Susanne Keuchel - 28. April 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Corona vs. Kultur

Schadensbegrenzung oder Investition in die Zukunft?


Umgang mit den Folgen der Corona-Krise

D er Schrei nach Hilfsprogrammen ist laut. Aber reicht eine Eindämmung der finanziellen Verluste? Hat die Corona-Krise indirekt nicht auch dazu beigetragen, bestehende gesellschaftliche und kulturelle Instabilitäten in Deutschland sichtbarer zu machen?

.
Seit längerer Zeit hadert ganz Europa mit gesellschaftlichen Folgen der Globalisierung und Ökonomisierung. Gesellschaftliche Spaltung, ein politischer Rechtsruck, Folgen des Klimawandels oder begrenzte Rohstoffressourcen führen in der Politik zu einer zunehmenden Infragestellung ökonomischer Steuerungsprinzipien einzelner gesellschaftlicher Bereiche. Stattdessen gewinnen Prinzipien der Gemeinwohlorientierung und Nachhaltigkeit an Bedeutung. Weltweit wurde in der Krise beispielsweise das stabilere, im Vergleich zu anderen Ländern weniger ökonomisierte Gesundheitssystem in Deutschland hervorgehoben.  Wie stabil ist der deutsche Kulturbereich vor der Krise gewesen? Und wie müsste er verändert werden, um künftig krisenfester aufgestellt zu sein? Warum nicht aus der Not eine Tugend machen und die Krise zum Anlass nehmen, einige bestehende Prinzipien grundsätzlich infrage zu stellen?

.

Ökonomisierung öffentlicher Aufgaben zurückfahren

.
Ökonomische Steuerungsprinzipien wurden in Deutschland in den letzten Jahrzehnten zunehmend konsequent auf öffentlich geförderte Gesellschaftsbereiche wie Kultur, Gesundheitswesen, öffentliche Verwaltung oder Bildung übertragen.

.

Ein Aspekt liegt dabei auf der finanziellen Mitbeteiligung von Bürgern bei Inanspruchnahme von Kultur- und Bildungsangeboten oder spezifischen Gesundheitsleistungen. Öffentlich geförderte Einrichtungen sollen einen Teil ihres Haushaltes selbst erwirtschaften. In der Corona-Krise hat dieser Aspekt im Kultur- und vor allem im kulturellen Bildungsbereich – für Existenznöte gesorgt und zu einem Ruf nach Hilfefonds zur Kompensierung dieser Eigenmittel geführt. Unter der Prämisse, dass Kultur Teil der Allgemeinbildung ist, könnte diese individuelle Mitfinanzierung provokativ infrage gestellt werden. Wäre ein Verzicht auf Eintrittsgelder nicht gerechter im Sinne kultureller Teilhabe? Einzelne europäische Länder sind dazu übergegangen, den Zugang zu Museen oder zum Nahverkehr kostenfrei zu gestalten, da sie die Nutzung dieser Angebote als gesamtgesellschaftlichen Profit werten.

.

Projektförderung als Innovationsförderung begreifen

.

Ein weiterer Aspekt der Ökonomisierung beinhaltete den Wechsel weg von einer Infrastrukturförderung hin zu einer projektspezifischen Förderung unter wettbewerbstechnischen Bedingungen, sogenannte Förderprogramme, die mittlerweile für einen Großteil der Kultur-, Medien- und Bildungseinrichtungen sowie freiberuflich Tätige existenziell geworden sind, da sie die zunehmend fehlende Infrastrukturförderung kompensieren müssen. Dies führt in der Corona-Krise, im Gegensatz beispielsweise zu den festen Strukturen und Einkommen von Schulen und Lehrern, zur Existenzgefährdung kultureller Einrichtungen. Neben dieser Instabilität in Krisen hat Projektförderung auch weitere Nachteile: Neben der Förderung prekärer, da befristeter Arbeitsverhältnisse, gehen fachliche Personalressourcen für künstlerische und kulturpädagogische Arbeit zugunsten anfallender bürokratischer Projektabwicklung verloren.
Ein Grund für die Verlagerung von Infrastrukturförderung in Projektförderung liegt in den kontinuierlich sich neu eröffnenden kulturellen Aufgabenfeldern, die sich durch gesellschaftlichen Wandel ergeben, sei es Gendergerechtigkeit, den Anforderungen einer Migrationsgesellschaft gerecht zu werden oder Strukturen für neue künstlerische Ausdrucksformen zu schaffen. Alternativ könnte es sinnvoller sein, statt auf Projektförderung auszuweichen, neue Aufgabenfelder in die schon bestehende geförderte Infrastruktur zu integrieren. Zivilgesellschaft sollte sich dabei mit dafür verantwortlich zeigen, dass sich bestehende zivilgesellschaftliche Strukturen im Kulturbereich permanent weiterentwickeln. Ein weiterer Grund für das Ausweichen auf Projektförderung liegt darin, kulturelle Infrastrukturförderung klar zu benennen und abzugrenzen. In der Vergangenheit wurden hier immer wieder Versuche unternommen im Rahmen von Ansätzen, wie die kulturelle Grundversorgung oder die Daseinsvorsorge. Im Diskurs zur Festlegung kultureller Infrastruktur sollten neben Aufgaben wie Bewahrung des kulturellen Erbes oder Kunstfreiheit, Kriterien der Gemeinwohlorientierung und Nachhaltigkeit entscheidend sein.

Öffentliche Vergabepraxis nachhaltiger gestalten

 

Die Notwendigkeit gesellschaftlichen Wandels stetig im Blick zu behalten, ergibt sich selbstverständlich auch im Rahmen von Konjunkturprogrammen für die private Kultur-, Medien- und Kreativwirtschaft, so beispielsweise die Förderung von nachhaltigen Innovationen im Bereich Architektur, Design oder Modedesign, um international neue Standards zu setzen.

 

Dabei sollte die öffentliche Vergabepraxis des Staats, aber auch die öffentlich geförderten Einrichtungen wie Kultureinrichtungen oder Rundfunkanstalten, sozialverträglich und nachhaltig gestaltet werden. Oft werden Künstler, Kulturpädagogen oder kleinere Unternehmen der Kreativwirtschaft nicht angemessen honoriert, was in der Corona-Krise zu der Notwendigkeit von Soforthilfen führte, da hier keine Rücklagen existierten. Dies liegt in Teilen auch daran, dass öffentlich geförderte Einrichtungen ebenfalls wirtschaftlichen Zwängen unterliegen.

 

Bei der öffentlichen Vergabepraxis sollte zudem im Sinne der Nachhaltigkeit auf Regionalität und Vielfältigkeit von Bewerbern gesetzt werden, um Monopolstellungen großer globaler Medienkonzerne oder Unternehmensberatungen, die zunehmend ein breites Spektrum an Angebotsstrukturen bedienen, indem sie die jeweils für Aufträge benötigten Fachstrukturen wie Designer oder Kulturwissenschaftler als Unterverdienende an sich binden, zu unterlaufen.

 

Aufbau analog-digitaler Strukturen nicht nur für Krisenzeiten

 

In der Corona-Krise wurde die Vernachlässigung eines systematischen Aufbaus analog-digitaler öffentlich geförderter Angebotsstrukturen deutlich, auch wenn der erzwungene Stillstand dazu führte, dass Künstler, Kultur- und Bildungseinrichtungen, trotz mangelnder digitaler Infrastruktur, Ausstattung und Fortbildung, erste digitale künstlerische und kulturelle Bildungsangebote für Bevölkerungsgruppen kostenfrei ermöglichten.

 

Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist in der Regel analog-digital aufgestellt. Herausforderungen stellen sich hier in der digitalen Sichtbarkeit und wirtschaftlichen Verwertung. So ist die digitale Sichtbarkeit abhängig von Suchmaschinen und Onlineportalen, die vor allem von den großen US-amerikanischen Medienkonzernen zur Verfügung gestellt werden, die ihre eigene Logik und Algorithmen mit Blick auf Werbekunden und eigenen Interessen verfolgen.

 

Bei einem systematischen Ausbau analog-digitaler Strukturen im Kultur-, Medien- und Bildungsbereich wäre es daher wünschenswert, dass in Analogie zu analogen gesetzlichen Rahmenbedingungen auch im digitalen Raum Verwertungsvergütung – unter anderem EU-Urheberrechtsrichtlinie – und Sichtbarkeit, hier auch ein unabhängiger Zugang zu Wissen und Kultur, gewährleistet werden, beispielsweise durch öffentlich geförderte Suchmaschinen und Plattformen, organisiert von europäischen Rundfunkanstalten, die im Sinne des Gemeinwohls von Rundfunkräten kontrolliert werden könnten.

 

Wie könnte eine Systemmodernisierung gelingen?

 

Der anstehende Kraftakt notwendiger Hilfsmaßnahmen sollte nicht nur aus einer Perspektive der Schadensbegrenzung heraus entwickelt, sondern zugleich als Investition in eine nachhaltige und gemeinwohlorientierte Stabilisierung des Kulturbereichs genutzt werden. Einiges ließe sich dabei über eine Änderung der öffentlichen Förderpraxis erreichen:

  1. Infrastrukturförderung für grundlegende Aufgaben des öffentlich geförderten Kultur-, Medien- und Bildungsbereichs
  2. Nutzung von Projektförderung und Eigen-/Drittmitteln für Innovation, Experimente und Transformation
  3. Individuelle Bürgermitfinanzierung von öffentlich geförderten Bildungs- und Kulturangeboten auf den Prüfstand stellen
  4. Nachhaltige und sozialverträglich gestaltete, öffentliche Vergabepraxis, hier auch entsprechende Etatausstattung öffentlich geförderter Einrichtungen für Aufträge an Dritte
  5. Stärkung regionaler, nationaler und europäischer Einzelbranchen der Kreativwirtschaft bei der öffentlichen Vergabepraxis gegenüber Monopolstellungen internationaler marktführender Unternehmen.
    .
    Andere Aspekte der Reorganisation und Transformation von Strukturen könnten über einen Kulturinfrastrukturfonds finanziert und angestoßen werden:
    .
  6. Einbettung neuer gesellschaftlicher Aufgaben in die bestehende öffentlich geförderte Infrastruktur
  7. Stärkung neuer Kreativwirtschaftszweige durch Konjunkturprogramme
  8. Systematischer Aufbau analog-digitaler Strukturen im Kultur-, Medien- und Bildungsbereich unter Wahrung rechtlicher Grundlagen innerhalb digitaler Strukturen

 

Die Investitionen für eine solche Stabilisierung der Kulturlandschaft erscheinen auf den ersten Blick immens, kompensieren sich aber in Teilen durch Umverteilung der Ressourcen, beispielsweise der Umwidmung von Projekt- in Infrastrukturmitteln. Dies führt zu weniger prekärer Arbeit, weniger Bürokratie, damit einhergehend zu mehr personellen Ressourcen, einer höheren Bürgerakzeptanz, Teilhabe sowie Krisensicherheit in Zeiten von Corona und Co.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 5/20 erschienen.

 


Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat

Adresse: https://www.kulturrat.de/themen/corona-vs-kultur/schadensbegrenzung-oder-investition-in-die-zukunft/