Sterben mitten im Leben

Tod und Abschied in der Corona-Pandemie

Ludwig Greven spricht mit Mareike Fuchs und Peggy Steinhauser, den Leiterinnen eines Hamburger Hospizes und eines Hauses für Bestattung und Trauerbegleitung, über Tod, Sterben und Abschiednehmen unter den aktuellen Bedingungen der Corona-Pandemie.

 

Ludwig Greven: Frau Steinhauser und Frau Fuchs, wodurch sind Sie beide dazu gekommen, sich mit Tod und Sterben zu beschäftigen und das zu Ihrem Beruf zu machen?
Peggy Steinhauser: Bei mir war es nicht so, dass jemand gestorben ist und ich in besonderer Weise um ihn getrauert und mich deshalb diesem Thema zugewandt habe. Ich bin Theologin und wollte ursprünglich Pastorin werden, konnte mich dann aber nicht mit der Institution Kirche arrangieren und habe überlegt, was ich stattdessen mit diesem Studium machen kann. Dabei bin ich auf die seelsorgerliche Begleitung von Sterbenden und ihren An- und Zugehörigen gestoßen. Bei Praktika habe ich gemerkt, wie inspirierend es sein kann, Menschen in ihren existenziellen Situationen zu erleben und zu begleiten. Ich habe durch sie auch eine Menge für mein Leben erfahren.

 

Mareike Fuchs: Meine Motivation hat zwei Seiten: eine spirituelle und eine weltlich-gesellschaftliche. Ich habe schon in der Studienzeit in der Altenpflege gearbeitet. Eines Tages sagte eine junge Kollegin: Da ist eine Frau gestorben, ich gehe nicht in das Zimmer. Sie hatte Angst davor. Mich hat das auch beunruhigt, aber mir war es wichtig, mich von dieser Frau zu verabschieden, weil ich sie über Jahre versorgt hatte. Als ich in das Zimmer kam, spürte ich eine große, tiefe Stille. Für mich war das eine wichtige Begegnung, auch mit Gott. Da hat sich bei mir ein Bild geformt. Ich empfinde die menschliche Lebenszeit wie das Brennen einer Kerze in einem Teelicht. Wenn wir sterben, ist die Flamme erloschen, aber die Hülle, das Äußere ist noch da. Das innere Licht ist nur weitergegangen. Während meines Sozialarbeitsstudiums in Osnabrück habe ich das Hospiz dort kennengelernt und erfahren, das Sterben als Teil des Lebens und den Tod als einen natürlichen Prozess zu begreifen, auf den wir unser ganzes Leben zusteuern. Mit Achtsamkeit und Liebe begleitet. Da wusste ich, da will ich arbeiten. Dazu kommt die weltliche Ebene: Hospize stehen dafür, dass im Tod und Sterben alle das gleiche Recht auf Begleitung haben, egal wie und was sie im Leben waren, ob Chefarzt, Fabrikbesitzer, Kapitän oder Hafenarbeiter. Da gibt es keine materiellen Unterschiede.

 

Wie hat sich die Arbeit für Sie durch die Corona-Krise verändert?
Fuchs: Wie in der gesamten Gesellschaft bemerken wir im Hospiz eine große Verunsicherung. Was bedeutet es, wenn Menschen plötzlich in dieser Weise mit Verletzlichkeit und Sterblichkeit konfrontiert sind? Wie definieren sich Verantwortung gegenüber anderen und gegenüber mir selbst und Schutz im Miteinander? Im Hospiz verdichtet sich ohnehin die Lebenszeit. Die Menschen bleiben bei uns im Schnitt vier bis fünf Wochen. Wir haben nicht die Möglichkeit, noch mal eine Kurve links oder rechts zu machen. Durch die gesetzlichen Auflagen ist es ein tägliches Auseinandersetzen: Was fordern Gesellschaft und Gesetz? Und was brauchen wir und die Menschen bei uns, um unserem hospizlichen Auftrag gerecht zu werden? Konkret wird das bei der Frage der Besuche. Für die Sterbenden sind Kontakte zu An- und Zugehörigen im Prozess des Abschiednehmens existenziell. Auf der anderen Seite trage ich Verantwortung für ein ganzes Haus mit 30 hauptamtlichen und 70 ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Dazwischen muss ich mich bewegen, um einerseits die Infektionswege möglichst gering zu halten, auf der anderen Seite die individuelle Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner aufrechtzuerhalten. Das ist jeden Tag ein Spagat.

 

Hatten Sie im Hospiz ohnehin Sterbende, die am Coronavirus erkrankt und dadurch gestorben sind?
Fuchs: Gott sei Dank nicht. Unsere Bewohnerinnen und Bewohner gehören zur Höchstrisikogruppe, allerdings gab es wohl auch schon Infizierte aus dieser Gruppe, die symptomfrei blieben. Das Virus sorgt immer wieder für Überraschungen.

 

Sind Corona-Patienten zum Sterben zu Ihnen gebracht worden?
Fuchs: Das geht nicht, weil gesetzlich festgelegt ist, dass wir keine Patienten aufnehmen dürfen, die infiziert und/oder durch das Virus erkrankt sind. Sie bleiben in den Krankenhäusern bis zum Lebensende oder bis die Erkrankung ausgeheilt ist.

 

Wie kann man jemandem beim Sterben helfen, wenn man Abstand halten und einen Mund-Nasen-Schutz und Handschuhe tragen muss?
Fuchs: Das ist eine Diskrepanz. Bei uns geht es viel um Trost. Das kann manchmal bedeuten, einfach nur die Hand auf den Arm zu legen, um zu zeigen, ich bin bei dir. Diese Geste kann mit einmal zu einer potenziellen Gefährdung werden.

 

Behindert es Sie auch bei der Begleitung der Angehörigen?
Steinhauser: Wir haben damit zu kämpfen, was dürfen wir bei Trauerfeiern und Bestattungen. Das ist für die Betroffenen meist hochemotional. Ich muss wie meine Kollegin jeweils abwägen, was können wir im Einzelfall machen und wie bleibt der Schutz für alle gewährleistet. Ich führe ständig Gespräche mit Angehörigen, die in Not sind, weil wir gegenwärtig z. B. keine Trauerfeiern mit vielen Gästen durchführen dürfen. Das setzt mir zu. Aber bei allem Schmerz ist es im Moment mit Blick auf die Allgemeinheit die einzig vertretbare Entscheidung, nur eine begrenzte Zahl von Trauenden zuzulassen.

Ludwig Greven, Mareike Fuchs & Peggy Steinhauser
Mareike Fuchs leitet das Hospiz Hamburg Leuchtfeuer auf St. Pauli in Hamburg. Peggy Steinhauser leitet das Hamburg Leuchtfeuer Lotsenhaus, das mit dem Hospiz zur gemeinnützigen Leuchtfeuer Stiftung gehört und individuell gestaltete Bestattungen, Trauerbegleitung, Kurse und Seminare anbietet. Ludwig Greven ist freier Publizist.
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