Was ist uns Literatur wert?

Nina George im Gespräch

Wie hart trifft die Coronakrise Autorinnen und Autoren? Was leistet der Lesungsfonds des Fördervereins Buch? Wie ist es aktuell um den europäischen Buchmarkt bestellt? Welchen Wert messen wir als Gesellschaft Literatur bei? Die Schriftstellerin, Vorstandsmitglied des Fördervereins Buch und Präsidentin des European Writers‘ Council Nina George gibt Theresa Brüheim Antwort auf diese Fragen und mehr.

 

Theresa Brüheim: Frau George, in Politik & Kultur 4/20 haben Sie zu Beginn der Coronakrise in einem eindrücklichen Beitrag die aktuelle Situation von Autorinnen und Autoren geschildert. Wie ist die Situation heute, vier Monate später?
Nina George: Die Befürchtungen haben sich leider bewahrheitet: Autorinnen und Autoren von Genreliteratur, Sachbüchern, Kinder- und Jugendbüchern, aber auch Hochliteratur leben sehr stark von Kontaktveranstaltungen. Sie sind auf Lesereisen, die ein bis zwei Jahre dauern können, angewiesen, das macht den Großteil ihres Einkommens aus. Bereits seit Monaten fallen Veranstaltungen aus, auch, weil seitens der Buchhandlungen kein Investitionsvolumen mehr vorhanden ist. Denn die sind mit 30 bis 80 Prozent Umsatzverlust in den Sommer gegangen. Viele Autorinnen und Autoren sind so an ihr Existenzminimum geraten – zusätzlich zu der Unsichtbarkeit im Markt: Rund ein Drittel der geplanten Neuerscheinungen werden um eine Saison geschoben – oder sogar ganz abgesagt. Das trifft auch Übersetzerinnen und Übersetzer. Ein weiterer, verzögerter Verlust ist seitens der Verwertungsgesellschaften erwartbar – viele zahlungspflichtige Institutionen, Copyshops, Hotels oder Händler hatten geschlossen, und der VG-Wort-Scheck wird die kommenden Jahre sicher niedriger ausfallen.
Literaturagenturen suchen zwar immer noch neue Stimmen und verkaufen weiterhin Stoffe, aber mit deutlich gesunkenen Vorschüssen. Wir beobachten auch die unangenehme Usance, dass mit Corona-Verlusten Honorare gedrückt werden, frei nach dem Motto: „Seien Sie froh, dass wir Ihnen trotzdem einen Auftrag geben.“

 

In der Zwischenzeit wurde das Konjunkturprogramm NEUSTART KULTUR auf den Weg gebracht. Wie beurteilen Sie es aus Ihrer Perspektive als Autorin?
Grundsätzlich ist das stark zu begrüßen! Es ist eine Geste der Wertschätzung, die auch marktaffine Kultur, Literatur und ihre Urheberinnen umfasst, weil verstanden wurde, dass Berufsurheberinnen und Kulturarbeiter existenzielle Verluste hatten. Wie weit uns dieses für die Autorinnen und Autoren, pardon, eher schmale Paket bringen wird, darüber bin ich mir nicht sicher: Denn das Volumen unserer Ausfälle ist rund drei- bis viermal höher als die zur Verfügung gestellten fünf Millionen Euro via Deutscher Literaturfonds. Das am 20. August lancierte „Verlags- und Buchhandlungspaket“ von 20 Millionen Euro für den Ausbau digitaler Vertriebswege sowie Druckkostenzuschüsse ist großzügiger, und kann über 1.000 Titel fördern. Ich hätte mir jedoch „faire Vertragspraxis inklusive Garantiehonorare für Autoren und Übersetzerinnen“ als zentrale Förderbedingung gewünscht.
Fakt ist: Das Virus ist keine Fiktion. Niemand kommt hier ohne Verluste raus. Weder ohne finanziellen Verlust noch den von etwas Tiefgreifenderem: das Vertrauen in die menschliche Begegnung.

 

Das Netzwerk Autorenrechte, das 2016 auf Ihre Initiative gegründet wurde, hat im Mai einen zwölfteiligen Maßnahmenkatalog erarbeitet. Eine Maßnahme ist, einen Lesen!-Fonds zu gründen. Inwieweit war dies die Vorlage für den neu eingerichteten Lesungsfonds des Fördervereins Buch?
Dies war eine hervorragende Vorlage. Aber ich bin auch sehr erfreut, dass sich insgesamt vier Maßnahmen aus unserem Vorschlagskatalog beim Deutschen Literaturfonds und beim Deutschen Übersetzerfonds wiedergefunden haben. Neben dem Lesen!-Fonds sind das: die Förderung von Online-Lesungen, digitale Programme in den Schulen und erweiterte Stipendienprogramme. Letzteres ist vor allem für die Übersetzerinnen und Übersetzer wichtig: Denn es gilt jetzt, Stimmen aus weniger geschriebenen Sprachen sowie kleineren Märkten zu fördern, damit wir weiterhin diese Diversität Europas aufrechterhalten! Es ist uns gelungen, durch den Maßnahmenkatalog rechtzeitig Impulse zu Förderungsmöglichkeiten zu setzen – auch beim BKM.

 

Der angesprochene Lesungsfonds fußt auf der Spende von 250.000 Euro der Bonnier Verlage an den Förderverein Buch, um Honorare für Veranstaltungen, die von Buchhandlungen organisiert werden, zu
finanzieren.
Das war eine historische Aktion. Ich hatte in einem Artikel im Börsenblatt Verlage und Buchhandel zur Solidarität mit Autorinnen und Autoren aufgerufen. Denn die meisten von uns haben rein gar nichts von der Soforthilfe des Bundes, da unsere Betriebskosten so marginal sind – unser Betrieb ist unser Kopf. Wir brauchen Unterstützung bei den Lebenshaltungskosten und für den konkreten Verdienstausfall. Das nahm der CEO von Bonnier, Christian Schumacher-Gebler, Ende Juni zum Anlass, um sich an mich als eine Vertreterin des Netzwerks Autorenrechte zu wenden. Bonnier wollte gern Autorinnen und Autoren unterstützen, aus einem Topf, der sich aus der Mehrwertsteuersenkung ergab. Also haben wir Vorschläge ausgearbeitet – letztlich wurde unsere Lieblingsidee, der Förderfonds für Lesungen, durch den Autoren, der Buchhandel und Leser profitieren, umgesetzt. So können Autorinnen und Autoren in Würde Geld mit ihren Büchern verdienen.
Ausschließlich Buchhandlungen können sich bewerben, und sich aber einen Partner suchen, z. B. eine Schulaula, Bibliothek, Galerie oder einen Open-Air-Veranstaltungsort. Die Honorare werden nach der Bewilligung sofort ausgeschüttet.

Nina George & Theresa Brüheim
Nina George ist Schriftstellerin, Vorstandsmitglied des Fördervereins Buch und Präsidentin des European Writers‘ Council. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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