erforderlich, dass Kulturgut bewahrende Einrichtungen wie Museen, Archive, Theater mit ihren Fundi und Lagerstätten für wertvolle Instrumente sowie teilweise Bibliotheken zum Schutz des zu bewahrenden Kulturguts in der Notfallstufe 3 der Gasnotlage versorgt werden. Diese Einrichtungen zählen zur kritischen Infrastruktur, um konservatorische Schäden bis hin zum Verlust des Kulturguts zu verhindern, müssen sie in der Notfallstufe 3 priorisiert werden. Wertvolles Kulturgut hat über die materielle Bedeutung hinaus eine herausragende ideelle Bedeutung, die lokal, regional, landes- oder bundesweit und international begründet ist. Der Deutsche Kulturrat fordert Bund und Länder auf, sowohl auf der europäischen als auch der nationalen Ebene die geeigneten Voraussetzungen zu schaffen, damit die Priorisierung von wertvollem Kulturgut in der Notfallstufe 3 gewährleistet ist.
Ebenso muss der Rundfunk als grundlegender sozialer Dienst anerkannt werden, um die Bevölkerung über die aktuellen Entwicklungen informieren zu können.
Der Kulturbereich selbst ist schon aktiv und hat folgende Maßnahmen ergriffen bzw. führt sie durch:
1. Energieeinsparungen und Nachhaltigkeit sind schon lange ein Thema und werden verstärkt.
Viele Akteure und Institutionen aus dem Kulturbereich haben sich schon seit längerem auf den Weg zu mehr Nachhaltigkeit gemacht. Auch die pandemiebedingten Investitionen, die im Rahmen des Programms Neustart Kultur ermöglicht wurden, haben einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit gerade bei nicht-öffentlich geförderten Kultureinrichtungen geleistet. Dazu gehören Energieeinsparungen, die Umstellung auf LED-Lampen, die Veränderung von Heizungsanlagen, der Einbau moderner Lüftungsanlagen, die Wiederverwertung von Materialien und anderes mehr. Einige Akteure und Institutionen sind bereits avanciert und profitieren nun von Investitionen der vergangenen Jahre. Bei anderen wird der seit langem bestehende Investitionsstau umso deutlicher. Viele öffentliche Einrichtungen benötigen eine zeitnahe und unkomplizierte Kooperation mit den öffentlichen Gebäudeeigentümern, damit die Gebäude energetisch saniert und angepasst werden. Dabei muss teilweise der Denkmalschutz einbezogen werden.
Weiter erarbeiten die Fachverbände aus dem Kulturbereich aktuell für ihr jeweiliges Arbeitsgebiet konkrete Checklisten oder Empfehlungen, um Energie einzusparen. Alle Kulturakteure im weitesten Sinne sind nach Maßgabe der örtlichen Gegebenheiten bestrebt, die angestrebten Energieeinsparungen von 15 bis 20 Prozent zu erreichen. Viele haben dies schon erreicht.
2. Notfallpläne werden erarbeitet bzw. aktualisiert.
In Kulturgut bewahrenden Einrichtungen sowie weiteren Kultureinrichtungen werden derzeit Notfallpläne erarbeitet bzw. aktualisiert, um in der Notfallstufe 3 der Gasnotlage, bei Energieschwankungen oder auch plötzlichem Stromausfall adäquat reagieren zu können. Hier kommt es vor allem darauf an, Entscheidungswege zu fixieren und bei öffentlichen Kultureinrichtungen Entscheidungs- und Abstimmungsprozesse mit den Rechtsträgern festzulegen.
3. Kooperationen werden gepflegt bzw. gesucht.
Viele Kulturinstitutionen, -unternehmen und -vereine haben in der Corona-Pandemie neue Kooperationen geschmiedet. Diese Formen der Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung werden aktuell ausgebaut und verstärkt, um u. a. gemeinsame Ressourcen zu nutzen, durch Synergien Energie einzusparen und anderes mehr. Darüber hinaus geht es darum, auch innerhalb des Kulturbereiches die Solidarität untereinander auszubauen.
4.Kulturorte als soziale Orte
Kulturorte entwickeln aktuell Konzepte und Ideen, wie sie sich noch stärker als soziale Orte profilieren, noch stärker öffnen und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken können. Sie leisten damit einen unverzichtbaren Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, in dem sie persönliche Begegnungen und Diskursräume ermöglichen.
5. Gesellschaftliche Krisenbewältigung mit künstlerischen Mitteln
Die Energiekrise tritt in einer Situation ein, in der, wie eingangs beschrieben, viele nach mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie ohnehin verunsichert sind und tiefe Sorgen haben, wie diese erneute Herausforderung gemeistert werden kann. Kunst und Kultur können einen ganz eigenen spezifischen Beitrag zur gesellschaftlichen Krisenbewältigung leisten. Der Rundfunk hat Aufgaben in der Information, Bildung, Kultur, aber auch Unterhaltung. Kulturelle Orte, seien es Einrichtungen oder auch Zusammenkünfte von Amateuren in Vereinen, bieten die Möglichkeiten des Austausches, der Verständigung und der Verarbeitung der aktuellen Situation mit künstlerischen Mitteln.
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