Ulrich Khuon & Ludwig Greven - 26. Februar 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Corona vs. Kultur

„Wir brauchen Scham und Ironie“


Ulrich Khuon im Gespräch

Ludwig Greven spricht mit dem Intendanten des Deutschen Theaters Berlin per Zoom über Perspektiven für die Bühnen nach der Pandemie und die Empfindsamkeit von Künstlerinnen und Schauspielern.

 

Ludwig Greven: Sie seien eigentlich zu nett für einen Intendanten, schrieb die Süddeutsche Zeitung zu Ihrem 70. Geburtstag Ende Januar. Müssen Sie als Vertreter der deutschen Bühnen lauter werden, um sich und der Kultur in der Coronakrise Gehör zu verschaffen?

Ulrich Khuon: Eruptive Menschen haben vielleicht kurzfristig mehr Erfolg. Aber ich glaube, dass sich meine ruhigere Art auch in dieser Krise bewährt hat. Seit Beginn der Pandemie vor einem Jahr haben wir als Deutscher Bühnenverein und als Intendanten unablässig unsere Forderungen vorgebracht und einiges erreicht, z. B., dass wir im vergangenen Sommer spielen durften. Der Minilockdown im November allerdings hat nur uns und den Gastronomen geschadet, ohne etwas zu bewirken. Tagsüber war die Hölle los, um 18 Uhr gingen die Rollläden runter. Davor haben wir gewarnt, aber die Politik hat anders entschieden. Nun ist praktisch die halbe Spielzeit weg.

 

Auch bei der vorsichtigen Öffnungsperspektive wird der Kulturbereich wieder hintenangesetzt. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder will z. B. erst die Läden und Gärtnereien öffnen.

Was diejenigen, die die Macht besitzen, wirklich denken, kann man in diesen Tagen gut erkennen. Eine Qualität und Eigenart der Künste ist ihre Machtlosigkeit. Die Kultur hat eine leise Stimme. In einer Gesellschaft, in der nur gehört wird, wer am lautesten schreit, kommen wir gegen die Tourismus- und Autoindustrie nicht an. Aber schon Bertolt Brecht hat gesagt, dass das weiche Wasser den mächtigen Stein besiegt. Darauf vertraue ich. Es hat immer wieder Phasen gegeben, in denen die Kultur unter Druck stand. Doch seit dem Krieg ist sie in Wellenbewegung erstarkt – bis Corona kam. Bis dahin waren die Theater und Opernhäuser so stabil wie nie zuvor, auch weil es der öffentlichen Hand gut ging. Es gibt kein anderes Land mit einer so ausgebauten, mit der freien Szene verknüpften Theaterlandschaft. Langfristig macht es sich bezahlt, hartnäckig zu bleiben und auch mal Umwege zu gehen.

 

Immerhin bekommen die Theater großzügige finanzielle Unterstützung.

Die Politik schützt uns dadurch, wenn auch unterschiedlich. Und uns schützt, dass wir feste Häuser haben. Es ist schwerer, diese zu zerstören als Gruppen, denen man nur für bestimmte Zeiträume Zuwendungsgarantien gibt. Dass die Kultur aber bei der Öffnungsstrategie wieder ganz an den Schluss gestellt wird, ist ein Debakel. Dabei werden wir von Wissenschaftlern gestützt, die bestätigen, dass vom Theaterbesuch so gut wie keine Infektionsgefahr ausgeht.

 

Was bewirkt es bei den Schauspielerinnen und Schauspielern, bei den Dramaturginnen und Regisseuren, wenn sie über Monate allenfalls virtuell auftreten und inszenieren können?

Die Künstlerinnen und Künstler sind so zerrissen wie die übrige Gesellschaft auch. Ihnen fehlt ihr Wirkungsraum, gleichzeitig haben sie Ängste. Ich beobachte in meinem Ensemble alle Schattierungen von „ich will gar nicht mehr raus“ bis „ich will morgen auf die Bühne“. Wenn man viel zu Hause ist, wächst die Angst. Man kann sie gut bearbeiten, wenn die Praxis gelingt. Seit dem Lockdown bin ich jeden Tag im Theater. Wenn ich merke, dass die Hygiene- und Abstandsregeln funktionieren, macht mich das vertrauensvoller, als wenn ich nur daheim wäre und ab und zu auf den Balkon ginge. Für Künstler ist ihre Arbeit noch existenzieller als in vielen anderen Berufen. Aber da sie, wie Martin Walser mal gesagt hat, besonders typische Menschen sind, sensibler, hellhöriger, sind viele mit Blick auf das Virus auch ängstlicher. Meine Hauptaufgabe ist im Moment dafür zu sorgen, dass wir nicht auseinanderstreben, sondern handlungsfähig bleiben. Viel zu kommunizieren und durch Konzepte, die gut funktionieren, Ruhe reinzubringen. Wir proben. Jetzt müssen wir es nur noch aufführen dürfen.

 

Machen Sie Schnelltests bei den Proben?

Damit fangen wir gerade an. Wir haben Inszenierungen auf Abstand gemacht, wir tauschen die Luft aus. Die Tests steigern das Sicherheitsgefühl, auch deshalb machen wir das. Aber die Hygieneregeln sind wichtiger.

 

Die angestellten Schauspieler der großen Häuser müssen anders als freie Darsteller und Künstler nicht um ihre Stellen und Existenz bangen. Fühlen Sie sich auch für die verantwortlich?

Als Deutscher Bühnenverein haben wir ab der ersten Minute an die Theater appelliert, juristisch abgesichert: Zahlt eure Gastdarstellerinnen und Gastdarsteller, mit denen ihr Verabredungen habt, bezieht euch nicht auf höhere Gewalt. Wenn man in einem Vertrags- und Vertrauensverhältnis ist, muss man auch entsprechend handeln. Die Solidargemeinschaft mit denen, mit denen wir arbeiten, nehmen wir ernst. Die meisten Theater haben das gemacht. Ich halte das für eine Selbstverständlichkeit. Das ist allerdings auch ein Grund, weshalb wir darauf drängen, wieder spielen zu dürfen. Sobald wir Stücke ansetzen können, können wir auch wieder Verträge mit freien Künstlerinnen und Künstlern und Sängerinnen und Sängern machen.

Weil Sie sie brauchen?

Es gibt mehr Menschen, die Kunst machen wollen als an Theatern, Konzert- und Opernhäusern spielen können. Aber das darf man nicht ausnutzen. Die tiefe Zerstrittenheit von etablierten Häusern und der freien Szene in den 1990er Jahren war unfruchtbar und zerstörerisch. Das haben wir gemeinsam verbessert. Heute ist es viel durchlässiger. Wir müssen daran arbeiten, schnell wieder dahin zu kommen.

 

Welche finanziellen Auswirkungen hat die Schließung für Ihr Haus?

Wir haben deutlich weniger eingenommen. Dafür haben wir eine Ausgleichszahlung vom Berliner Senat bekommen. Es gibt jedoch Häuser, z. B. in München – à propos Söder –, denen mitgeteilt wurde, dass sie weniger Zuschuss bekommen. Wir werden die Folgen der Pandemie noch über Jahre spüren. Wir müssen um jedes Haus kämpfen. Die großen sind nicht gefährdet. Umso wichtiger ist, auch nach Kiel, Konstanz oder Dessau zu schauen.

 

Welche Erfahrungen nehmen Sie mit aus dem Lockdown? Was werden Sie auch in Zukunft nutzen?

Neugier und Beweglichkeit. Die sind immer gefragt, aber in den Routinen werden sie oft verschüttet. Mit unseren Streams, die immerhin kostenpflichtig sind, haben wir ein Publikum erreicht über Berlin hinaus, das wir sonst nicht bekommen würden. Das merken wir auch an den Reaktionen. Nicht mehr, als wenn wir real spielen würden, aber es spricht sich rum. Wir haben digitale Abendaufführungen gemacht mit Nachgesprächen über Zoom, mit einer ungeheuren Resonanz. Viele Theater haben diese digitale Beweglichkeit nicht nur als Notnagel entdeckt, sondern als Option erkannt, ästhetisch wie strukturell. Wir haben gelernt, Routinen zu durchbrechen. Das werden wir nicht wieder verlernen.

 

Aber es ersetzt nicht die festen Häuser?

Nein, das ist, als wenn man an einem künstlichen Herz hängt. Das eigentliche Herz schlägt woanders. Aber selbst Opernintendanten, die sonst drei Jahre an einer Aufführung arbeiten, haben gesagt, mal schnell reagieren zu müssen, hat etwas Erfrischendes.

 

Verändert es die Ästhetik des Theaters, wenn man für ein Online-Publikum inszeniert?

Bei einigen Aufführungen haben wir uns sehr ans Filmische angenähert, bei anderen nicht. Da hat sich die Spielweise nicht verändert. Schauspieler spielen nicht anders, wenn sie kein Publikum haben, aber sie sind befreiter, wenn es wieder atmet.

 

Das Virus wird bleiben, es kann jederzeit eine neue Pandemie kommen. Werden Sie auf Dauer mit Hygieneregeln arbeiten müssen? Oder hoffen Sie, dass das irgendwann entfällt?

Ich bin da nicht so pessimistisch. Wenn wir alle durchgeimpft sind, wird es vielleicht im nächsten Jahr wieder eine gewisse Normalität geben, mit halbwegs vollen Häusern. Doch es wird nicht alles weg sein. In der „Pest“ von Albert Camus verschwindet der Erreger irgendwann, aber er bleibt in den Ritzen und Vorhängen. Die nicht sichtbare Gefahr wird uns nicht verlassen. Eine Grunderfahrung des Menschen ist, dass Tod und Krankheit nie verschwinden. Wer einmal einen nahestehenden Menschen verloren hat, der wird das nicht wieder los. Der weiß, dass alles gefährdbar ist, von heute auf morgen, dass wir verletzlich sind. Die Scheinstärke hinter sich zu lassen, ist gut.

 

Werden Sie diese Erfahrungen, das Leid, die Vereinsamung, künstlerisch aufgreifen?

Selbstverständlich. Wir haben intern diese gemeinsame Erfahrung stark besprochen, Schmerz, Angst, Verzweiflung, auch mit Soziologen und Psychologen.

Als Intendant verstehe ich mich ein Stück weit auch als Seelsorger. Das Tolle ist: Wenn es keine Krisen gäbe, gäbe es keine Kunst. Sie ist das krisenverarbeitende Medium schlechthin. Auch die Komödie, das Lachen ist Trost. Wir brauchen, wie Michael Maar schreibt, Scham und Ironie, sonst sind wir Dampfplauderer.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2021.


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