Von Wunden. Und Wundern.

Die aktuelle Situation von Autorinnen und Autoren während der Corona-Pandemie

Jana* weint sonst nie. Sie ist das, was man früher patent nannte, und heute: Prototyp einer Berufsschreibenden, die ihr Einkommen nicht aus Verkäufen erzielt – das ist für kaum zehn Prozent unserer Zunft möglich –, sondern aus multiliterarischen Tätigkeiten. Alleinerziehende Mutter von zwei Jungs. Schriftstellerin. Coach, die Schreibkurse leitet, zwei Literaturzirkel managt, Lesungen moderiert und selber Lesungen gibt.

 

Es fing an mit der Leipziger Buchmesse. Dann wurden zwölf Lesungen abgesagt. Die Kurse. Die Buchclubs, alle Moderationen. Die Sommerakademie, die sie leiten sollte. Das Honorar bringt sie sonst bis in den Herbst. Keine Ausfallhonorare, für jeden ist es jetzt ein Desaster, kaum jemand kann es sich leisten, großzügig zu sein.

 

Diese Frau weinen zu hören. Während einer ihrer Jungs während des „Homeschoolings“ kreischt, der andere johlt, es ist zu eng für drei. Und jetzt noch Amateurlehrerin spielen, schreiben sollte sie doch. Sie fängt sich, sagt rau: „Und wozu?“ Es spricht sich herum, dass Verlage die Programme abschreiben. Erscheinungen um ein Jahr verschieben. Oder ganz absagen. Manuskriptankauf stoppen. Jana hätte sich gewünscht, ihr Verlag spräche mit ihr. Und sei es darüber, dass niemand weiß, was wird, bei geschlossenen Buchhandlungen, die zwischen 40 bis 80 Prozent Umsatzverlust vermelden. Und es wird nicht bei diesem einen Shutdown bleiben, das muss jedem klar sein.

 

Manche Buchläden sind trotzdem rea­ktionsstark. Nehmen Amazons Ankündigung, seltener Bücher zu liefern und Vorbestellungen einzuschränken, als „Jetzt erst recht“! Drehen Video-Lyrik-Quickies, bauen Räder zu Lastkarren um, teilen auf Instagram Storys mit Autorinnen. Und: „Seit die Drogerie und der türkische Lebensmittelladen als Abholstelle für Lieferungen fungieren, geht es. Fast besser als vorher.“ Kleine Wunder: Kleinstadtsolidarität im Systemcrash.

 

Lesen erlebt digital eine Lockdown-bedingte Renaissance. Nur vermehrt via E-Book-Piraterie, Flatrates und Onleihe. Günstig soll es sein, das Vademecum gegen Budenkoller, nachvollziehbar. Und so rasseln die jetzt eh schon vernichteten Honorare weiter in den Keller. Jana sagt: „Egal. Vielleicht ist das die beste Leseförderung. Und danach sagen alle: Boah, sind Bücher geil.“ Danach. An das Danach denkt sie nicht, es wird verheerend sein.

 

Hoffnung und Wunder sind dennoch unsere Lieblingsplots. Berühmte Kollegen, wie Mario Giordano, lesen Anfänge aus Neuerscheinungen nicht ganz so berühmter Kolleginnen vor, um sie sichtbar zu machen. Joanne Harris twittert täglich frische Luft aus ihrem Garten. Stephen King beschimpft treu Donald Trump. Abgesagte Preisverleihungen gehen online, es wird vor dem Bildschirm einander zugeprostet, man kommt sich näher als zuvor, aus Namen werden Menschen. Wunder Solidarität. Was sonst, wie sonst wollen wir miteinander leben?

 

Andreas* weint nicht. Man hört es an seinem Atem, dass er um Luft ringt. Er ist Kinder- und Jugendbuchautor und hat, wie die meisten seiner Zunft und wie es 2018 eine Umfrage des Netzwerks Autorenrechte ergab, jährlich rund 42 Lesungen. Diese sind in diesem Genre die entscheidende Einkommensquelle. Er liest an Schulen, zwei Sessions pro Tag, früh die Kleinen, mittags die Größeren. Ihm werden 14.000 Euro fehlen, er hat sich die E-Mail-Adresse von dem VG-Wort-Sozialfonds schon hingelegt. Es ist ihm peinlich, Notfall zu sein. Er hat drei Kinder. Seine Verlage stellen Lehr- und Amüsementsmaterial online umsonst zur Verfügung. Eine große Geste, ja, ob es dafür Honorar gibt, mag er nicht fragen, es erscheint ihm egoistisch. Sein Handy pingt. Die WhatsApp der Nachbarin, bittebitte, könne er Online-Lesungen für Fünf- bis Achtjährige machen, sie sei heiser vom Vorlesen. Er wird es machen, natürlich, gratis. „Vielleicht sind das die letzten Momente“, sagt er, „dass ich als Autor arbeite.“ Gebraucht zu werden, ohne entsprechend bezahlt zu sein: Das kennen wir.

 

Katja* überlegt, bei der Spargelernte zu jobben. Sie hat ihr Residenzstipendium nicht antreten dürfen, für das sie unbezahlte Auszeit von ihrem Teilzeitberuf für drei Monate nahm. Und jetzt weder das Stipendiumsgeld erhält, noch in ihren Job zurückkann. „Alles wird sich ändern“, sagt sie. „Wir werden andere Augen bekommen. Wir werden gesehen haben, wer wir sind, und wer wir sein können.“

 

Konservativ überschlagen, fallen seit März bis Mai deutschlandweit 4.000 Lesungen weg. Wenn man die Hochrechnung des Netzwerks Autorenrechte zugrunde legt, ist das ein Ausfall von brutto sieben Millionen Euro für Schriftsteller und Schriftstellerinnen. Der VS Bayern hat derweil 3.200 Euro Durchschnittsverlust für acht Wochen ohne Auftritte ermittelt. Pro Person.

 

Von Moderatorinnen reden wir nicht, von den Pressefotografen, von den Bühnentechnikerinnen, von den Gastronomien der Veranstaltungsorte.

 

Nicht von all dem, was an Kultur außerdem hängt als nur die Kultur selbst.
Oder doch. Reden wir darüber. Dass wir schnell in der Finanzhilfe sein müssen, doch langsam und genau im Umbau unserer Leben, der jedem bevorsteht.

 

Diese epochale Ruptur im Selbstverständnis der Weltgesellschaft kann nur bewältigt werden, wenn der innere Resonanzraum bereit dafür ist. Es wird die Kunst, die Kultur, das Wissen, die freie Presse, die Literatur sein, die uns – auch – über diese verwundete Zeit tragen kann.

 

*Vornamen auf Wunsch der Interviewpartnerinnen geändert.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.

Nina George
Die Schriftstellerin Nina George ist Präsidentin des European Writers’ Council, das 150.000 Autorinnen und Autoren aus 41 Organisationen Europas repräsentiert. Mehr unter: ninageorge.de.
Vorheriger ArtikelDas Buch fällt durch das Raster
Nächster ArtikelJetzt mehr Kultur in Radio, TV und Co