Schadensbegrenzung oder Investition in die Zukunft?

Umgang mit den Folgen der Corona-Krise

D er Schrei nach Hilfsprogrammen ist laut. Aber reicht eine Eindämmung der finanziellen Verluste? Hat die Corona-Krise indirekt nicht auch dazu beigetragen, bestehende gesellschaftliche und kulturelle Instabilitäten in Deutschland sichtbarer zu machen?

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Seit längerer Zeit hadert ganz Europa mit gesellschaftlichen Folgen der Globalisierung und Ökonomisierung. Gesellschaftliche Spaltung, ein politischer Rechtsruck, Folgen des Klimawandels oder begrenzte Rohstoffressourcen führen in der Politik zu einer zunehmenden Infragestellung ökonomischer Steuerungsprinzipien einzelner gesellschaftlicher Bereiche. Stattdessen gewinnen Prinzipien der Gemeinwohlorientierung und Nachhaltigkeit an Bedeutung. Weltweit wurde in der Krise beispielsweise das stabilere, im Vergleich zu anderen Ländern weniger ökonomisierte Gesundheitssystem in Deutschland hervorgehoben.  Wie stabil ist der deutsche Kulturbereich vor der Krise gewesen? Und wie müsste er verändert werden, um künftig krisenfester aufgestellt zu sein? Warum nicht aus der Not eine Tugend machen und die Krise zum Anlass nehmen, einige bestehende Prinzipien grundsätzlich infrage zu stellen?

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Ökonomisierung öffentlicher Aufgaben zurückfahren

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Ökonomische Steuerungsprinzipien wurden in Deutschland in den letzten Jahrzehnten zunehmend konsequent auf öffentlich geförderte Gesellschaftsbereiche wie Kultur, Gesundheitswesen, öffentliche Verwaltung oder Bildung übertragen.

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Ein Aspekt liegt dabei auf der finanziellen Mitbeteiligung von Bürgern bei Inanspruchnahme von Kultur- und Bildungsangeboten oder spezifischen Gesundheitsleistungen. Öffentlich geförderte Einrichtungen sollen einen Teil ihres Haushaltes selbst erwirtschaften. In der Corona-Krise hat dieser Aspekt im Kultur- und vor allem im kulturellen Bildungsbereich – für Existenznöte gesorgt und zu einem Ruf nach Hilfefonds zur Kompensierung dieser Eigenmittel geführt. Unter der Prämisse, dass Kultur Teil der Allgemeinbildung ist, könnte diese individuelle Mitfinanzierung provokativ infrage gestellt werden. Wäre ein Verzicht auf Eintrittsgelder nicht gerechter im Sinne kultureller Teilhabe? Einzelne europäische Länder sind dazu übergegangen, den Zugang zu Museen oder zum Nahverkehr kostenfrei zu gestalten, da sie die Nutzung dieser Angebote als gesamtgesellschaftlichen Profit werten.

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Projektförderung als Innovationsförderung begreifen

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Ein weiterer Aspekt der Ökonomisierung beinhaltete den Wechsel weg von einer Infrastrukturförderung hin zu einer projektspezifischen Förderung unter wettbewerbstechnischen Bedingungen, sogenannte Förderprogramme, die mittlerweile für einen Großteil der Kultur-, Medien- und Bildungseinrichtungen sowie freiberuflich Tätige existenziell geworden sind, da sie die zunehmend fehlende Infrastrukturförderung kompensieren müssen. Dies führt in der Corona-Krise, im Gegensatz beispielsweise zu den festen Strukturen und Einkommen von Schulen und Lehrern, zur Existenzgefährdung kultureller Einrichtungen. Neben dieser Instabilität in Krisen hat Projektförderung auch weitere Nachteile: Neben der Förderung prekärer, da befristeter Arbeitsverhältnisse, gehen fachliche Personalressourcen für künstlerische und kulturpädagogische Arbeit zugunsten anfallender bürokratischer Projektabwicklung verloren.
Ein Grund für die Verlagerung von Infrastrukturförderung in Projektförderung liegt in den kontinuierlich sich neu eröffnenden kulturellen Aufgabenfeldern, die sich durch gesellschaftlichen Wandel ergeben, sei es Gendergerechtigkeit, den Anforderungen einer Migrationsgesellschaft gerecht zu werden oder Strukturen für neue künstlerische Ausdrucksformen zu schaffen. Alternativ könnte es sinnvoller sein, statt auf Projektförderung auszuweichen, neue Aufgabenfelder in die schon bestehende geförderte Infrastruktur zu integrieren. Zivilgesellschaft sollte sich dabei mit dafür verantwortlich zeigen, dass sich bestehende zivilgesellschaftliche Strukturen im Kulturbereich permanent weiterentwickeln. Ein weiterer Grund für das Ausweichen auf Projektförderung liegt darin, kulturelle Infrastrukturförderung klar zu benennen und abzugrenzen. In der Vergangenheit wurden hier immer wieder Versuche unternommen im Rahmen von Ansätzen, wie die kulturelle Grundversorgung oder die Daseinsvorsorge. Im Diskurs zur Festlegung kultureller Infrastruktur sollten neben Aufgaben wie Bewahrung des kulturellen Erbes oder Kunstfreiheit, Kriterien der Gemeinwohlorientierung und Nachhaltigkeit entscheidend sein.

Susanne Keuchel
Susanne Keuchel ist ehrenamtliche Präsidentin des Deutschen Kulturrates und Hauptamtlich Direktorin der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW.
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