Was jungen Menschen fehlt

Marc Wohlrabe im Gespräch

Schwitzende Menschen gedrängt auf einer Tanzfläche? In der aktuellen Situation unvorstellbar. Ob es Alternativen gibt und ein kontrollierter Club- und Festivalbesuch illegalen Veranstaltungen vorbeugt, darüber spricht Maike Karnebogen mit Livekomm-Vorstand und Clubcommission-Co-Gründer Marc Wohlrabe.

 

Maike Karnebogen: Herr Wohlrabe, Sie arbeiten in den Verbänden der Clubkultur. Wie steht es aktuell um die Clubs und Musikspielstätten und welche Öffnungsperspektiven sehen Sie in diesem Jahr?

Marc Wohlrabe: Ich kann nicht verzeichnen, dass wir schon reihenweise Insolvenzen in unserem Bereich haben – dabei spreche ich explizit für die Clubkultur und Musikspielstätten, nicht für Großraumdiskotheken, Mehrzweckhallen etc. Das nehme ich als Zeichen, dass trotz aller Hakeligkeit die Hilfen, die die einzelnen Betreiber und Mitglieder in unseren Verbänden stellen können, fließen. Das Wichtigste war für uns immer, die Firma bzw. die Clubkulturstätte zu erhalten – mit dem Wissen, dass es sehr schwer wird, in dieser langen Phase der Pandemieeinschränkungen die Teams und die Versorgung der Künstler aus den Budgets dieser Kulturstätten mit zu finanzieren. Alle Kulturbereiche haben sich letzten Sommer und Herbst, oder auch bis zuletzt, mit Hygienekonzepten beschäftigt. Es gibt Papiere ohne Ende, Kontakte zu Wissenschaftlern, Expertisen über Lüftungssysteme, Crowd-Management, Zugangsbeschränkung. Viele Betreiber sagen: „Lasst es uns doch bitte versuchen“ – mit den entsprechenden Beschränkungen und einer gewissen Mindestanzahl an Personen. Es wäre ein wichtiges Signal, dass bestimmte Stätten und Kulturbereiche wieder starten können.

Wir setzen darauf, dass mit den steigenden Temperaturen draußen Veranstaltungen ermöglicht werden. Daher drängen wir darauf, dass die Politik den Bitten der Veranstalter und der Gastronomie entgegenkommt und die Verwaltungen ermöglichen, großzügigere Schallschutzausnahmen in diesem ganz besonders schwierigen Jahr zuzulassen.

 

Voraussichtlich wird es noch eine lange Zeit dauern, bis Clubs wieder im Normalbetrieb öffnen können. Junge Menschen möchten aber nicht so lange darauf verzichten – wo suchen sie sich Alternativen zum Feiern im Club?

Im Unterschied zu Kinos oder gesetzten Orten zeichnet sich der Clubkulturbereich dadurch aus, dass sich die Besucher dort bewegen. Das hat normalerweise etwas sehr Positives – in der Dynamik und Zwischenmenschlichkeit, in dem Raum- und Musikerlebnisgefühl. Man kann Leuten spontan begegnen. Man kommt sich nahe. Im besten Fall steht man schwitzend zusammen auf der Tanzfläche und entwickelt ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das diesen Kulturbereich ganz besonders auszeichnet. Das ist jetzt so nicht möglich und kann auch nicht ersetzt werden. Viele werden versuchen, sich zu Hause ein bisschen dieses Gefühl wieder zu holen. Und auch, wenn alle die Kontaktbeschränkungen kennen, bezweifele ich, dass diese überall eingehalten werden. Da müssen wir uns nichts vormachen. Ich glaube, dass die meisten Menschen das nicht auf so viele Monate mehr durchhalten. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Nicht alle haben eine Familie zu Hause. Für viele ist diese Kultur die Familie, die sie haben. Und die ist jetzt schon lange weg.

 

Sie sagten es gerade, nicht jeder hält sich daran. Man hört immer wieder von illegalen unkontrollierten Partys, bei denen Schutzmaßnahmen nicht eingehalten werden. Wäre es Ihrer Meinung nach besser, den Clubbesuch zu ermöglichen, um somit eine gewisse Kontrolle zu haben?

Aus der Sicht der Verbände können wir nur dafür werben. Man kann grundsätzlich auf die Maßnahmen hinweisen und sich auch empören, dass es sehr unsozial und gefährlich ist, wenn Menschen sich nicht an die vorgegebenen Regelungen halten. Trotzdem ist die Realität, dass sich eine signifikante Anzahl von Leuten irgendwo immer trifft. Wir glauben, dass die offiziellen Orte, die bekannten Veranstalter mit den ausprobierten Hygienekonzepten hier ein wichtiges und nützliches Ventil darstellen können und so zum Teil verhindert werden kann, dass die Leute illegale Veranstaltungen besuchen. In Berliner Parks z. B. wissen wir, dass das schon letzten Sommer so war. Ich glaube, dass sich ab April, Mai sehr viele junge Leute nicht mehr zurückhalten werden. Das kann man verdammen. Aber ich prognostiziere es aus dem Wissen heraus, was jungen Menschen jetzt gerade schon so lange fehlt, und der Erkenntnis, dass sehr wenig junge Menschen im Verhältnis zu anderen Altersgruppen wirklich erkranken. Ein richtiges Konzept wäre, den erprobten Veranstaltern Hand in Hand diese Räume zu ermöglichen, sodass unter möglichst gesicherten Umständen und einer organisierten Kontaktrückverfolgung Veranstaltungen draußen stattfinden können.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2021.

Marc Wohlrabe & Maike Karnebogen
Marc Wohlrabe ist Vorstandsmitglied des deutschen Verbandes der Clubs, Festivals und Musikstätten Livekomm und Co-Gründer des Verbandes Clubcommission Berlin. Maike Karnebogen ist Redakteurin von Politik & Kultur.
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