Ein vermittelnder Gastgeber

Das Auktionshaus Grisebach zwischen Tradition und Social Media

Seit 2019 hat das Auktionshaus Grisebach eine neue Leitung: Diandra Donecker. Als Nachfolgerin von Bernd Schultz und Florian Illies führt die Expertin für Fotografie das Traditionshaus in der Berliner Fasanenstraße mit der Dimension des vermittelnden Gastgebers weiter – und setzt dabei neue Akzente. Sandra Winzer fragt nach, welche das sind.

 

Sandra Winzer: Frau Donecker, es ist nicht lange her, da haben Sie Ihr Auktionshaus mit einem gut sortierten Secondhand-Laden verglichen. Bitte erklären Sie das.

Diandra Donecker: Das Auktionshaus hat eine lange Tradition auf dem Markt des Kunsthandels. Der frühere „Gentleman-Dealer“ für Bücher oder andere Arbeiten auf Papier hat sich im 18. Jahrhundert übertragen auf die Auktionshäuser. Wir arbeiten auf dem sogenannten Sekundärmarkt. Er ist anders als der Primärmarkt, zu dem die Galerien gehören. Wir handeln mit Werken, die bereits eine Geschichte haben und im Weitesten im kunsthistorischen Kanon eingegangen sind. Die bereits von einer Hand in die andere gegangen sind. Die Arbeiten werden unter anderem aus dem Privatbereich angeboten. Etwa von der Familie einer verstorbenen Person, die ihren Haushalt hinterlässt. Oder von Menschen, die sich von Objekten trennen möchten, weil sie ihre Sammlungen umstrukturieren. Jede Arbeit hat eine besondere Provenienz. Eine Herkunftsgeschichte, die sich, je nachdem, wann das Werk entstanden ist, durch Jahrhunderte schlängeln kann.

 

Wie bestimmen Sie vor Auktionen den Marktwert eines Werkes?

Trifft eine Arbeit bei uns ein, hatte sie bereits einmal einen Kaufpreis, wurde gehandelt. Diesen berücksichtigen wir. Außerdem nutzen wir Datenbanken, die vergangene Auktionsergebnisse von vergleichbaren Werken listen. Etwa die Gestaltungstechnik oder Größe betreffend. Auch das ist eine Referenz. Zum Schluss kommen noch Expertise, der Zustand, Erfahrung und Intuition hinzu. Man entwickelt nach einiger Zeit ein Gespür, in welchem Preisrahmen sich ein Werk einpendeln wird. Rufen wir einen Preis aus, treten wir unmittelbar in eine Art Dialog mit den potenziellen Kunden. Der Markt selbst – verkörpert durch unsere Bieterinnen und Bieter – finalisiert den Preis für eine Arbeit, einen Künstler, ein Format, eine Technik.

 

Als Geschäftsführerin eines traditionsreichen Auktionshauses begreifen Sie sich als Vermittlerin. Inwiefern?

Uns erreichen täglich viele Angebote für unsere Auktionen. Wie alle anderen Auktionshäuser aber entscheiden wir selbst, was wir annehmen. Wir filtern, entscheiden uns für oder gegen Angebote. Die Entscheidung kann für einen Zeitgeist stehen. Oft aber wollen wir auch einen Künstler oder eine Künstlerin zeigen und sagen: „Schaut mal her, diese Person wurde seit den 1960er Jahren übersehen. Hier liegt ein lange verborgener Schatz.“ Wir sind ein Haus mit vielen Kunsthistorikern und Expertise. Wir investieren viel Zeit und Arbeit, um Kunst nicht nur zu verkaufen, sondern auch davon zu erzählen und sie dadurch zu vermitteln.

 

Das Empfinden von Ästhetik unterliegt ständiger Bewegung. Beobachten Sie einen Wandel bei den Bedürfnissen der Kunstliebhaberinnen und -liebhaber?

Ja. Diesen Wandel gibt es. Beispielsweise im Hinblick auf den Kundentypus. Ursprünglich und qua Ausbildung komme ich aus dem Bereich der Handzeichnungen und Druckgrafiken – einem klassischen Teil des Kunstmarktes. Hier bewegen sich viele Kenner. Sie sammeln bestimmte Epochen, Stile oder Künstlerfiguren. Nach diesen wird dann gezielt gesucht. Diesen Typ des „allwissenden Käufers“, des Connaisseurs, gibt es noch immer. Man trifft ihn z. B. auch bei der Jagd nach einer ganz bestimmten Fotografie. Es kommt aber auch ein neuer, breit aufgestellter Käufertyp hinzu. Vor allem jüngere Kunden bringen heutzutage eine neue Leichtigkeit im Kauf mit. Sinnlichkeit, Lust und Spontaneität. Oft geht es um ein locker hingeschmissenes „Gefällt mir“. Das der Kunst anhaftende Elitäre wird durch neue Ungezwungenheit ergänzt. Dadurch gewinnt die Szene der Kunstinteressierten an Offenheit.

 

Können Sie ein Beispiel beschreiben?

Es gibt Menschen, die etwa mit einem Start-up Erfolg haben und Gefallen an einem bestimmten Werk finden, das sie kaufen. Zwei Jahre später ziehen sie um und möchten ihre neue Umgebung umgestalten. Also trennen sie sich von dem alten Bild. Kunstwerke wechseln schneller ihr Zuhause. Sie sind nicht mehr ausschließlich Lebensbegleiter, die über 60 Jahre lang im Familienbesitz bleiben. Man könnte sagen: Es gibt beim neuen Auktions-Typus ein weniger an Emotionalität und Tiefe, dafür aber ein Mehr an Lust, Schnelligkeit und Austausch. Der „elfenbeinturmartige Überzug“ von Kunstauktionen wird gelüftet.

 

Dass „gelüftet“ wird und Auktionen nicht von der breiten Masse abgeschirmt stattfinden – dafür setzen Sie sich ein. Sie führen Studierende herum, machen Salongespräche. Weg vom ausschließlich Elitären, Schönen, Reichen. Möchten Sie mehr Generationen in Ihr Auktionshaus holen?

Das ist eine Triebfeder, die ich mir selbst auf die Fahnen geschrieben habe. Es hat sicher auch mit meinem eigenen Alter (31) zu tun. Ich möchte alle Interessierten einladen und zeigen: Um in die Welt der Kunstauktionen einzutreten, brauchst Du erst einmal nichts, außer: gute Augen und Neugierde. Um das zu erreichen, nutzen wir viele Kanäle.

 

Beispielsweise Social Media?

Genau. Kanäle wie Instagram helfen uns, Menschen zwischen 14 und 45 anzuziehen. Und zwar zeitnah und bildhaft. Wir bemühen uns um Expertenvideos, die locker erzählen, was das Besondere an einer Vase oder einem Werk ist. Ich finde es wichtig, dass wir die einzelnen Kolleginnen und Kollegen mit Gesicht und Stimme in den Fokus rücken. Grisebach ist nicht nur die Traditionsvilla mit verzierten Treppchen. Grisebach – das sind viele wunderbare Kollegen und Experten. Mit den Videos möchten wir unser Angebot nahbarer und menschlich machen in der gewählten Form des Mediums.

Diandra Donecker & Sandra Winzer
Diandra Donecker ist Geschäftsführerin des Auktionshauses Grisebach. Sandra Winzer ist ARD-Journalistin beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt am Main.
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