Was ist uns Kunst wert?

Vom großflächigen Verschwinden der Literatur aus dem öffentlichen Leben

Gerade in Krisenzeiten beweist sich, welchen Wert eine Gesellschaft der Kultur beimisst. Das zeigt die aktuelle Corona-Krise, deren wirtschaftliche Auswirkungen auch zur kulturpolitischen Frage werden. Wie viele Kultur- und Kreativbranchen ist auch die Buchbranche von den Folgen der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus schwer betroffen. Zuerst die Absage der für Mitte März geplanten Leipziger Buchmesse – der wichtigsten öffentlichen Plattform für Neuerscheinungen und das Lesen im Frühjahr. Dann die Streichung von immer mehr Literaturveranstaltungen, von der Lit.Cologne bis zur Autorenlesung in der Buchhandlung vor Ort. Und schließlich vor zwei Wochen die Anordnung von flächendeckenden Ladenschließungen, die in allen Bundesländern bis auf Berlin und Sachsen-Anhalt auch Buchhandlungen umfassen und zu massiven Umsatzeinbrüchen in der gesamten Branche führen werden. Es hängt jetzt ganz entscheidend davon ab, wie gut es gelingt, die wirtschaftlichen und kulturellen Folgen der Corona-Krise auf die Buch- und andere Kreativbranchen abzufedern. Der deutsche Buchmarkt ist der zweitgrößte Buchmarkt weltweit und in seiner Qualität und Vielfalt vorbildlich. Mit der Existenz von vielen kleinen wie großen Buchhandlungen und Verlagen steht ein elementarer Teil des kulturellen Lebens auf dem Spiel.

 

Die Buchbranche trägt solidarisch alle bisher von Bund und Ländern getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Krise mit. Denn ein gemeinsames und entschiedenes Vorgehen ist jetzt unumgänglich, um die Verbreitung des Coronavirus zu verlangsamen und damit die Gesundheit gerade der Schwächeren in der Gesellschaft zu schützen. Das großflächige Verschwinden der Literatur aus dem öffentlichen Leben sowie die massiven zu erwartenden Umsatzausfälle im Buchhandel haben aber gravierende wirtschaftliche Auswirkungen auf die gesamte Buchbranche.

 

Mit der Absage der Leipziger Buchmesse wie auch allen anderen internationalen Buchmessen konnten die Verlage nicht, wie sonst im März üblich, ihre Frühjahrsprogramme einem breiten Lesepublikum und der interessierten Öffentlichkeit vorstellen und damit für den Einkauf ihrer Titel werben. Die ersten Auswirkungen zeigen sich bereits: Bestellungen der Händler beim Zwischenbuchhandel und den Verlagen gehen zurück, weil sie mit einer geringeren Nachfrage rechnen. Die Folge: Verlage riskieren auf ihren Auflagen sitzen zu bleiben, Autorinnen und Autoren werden unweigerlich weniger verdienen.

 

Die umfassenden Ladenschließungen potenzieren das Problem um ein Vielfaches und bedrohen die gesamte Wertschöpfungskette Buch. Mieten, Rechnungen und andere Fixkosten sind weiterhin zu begleichen, während ein Großteil des Geschäfts ausfällt – und das in der traditionell umsatzstarken Vor-Osterzeit. Allein für die Ladenmieten der Buchhandlungen in Deutschland fallen nach unseren Schätzungen zusammengerechnet Kosten von 15 Millionen Euro pro Monat an. Insgesamt rechnen wir pro Schließungsmonat mit einem Umsatzverlust von einer halben Milliarde Euro für Handel und Verlage. Für die größtenteils Klein- und Kleinstunternehmen sowie soloselbständigen Autorinnen und Autoren geht es inzwischen um die Existenz. Aber auch die wenigen größeren Unternehmen der Branche sind von massiven wirtschaftlichen Einbußen betroffen. Die Umsatzrenditen in der Branche sind so gering, dass viele Unternehmen nur schmale oder gar keine Finanzpolster haben und in Liquiditätsengpässe kommen werden. Zwar verkaufen fast alle Buchhandlungen seit Langem Bücher auch online, bauen ihre Lieferdienste aus und finden aufgrund der aktuellen Lage neue, kreative Wege zu den Kundinnen und Kunden. Das alles wird aber nicht ausreichen, um die zu erwartenden finanziellen Einbußen auszugleichen.

 

Bund und Länder haben sehr schnell mit einem umfangreichen Soforthilfe-Paket reagiert, um gerade Kleinstunternehmen und Selbständige zu unterstützen. Vor allem die nicht rückzahlungspflichtigen Zuschüsse sind für kleine Buchhandlungen und Verlage wichtig und können existenzentscheidend sein. Dank gilt hier allen beteiligten politischen Verantwortlichen und besonders Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die sich sehr für die besonderen Belange der Kultur- und Kreativwirtschaft eingesetzt hat. Es ist jetzt wichtig, dass Verlage, Buchhandlungen, Autorinnen und Autoren schnell und unbürokratisch an die zugesagten Mittel gelangen. Und gerade die mittelgroßen Unternehmen, die nicht von den Soforthilfen für Kleinbetriebe profitieren können, benötigen ebenfalls dringend praktikable Unterstützungsleistungen. Darüber hinaus regen wir weiterhin an, gesundheitspolitisch vertretbare Ausnahmeregelungen für Buchhandlungen von den Ladenschließungen zu prüfen, etwa einheitlich geltende Genehmigungen, um Liefer- und Abholservices für Bücher einzurichten. Wir erleben gerade eine nie dagewesene Krisensituation. Von uns allen, von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ist jetzt solidarisches Handeln nötig. Auch die Kultur benötigt Solidarität – denn ohne die Unterstützung der Politik droht mit dem Verschwinden von vielen Buchhandlungen, Verlagen sowie anderen Kulturschaffenden und -einrichtungen ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft verloren zu gehen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.

Alexander Skipis
Alexander Skipis ist Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.
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